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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr.

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Die Bedeutung der deutschen Heeresverstärkung
Hauptmann Dr. Fritz Rocder von

is im Frühling 1911 ein neues Quinquennat vom Reichstage
beschlossen wurde, ward in den Kreisen des Volkes, die ein schlag¬
fertiges Heer als sicherste Bürgschaft des Friedens und als stärksten
Faktor der Machtstellung des Reiches ansehen, manch unzufriedenes
Wort laut. Man schalt über die Zurückhaltung, die seitens der
leitenden Stellen des Heeres geübt worden war. Man wies auf die Anstren¬
gungen Frankreichs hin, das seine Volkskraft bis aufs äußerste in Anspruch
nimmt, während in Deutschland im Jahre 1910 noch sechsundachtzigtausend
Taugliche von der Ableistung der gesetzlichen Dienstpflicht im Frieden befreit
blieben. Frankreich stellt 84 Prozent seiner waffenfähigen Jugend ins Heer
ein, Deutschland begnügte sich auch bei dem Quinquennat von 1911 mit
53 Prozent. Und ebenso vermochte man auch vielfach Lücken in der Organisation
des Heeres nachzuweisen; von der Überalterung des Offizierkorps, namentlich
bei der Infanterie, ganz zu schweigen.

Die Heeresverwaltung war den? gegenüber nicht blind gewesen. Wenn sie
trotzdem nur die dringlichsten Forderungen stellte, so war dafür einerseits die
politische Lage, anderseits die Rücksicht auf den Stand unserer Reichsfinanzen
maßgebend. Diese hatten seit der mühsam errungenen Reform von 1909 eben
begonnen, sich etwas günstiger zu gestalten, d. h. man hatte endlich damit
anfangen können, die bestehenden Schulden zu tilgen. Staatliche Schulden¬
tilgung ist auch ein Stück Kriegsfürsorge, sogar ein sehr bedeutsames. Um neue
Einnahmequellen zur Deckung erheblicher Heeresausgaben zu gewinnen, hätte
man sich auf hartnäckige parlamentarische Kämpfe gefaßt machen müssen, deren
Ausgang mit Recht pessimistisch zu beurteilen war. Denn die internationale
Lage war 1909 keineswegs so gespannt und drohend, daß kostspielige Forderungen
zur Ergänzung und Füllung der bestehenden Lücken im Heeresorganismus


Grenzboten II 1912 70


Die Bedeutung der deutschen Heeresverstärkung
Hauptmann Dr. Fritz Rocder von

is im Frühling 1911 ein neues Quinquennat vom Reichstage
beschlossen wurde, ward in den Kreisen des Volkes, die ein schlag¬
fertiges Heer als sicherste Bürgschaft des Friedens und als stärksten
Faktor der Machtstellung des Reiches ansehen, manch unzufriedenes
Wort laut. Man schalt über die Zurückhaltung, die seitens der
leitenden Stellen des Heeres geübt worden war. Man wies auf die Anstren¬
gungen Frankreichs hin, das seine Volkskraft bis aufs äußerste in Anspruch
nimmt, während in Deutschland im Jahre 1910 noch sechsundachtzigtausend
Taugliche von der Ableistung der gesetzlichen Dienstpflicht im Frieden befreit
blieben. Frankreich stellt 84 Prozent seiner waffenfähigen Jugend ins Heer
ein, Deutschland begnügte sich auch bei dem Quinquennat von 1911 mit
53 Prozent. Und ebenso vermochte man auch vielfach Lücken in der Organisation
des Heeres nachzuweisen; von der Überalterung des Offizierkorps, namentlich
bei der Infanterie, ganz zu schweigen.

Die Heeresverwaltung war den? gegenüber nicht blind gewesen. Wenn sie
trotzdem nur die dringlichsten Forderungen stellte, so war dafür einerseits die
politische Lage, anderseits die Rücksicht auf den Stand unserer Reichsfinanzen
maßgebend. Diese hatten seit der mühsam errungenen Reform von 1909 eben
begonnen, sich etwas günstiger zu gestalten, d. h. man hatte endlich damit
anfangen können, die bestehenden Schulden zu tilgen. Staatliche Schulden¬
tilgung ist auch ein Stück Kriegsfürsorge, sogar ein sehr bedeutsames. Um neue
Einnahmequellen zur Deckung erheblicher Heeresausgaben zu gewinnen, hätte
man sich auf hartnäckige parlamentarische Kämpfe gefaßt machen müssen, deren
Ausgang mit Recht pessimistisch zu beurteilen war. Denn die internationale
Lage war 1909 keineswegs so gespannt und drohend, daß kostspielige Forderungen
zur Ergänzung und Füllung der bestehenden Lücken im Heeresorganismus


Grenzboten II 1912 70
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[0561] [Abbildung] Die Bedeutung der deutschen Heeresverstärkung Hauptmann Dr. Fritz Rocder von is im Frühling 1911 ein neues Quinquennat vom Reichstage beschlossen wurde, ward in den Kreisen des Volkes, die ein schlag¬ fertiges Heer als sicherste Bürgschaft des Friedens und als stärksten Faktor der Machtstellung des Reiches ansehen, manch unzufriedenes Wort laut. Man schalt über die Zurückhaltung, die seitens der leitenden Stellen des Heeres geübt worden war. Man wies auf die Anstren¬ gungen Frankreichs hin, das seine Volkskraft bis aufs äußerste in Anspruch nimmt, während in Deutschland im Jahre 1910 noch sechsundachtzigtausend Taugliche von der Ableistung der gesetzlichen Dienstpflicht im Frieden befreit blieben. Frankreich stellt 84 Prozent seiner waffenfähigen Jugend ins Heer ein, Deutschland begnügte sich auch bei dem Quinquennat von 1911 mit 53 Prozent. Und ebenso vermochte man auch vielfach Lücken in der Organisation des Heeres nachzuweisen; von der Überalterung des Offizierkorps, namentlich bei der Infanterie, ganz zu schweigen. Die Heeresverwaltung war den? gegenüber nicht blind gewesen. Wenn sie trotzdem nur die dringlichsten Forderungen stellte, so war dafür einerseits die politische Lage, anderseits die Rücksicht auf den Stand unserer Reichsfinanzen maßgebend. Diese hatten seit der mühsam errungenen Reform von 1909 eben begonnen, sich etwas günstiger zu gestalten, d. h. man hatte endlich damit anfangen können, die bestehenden Schulden zu tilgen. Staatliche Schulden¬ tilgung ist auch ein Stück Kriegsfürsorge, sogar ein sehr bedeutsames. Um neue Einnahmequellen zur Deckung erheblicher Heeresausgaben zu gewinnen, hätte man sich auf hartnäckige parlamentarische Kämpfe gefaßt machen müssen, deren Ausgang mit Recht pessimistisch zu beurteilen war. Denn die internationale Lage war 1909 keineswegs so gespannt und drohend, daß kostspielige Forderungen zur Ergänzung und Füllung der bestehenden Lücken im Heeresorganismus Grenzboten II 1912 70

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321082/561>, abgerufen am 26.05.2024.