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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr.

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"Amerika den Amerikanern

die sich nicht in einen Demonstrationsstreik verwickeln ließen, dank der Regierung,
die für Aufrechterhaltung der Ordnung und für den Schutz der Arbeitswilligen
mit ausreichender Kraft gesorgt hat, schließlich dank auch der öffentlichen
Meinung, die nicht, wie oftmals vorher, bedingungslos auf die Seite der
Streitenden getreten ist, sondern auch den moralischen Mut der Arbeitswilligen
und das Frivole und Unberechtigte dieses Streiks anerkannt hat -- daß dank eben
allen diesen verständigen Faktoren schweres Unheil für unser Vaterland verhütet
werden konnte. Darf man diese vorteilhafte Gestaltung der Dinge als normal
und für die Zukunft maßgebend betrachten? Doch wohl nur dann, wenn ent¬
sprechend der Schwere und den Gefahren der Bergarbeit von feiten der Zechen¬
verwaltungen in Friedenszeiten in eine ernsthafte Prüfung der Beschwerdepunkte
der Bergarbeiter eingetreten wird und die sozialen Einrichtungen, die schon jetzt
mit berechtigtem Stolz im Ruhrrevier vorgezeigt werden können, nach Maßgabe
der Leistungskraft der einzelnen Zechen ausgebaut werden. Gerechtigkeit und
vernünftige Sozialpolitik, aber auch Festigkeit gegenüber der Sozialdemokratie
und verwandter Demagogie, sie werden auch in Zukunft dem deutschen Markte
so schwere und unheilvolle Kämpfe fernhalten, von denen England soeben heim¬
gesucht worden ist.




"Amerika den Amerikanern!"
Kritische Bemerkungen zur Monroedoktrin von Dr. jur, Herbert v, Dirksen-

le schlimmste Eigenschaft der Schlagworte ist, daß sie das Denken
ertöten. Nicht nur, daß sie den von ihnen gekennzeichneten An¬
spruch oder die in Frage stehende Reihe von Tatsachen oder Be¬
hauptungen mit einem Urteil, einem meist schiefen, häufig ge¬
hässigen Urteil versehen -- nein, viel schlimmer ist es, wie gesagt,
daß sie auch den denkenden Menschen der Notwendigkeit überheben, die von
ihm bezeichneten Ansprüche und Behauptungen auf ihre Berechtigung zu prüfen
und ein Urteil darüber abzugeben. Man gebraucht nur das Schlagwort, man
sagt einfach: "Brotwucher" oder "Liebesgabe", und die Sache ist abgetan.
Man weiß, daß man verstanden wird und braucht also nicht weiter
nachzudenken. Von besonders einschneidender Bedeutung und von viel schlim¬
meren Folgen als in der innern Politik sind aber Schlagworte, die sich im
internationalen Verkehr, im Leben der Völker Geltung verschafft haben. Wenn
ein Volk es erreicht, einem Schlagwort, in das es seine Ansprüche zusammen¬
gefaßt hat, Geltung zu verschaffen,, so kann es ihm leicht gelingen, fremde


Grenzboten II 1912 8
„Amerika den Amerikanern

die sich nicht in einen Demonstrationsstreik verwickeln ließen, dank der Regierung,
die für Aufrechterhaltung der Ordnung und für den Schutz der Arbeitswilligen
mit ausreichender Kraft gesorgt hat, schließlich dank auch der öffentlichen
Meinung, die nicht, wie oftmals vorher, bedingungslos auf die Seite der
Streitenden getreten ist, sondern auch den moralischen Mut der Arbeitswilligen
und das Frivole und Unberechtigte dieses Streiks anerkannt hat — daß dank eben
allen diesen verständigen Faktoren schweres Unheil für unser Vaterland verhütet
werden konnte. Darf man diese vorteilhafte Gestaltung der Dinge als normal
und für die Zukunft maßgebend betrachten? Doch wohl nur dann, wenn ent¬
sprechend der Schwere und den Gefahren der Bergarbeit von feiten der Zechen¬
verwaltungen in Friedenszeiten in eine ernsthafte Prüfung der Beschwerdepunkte
der Bergarbeiter eingetreten wird und die sozialen Einrichtungen, die schon jetzt
mit berechtigtem Stolz im Ruhrrevier vorgezeigt werden können, nach Maßgabe
der Leistungskraft der einzelnen Zechen ausgebaut werden. Gerechtigkeit und
vernünftige Sozialpolitik, aber auch Festigkeit gegenüber der Sozialdemokratie
und verwandter Demagogie, sie werden auch in Zukunft dem deutschen Markte
so schwere und unheilvolle Kämpfe fernhalten, von denen England soeben heim¬
gesucht worden ist.




„Amerika den Amerikanern!"
Kritische Bemerkungen zur Monroedoktrin von Dr. jur, Herbert v, Dirksen-

le schlimmste Eigenschaft der Schlagworte ist, daß sie das Denken
ertöten. Nicht nur, daß sie den von ihnen gekennzeichneten An¬
spruch oder die in Frage stehende Reihe von Tatsachen oder Be¬
hauptungen mit einem Urteil, einem meist schiefen, häufig ge¬
hässigen Urteil versehen — nein, viel schlimmer ist es, wie gesagt,
daß sie auch den denkenden Menschen der Notwendigkeit überheben, die von
ihm bezeichneten Ansprüche und Behauptungen auf ihre Berechtigung zu prüfen
und ein Urteil darüber abzugeben. Man gebraucht nur das Schlagwort, man
sagt einfach: „Brotwucher" oder „Liebesgabe", und die Sache ist abgetan.
Man weiß, daß man verstanden wird und braucht also nicht weiter
nachzudenken. Von besonders einschneidender Bedeutung und von viel schlim¬
meren Folgen als in der innern Politik sind aber Schlagworte, die sich im
internationalen Verkehr, im Leben der Völker Geltung verschafft haben. Wenn
ein Volk es erreicht, einem Schlagwort, in das es seine Ansprüche zusammen¬
gefaßt hat, Geltung zu verschaffen,, so kann es ihm leicht gelingen, fremde


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[0069] „Amerika den Amerikanern die sich nicht in einen Demonstrationsstreik verwickeln ließen, dank der Regierung, die für Aufrechterhaltung der Ordnung und für den Schutz der Arbeitswilligen mit ausreichender Kraft gesorgt hat, schließlich dank auch der öffentlichen Meinung, die nicht, wie oftmals vorher, bedingungslos auf die Seite der Streitenden getreten ist, sondern auch den moralischen Mut der Arbeitswilligen und das Frivole und Unberechtigte dieses Streiks anerkannt hat — daß dank eben allen diesen verständigen Faktoren schweres Unheil für unser Vaterland verhütet werden konnte. Darf man diese vorteilhafte Gestaltung der Dinge als normal und für die Zukunft maßgebend betrachten? Doch wohl nur dann, wenn ent¬ sprechend der Schwere und den Gefahren der Bergarbeit von feiten der Zechen¬ verwaltungen in Friedenszeiten in eine ernsthafte Prüfung der Beschwerdepunkte der Bergarbeiter eingetreten wird und die sozialen Einrichtungen, die schon jetzt mit berechtigtem Stolz im Ruhrrevier vorgezeigt werden können, nach Maßgabe der Leistungskraft der einzelnen Zechen ausgebaut werden. Gerechtigkeit und vernünftige Sozialpolitik, aber auch Festigkeit gegenüber der Sozialdemokratie und verwandter Demagogie, sie werden auch in Zukunft dem deutschen Markte so schwere und unheilvolle Kämpfe fernhalten, von denen England soeben heim¬ gesucht worden ist. „Amerika den Amerikanern!" Kritische Bemerkungen zur Monroedoktrin von Dr. jur, Herbert v, Dirksen- le schlimmste Eigenschaft der Schlagworte ist, daß sie das Denken ertöten. Nicht nur, daß sie den von ihnen gekennzeichneten An¬ spruch oder die in Frage stehende Reihe von Tatsachen oder Be¬ hauptungen mit einem Urteil, einem meist schiefen, häufig ge¬ hässigen Urteil versehen — nein, viel schlimmer ist es, wie gesagt, daß sie auch den denkenden Menschen der Notwendigkeit überheben, die von ihm bezeichneten Ansprüche und Behauptungen auf ihre Berechtigung zu prüfen und ein Urteil darüber abzugeben. Man gebraucht nur das Schlagwort, man sagt einfach: „Brotwucher" oder „Liebesgabe", und die Sache ist abgetan. Man weiß, daß man verstanden wird und braucht also nicht weiter nachzudenken. Von besonders einschneidender Bedeutung und von viel schlim¬ meren Folgen als in der innern Politik sind aber Schlagworte, die sich im internationalen Verkehr, im Leben der Völker Geltung verschafft haben. Wenn ein Volk es erreicht, einem Schlagwort, in das es seine Ansprüche zusammen¬ gefaßt hat, Geltung zu verschaffen,, so kann es ihm leicht gelingen, fremde Grenzboten II 1912 8

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321082/69>, abgerufen am 26.05.2024.