Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Reichsspiegel

Reichsspiegel
Deutsche Interessen in China

Die geistige Revolution, die sich in China vollzieht, ist sür das Ausland
wichtiger als die äußere Verwirrung und Umgestaltung in der Staatsverfassung.
Die rein politischen Wirren sind zwar noch nicht vorüber, aber sie haben einen
gewissen Abschluß erlangt; das geistige Erwachen in China hat jedoch nunmehr
erst so recht begonnen und dürfte in der nächsten Zeit die größten Fortschritte
machen. Man wird sich mit größtem Eifer auf das Studium der fremden,
namentlich der abendländischen Kultur stürzen. Diese geistige Modernisierung
Chinas muß aber bald von größtem Einfluß auf sein wirtschaftliches Leben und
damit auf seine wirtschaftlichen und auch politischen Beziehungen zum Auslande
werden. Derjenige der konkurrierenden ausländischen Staaten wird bei diesem
Wettrennen den Sieg davon tragen, der es alsdann verstanden hat, seinen
geistigen Einfluß am stärksten in China zu verbreiten. Abgesehen von Japan,
das eine besondere Stellung einnimmt, haben vor allem Amerika und England
dies erkannt. Beide Länder sind dabei, in China Schulen, Universitäten und
andere Lehreinrichtungen, wie z. B. Schulmuseen, zu gründen und auf die ver¬
schiedenste Weise China von ihrer Heil und Nutz bringenden Kultur und von
ihrer wirtschaftlichen Überlegenheit zu überzeugen. Es ist deshalb dringend
notwendig, daß auch Deutschland, sür dessen Kultur die Chinesen sehr empfäng¬
lich sind, alles aufbietet, um in China zunächst einmal geistig in weiten: Um¬
fange festen Fuß zu fassen. Dabei tut Eile not. Denn wenn die Chinesen
erst zu Amerikanern und Engländern erzogen worden sind, so werden die wirt¬
schaftlichen Schädigungen für Deutschland nicht mehr leicht abzuwenden sein.
Von großem Wert ist für Deutschland dabei schon der erste Schritt auf diesem
Wege, der im Jahre 1909 durch die Eröffnung der deutsch-chinesischen Hoch¬
schule in Tsingtau getan wurde. Der Hochschule ist eine Übersetzungsanstalt an¬
gegliedert. Sie hat in erster Linie deutsche Lehrbücher ins Chinesische zu übersetzen
beziehungsweise umzuarbeiten und soll außerdem auch Übersetzungen aus der
deutschen Literatur in China zu verbreiten suchen. Auch in diesem Punkte sind
wir sehr zurück, denn Engländer, Amerikaner und Japaner sind seit Jahrzehnten
an der Arbeit, China mit ihren literarischen Kulturerzeugnissen zu versorgen.
Des weiteren besteht in Tsianfu, in der Provinz Schankung, also im Hinter¬
kante von Kiautschau, eine deutsche Schule nach Art einer Mittelschule. Sie ist
viel besucht, jedoch reichen die zwei deutschen, von der Reichsregierung bezahlten
Lehrkräfte schon lange nicht mehr aus. Das Anschauungsmaterial ist sehr unzureichend,
aber dringend notwendig, da die Chinesen nur bei genügender pmktischerVorführung
technische und andere Dinge einigermaßen leicht begreisen können. Bitten an
deutsche Industrielle in der Heimat seitens der Lehrer um Überlassung wenigstens
alter und gebrauchter oder eventuell schon überlebter Modelle haben leider wenig


Reichsspiegel

Reichsspiegel
Deutsche Interessen in China

Die geistige Revolution, die sich in China vollzieht, ist sür das Ausland
wichtiger als die äußere Verwirrung und Umgestaltung in der Staatsverfassung.
Die rein politischen Wirren sind zwar noch nicht vorüber, aber sie haben einen
gewissen Abschluß erlangt; das geistige Erwachen in China hat jedoch nunmehr
erst so recht begonnen und dürfte in der nächsten Zeit die größten Fortschritte
machen. Man wird sich mit größtem Eifer auf das Studium der fremden,
namentlich der abendländischen Kultur stürzen. Diese geistige Modernisierung
Chinas muß aber bald von größtem Einfluß auf sein wirtschaftliches Leben und
damit auf seine wirtschaftlichen und auch politischen Beziehungen zum Auslande
werden. Derjenige der konkurrierenden ausländischen Staaten wird bei diesem
Wettrennen den Sieg davon tragen, der es alsdann verstanden hat, seinen
geistigen Einfluß am stärksten in China zu verbreiten. Abgesehen von Japan,
das eine besondere Stellung einnimmt, haben vor allem Amerika und England
dies erkannt. Beide Länder sind dabei, in China Schulen, Universitäten und
andere Lehreinrichtungen, wie z. B. Schulmuseen, zu gründen und auf die ver¬
schiedenste Weise China von ihrer Heil und Nutz bringenden Kultur und von
ihrer wirtschaftlichen Überlegenheit zu überzeugen. Es ist deshalb dringend
notwendig, daß auch Deutschland, sür dessen Kultur die Chinesen sehr empfäng¬
lich sind, alles aufbietet, um in China zunächst einmal geistig in weiten: Um¬
fange festen Fuß zu fassen. Dabei tut Eile not. Denn wenn die Chinesen
erst zu Amerikanern und Engländern erzogen worden sind, so werden die wirt¬
schaftlichen Schädigungen für Deutschland nicht mehr leicht abzuwenden sein.
Von großem Wert ist für Deutschland dabei schon der erste Schritt auf diesem
Wege, der im Jahre 1909 durch die Eröffnung der deutsch-chinesischen Hoch¬
schule in Tsingtau getan wurde. Der Hochschule ist eine Übersetzungsanstalt an¬
gegliedert. Sie hat in erster Linie deutsche Lehrbücher ins Chinesische zu übersetzen
beziehungsweise umzuarbeiten und soll außerdem auch Übersetzungen aus der
deutschen Literatur in China zu verbreiten suchen. Auch in diesem Punkte sind
wir sehr zurück, denn Engländer, Amerikaner und Japaner sind seit Jahrzehnten
an der Arbeit, China mit ihren literarischen Kulturerzeugnissen zu versorgen.
Des weiteren besteht in Tsianfu, in der Provinz Schankung, also im Hinter¬
kante von Kiautschau, eine deutsche Schule nach Art einer Mittelschule. Sie ist
viel besucht, jedoch reichen die zwei deutschen, von der Reichsregierung bezahlten
Lehrkräfte schon lange nicht mehr aus. Das Anschauungsmaterial ist sehr unzureichend,
aber dringend notwendig, da die Chinesen nur bei genügender pmktischerVorführung
technische und andere Dinge einigermaßen leicht begreisen können. Bitten an
deutsche Industrielle in der Heimat seitens der Lehrer um Überlassung wenigstens
alter und gebrauchter oder eventuell schon überlebter Modelle haben leider wenig


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0542" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/322289"/>
            <fw type="header" place="top"> Reichsspiegel</fw><lb/>
          </div>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Reichsspiegel<lb/></head><lb/>
          <div n="2">
            <head> Deutsche Interessen in China</head><lb/>
            <p xml:id="ID_2416" next="#ID_2417"> Die geistige Revolution, die sich in China vollzieht, ist sür das Ausland<lb/>
wichtiger als die äußere Verwirrung und Umgestaltung in der Staatsverfassung.<lb/>
Die rein politischen Wirren sind zwar noch nicht vorüber, aber sie haben einen<lb/>
gewissen Abschluß erlangt; das geistige Erwachen in China hat jedoch nunmehr<lb/>
erst so recht begonnen und dürfte in der nächsten Zeit die größten Fortschritte<lb/>
machen. Man wird sich mit größtem Eifer auf das Studium der fremden,<lb/>
namentlich der abendländischen Kultur stürzen. Diese geistige Modernisierung<lb/>
Chinas muß aber bald von größtem Einfluß auf sein wirtschaftliches Leben und<lb/>
damit auf seine wirtschaftlichen und auch politischen Beziehungen zum Auslande<lb/>
werden. Derjenige der konkurrierenden ausländischen Staaten wird bei diesem<lb/>
Wettrennen den Sieg davon tragen, der es alsdann verstanden hat, seinen<lb/>
geistigen Einfluß am stärksten in China zu verbreiten. Abgesehen von Japan,<lb/>
das eine besondere Stellung einnimmt, haben vor allem Amerika und England<lb/>
dies erkannt. Beide Länder sind dabei, in China Schulen, Universitäten und<lb/>
andere Lehreinrichtungen, wie z. B. Schulmuseen, zu gründen und auf die ver¬<lb/>
schiedenste Weise China von ihrer Heil und Nutz bringenden Kultur und von<lb/>
ihrer wirtschaftlichen Überlegenheit zu überzeugen. Es ist deshalb dringend<lb/>
notwendig, daß auch Deutschland, sür dessen Kultur die Chinesen sehr empfäng¬<lb/>
lich sind, alles aufbietet, um in China zunächst einmal geistig in weiten: Um¬<lb/>
fange festen Fuß zu fassen. Dabei tut Eile not. Denn wenn die Chinesen<lb/>
erst zu Amerikanern und Engländern erzogen worden sind, so werden die wirt¬<lb/>
schaftlichen Schädigungen für Deutschland nicht mehr leicht abzuwenden sein.<lb/>
Von großem Wert ist für Deutschland dabei schon der erste Schritt auf diesem<lb/>
Wege, der im Jahre 1909 durch die Eröffnung der deutsch-chinesischen Hoch¬<lb/>
schule in Tsingtau getan wurde. Der Hochschule ist eine Übersetzungsanstalt an¬<lb/>
gegliedert. Sie hat in erster Linie deutsche Lehrbücher ins Chinesische zu übersetzen<lb/>
beziehungsweise umzuarbeiten und soll außerdem auch Übersetzungen aus der<lb/>
deutschen Literatur in China zu verbreiten suchen. Auch in diesem Punkte sind<lb/>
wir sehr zurück, denn Engländer, Amerikaner und Japaner sind seit Jahrzehnten<lb/>
an der Arbeit, China mit ihren literarischen Kulturerzeugnissen zu versorgen.<lb/>
Des weiteren besteht in Tsianfu, in der Provinz Schankung, also im Hinter¬<lb/>
kante von Kiautschau, eine deutsche Schule nach Art einer Mittelschule. Sie ist<lb/>
viel besucht, jedoch reichen die zwei deutschen, von der Reichsregierung bezahlten<lb/>
Lehrkräfte schon lange nicht mehr aus. Das Anschauungsmaterial ist sehr unzureichend,<lb/>
aber dringend notwendig, da die Chinesen nur bei genügender pmktischerVorführung<lb/>
technische und andere Dinge einigermaßen leicht begreisen können. Bitten an<lb/>
deutsche Industrielle in der Heimat seitens der Lehrer um Überlassung wenigstens<lb/>
alter und gebrauchter oder eventuell schon überlebter Modelle haben leider wenig</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0542] Reichsspiegel Reichsspiegel Deutsche Interessen in China Die geistige Revolution, die sich in China vollzieht, ist sür das Ausland wichtiger als die äußere Verwirrung und Umgestaltung in der Staatsverfassung. Die rein politischen Wirren sind zwar noch nicht vorüber, aber sie haben einen gewissen Abschluß erlangt; das geistige Erwachen in China hat jedoch nunmehr erst so recht begonnen und dürfte in der nächsten Zeit die größten Fortschritte machen. Man wird sich mit größtem Eifer auf das Studium der fremden, namentlich der abendländischen Kultur stürzen. Diese geistige Modernisierung Chinas muß aber bald von größtem Einfluß auf sein wirtschaftliches Leben und damit auf seine wirtschaftlichen und auch politischen Beziehungen zum Auslande werden. Derjenige der konkurrierenden ausländischen Staaten wird bei diesem Wettrennen den Sieg davon tragen, der es alsdann verstanden hat, seinen geistigen Einfluß am stärksten in China zu verbreiten. Abgesehen von Japan, das eine besondere Stellung einnimmt, haben vor allem Amerika und England dies erkannt. Beide Länder sind dabei, in China Schulen, Universitäten und andere Lehreinrichtungen, wie z. B. Schulmuseen, zu gründen und auf die ver¬ schiedenste Weise China von ihrer Heil und Nutz bringenden Kultur und von ihrer wirtschaftlichen Überlegenheit zu überzeugen. Es ist deshalb dringend notwendig, daß auch Deutschland, sür dessen Kultur die Chinesen sehr empfäng¬ lich sind, alles aufbietet, um in China zunächst einmal geistig in weiten: Um¬ fange festen Fuß zu fassen. Dabei tut Eile not. Denn wenn die Chinesen erst zu Amerikanern und Engländern erzogen worden sind, so werden die wirt¬ schaftlichen Schädigungen für Deutschland nicht mehr leicht abzuwenden sein. Von großem Wert ist für Deutschland dabei schon der erste Schritt auf diesem Wege, der im Jahre 1909 durch die Eröffnung der deutsch-chinesischen Hoch¬ schule in Tsingtau getan wurde. Der Hochschule ist eine Übersetzungsanstalt an¬ gegliedert. Sie hat in erster Linie deutsche Lehrbücher ins Chinesische zu übersetzen beziehungsweise umzuarbeiten und soll außerdem auch Übersetzungen aus der deutschen Literatur in China zu verbreiten suchen. Auch in diesem Punkte sind wir sehr zurück, denn Engländer, Amerikaner und Japaner sind seit Jahrzehnten an der Arbeit, China mit ihren literarischen Kulturerzeugnissen zu versorgen. Des weiteren besteht in Tsianfu, in der Provinz Schankung, also im Hinter¬ kante von Kiautschau, eine deutsche Schule nach Art einer Mittelschule. Sie ist viel besucht, jedoch reichen die zwei deutschen, von der Reichsregierung bezahlten Lehrkräfte schon lange nicht mehr aus. Das Anschauungsmaterial ist sehr unzureichend, aber dringend notwendig, da die Chinesen nur bei genügender pmktischerVorführung technische und andere Dinge einigermaßen leicht begreisen können. Bitten an deutsche Industrielle in der Heimat seitens der Lehrer um Überlassung wenigstens alter und gebrauchter oder eventuell schon überlebter Modelle haben leider wenig

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321746
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321746/542
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321746/542>, abgerufen am 05.05.2024.