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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr.

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Die Geschichte von Hakon, dem ^ohne Hareks
Die Sage vom "Gang nach dem Eisenhammer" in einer altnordischen Über¬
lieferung des vierzehnten Jahrhunderts
Übersetzt von Adolf Dreßler

s war einmal ein reicher Bauer, der Harel hieß; er wohnte im
Osten des Reiches des Königs von Norwegen, in Vit. und war
so wohlhabend, daß er zwölf Meierhöfe außer dem Hauptgehöfte,
auf dem er selbst saß, sein eigen nannte; er trieb einen lebhaften
Handel zur See, und seine Fahrten erstreckten sich nach allen
Richtungen, nach den Ländern der Ostsee und nach Deutschland, nach Flandern
und nach England. So kam es, daß er reich wurde an kostbaren
Kleinodien und an barem Gelde. Er gab jedes Jahr drei große Gelage,
zum Jul, zu Mitwinterszeit und zu Ostern. Wegen seiner Freigebigkeit stand
er bei den Leuten, in so großer Gunst, daß überall sein Lob erklang. Er hatte
einen Sohn namens Hakon; der war ein Mann von gutem Aussehen und
geschickt in allerlei Dingen.

Die Tage zogen dahin, bis Meister Harel einging zu seinen Vätern und
seinen ganzen Reichtum seinem einzigen Sohne hinterließ. Und als Hakon
sein Erbe angetreten hatte, verheiratete er sich nach dem Rate seiner Verwandten
und traf eine gute Wahl, indem er eine Frau aus angesehenen Geschlechte
heimführte.

Nach der Hochzeit merkte sein Weib bald, daß viel jugendliche Unbesonnen¬
heit in dem Gebühren des Gatten lag; denn er wollte so glanzvoll auf¬
treten wie sein Vater, aber Hareks Erwerbssinn und Tüchtigkeit fehlten ihm;
Hakon dachte nämlich mehr an Spiel und Lustbarkeiten und daran, täglich
Mahlzeiten und Trinkgelage zu veranstalten als an Erwerb und gute Wirt¬
schaft. Seine Frau hielt ihm das vor; denn sie war gesetzt in ihrem Wesen
und bedachtsam, wenn sie sich einer Sache annahm. Sie fragte ihn, was er
sich denn eigentlich denke; "wenn es auch," meinte sie, "um dein Vermögen
gut bestellt ist, so frommt es ihm doch wenig, wenn du es mit beiden Händen
ausstreust und dabei deine Obliegenheiten vernachlässigst; es wäre deshalb mein




Die Geschichte von Hakon, dem ^ohne Hareks
Die Sage vom „Gang nach dem Eisenhammer" in einer altnordischen Über¬
lieferung des vierzehnten Jahrhunderts
Übersetzt von Adolf Dreßler

s war einmal ein reicher Bauer, der Harel hieß; er wohnte im
Osten des Reiches des Königs von Norwegen, in Vit. und war
so wohlhabend, daß er zwölf Meierhöfe außer dem Hauptgehöfte,
auf dem er selbst saß, sein eigen nannte; er trieb einen lebhaften
Handel zur See, und seine Fahrten erstreckten sich nach allen
Richtungen, nach den Ländern der Ostsee und nach Deutschland, nach Flandern
und nach England. So kam es, daß er reich wurde an kostbaren
Kleinodien und an barem Gelde. Er gab jedes Jahr drei große Gelage,
zum Jul, zu Mitwinterszeit und zu Ostern. Wegen seiner Freigebigkeit stand
er bei den Leuten, in so großer Gunst, daß überall sein Lob erklang. Er hatte
einen Sohn namens Hakon; der war ein Mann von gutem Aussehen und
geschickt in allerlei Dingen.

Die Tage zogen dahin, bis Meister Harel einging zu seinen Vätern und
seinen ganzen Reichtum seinem einzigen Sohne hinterließ. Und als Hakon
sein Erbe angetreten hatte, verheiratete er sich nach dem Rate seiner Verwandten
und traf eine gute Wahl, indem er eine Frau aus angesehenen Geschlechte
heimführte.

Nach der Hochzeit merkte sein Weib bald, daß viel jugendliche Unbesonnen¬
heit in dem Gebühren des Gatten lag; denn er wollte so glanzvoll auf¬
treten wie sein Vater, aber Hareks Erwerbssinn und Tüchtigkeit fehlten ihm;
Hakon dachte nämlich mehr an Spiel und Lustbarkeiten und daran, täglich
Mahlzeiten und Trinkgelage zu veranstalten als an Erwerb und gute Wirt¬
schaft. Seine Frau hielt ihm das vor; denn sie war gesetzt in ihrem Wesen
und bedachtsam, wenn sie sich einer Sache annahm. Sie fragte ihn, was er
sich denn eigentlich denke; „wenn es auch," meinte sie, „um dein Vermögen
gut bestellt ist, so frommt es ihm doch wenig, wenn du es mit beiden Händen
ausstreust und dabei deine Obliegenheiten vernachlässigst; es wäre deshalb mein


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[0224] [Abbildung] Die Geschichte von Hakon, dem ^ohne Hareks Die Sage vom „Gang nach dem Eisenhammer" in einer altnordischen Über¬ lieferung des vierzehnten Jahrhunderts Übersetzt von Adolf Dreßler s war einmal ein reicher Bauer, der Harel hieß; er wohnte im Osten des Reiches des Königs von Norwegen, in Vit. und war so wohlhabend, daß er zwölf Meierhöfe außer dem Hauptgehöfte, auf dem er selbst saß, sein eigen nannte; er trieb einen lebhaften Handel zur See, und seine Fahrten erstreckten sich nach allen Richtungen, nach den Ländern der Ostsee und nach Deutschland, nach Flandern und nach England. So kam es, daß er reich wurde an kostbaren Kleinodien und an barem Gelde. Er gab jedes Jahr drei große Gelage, zum Jul, zu Mitwinterszeit und zu Ostern. Wegen seiner Freigebigkeit stand er bei den Leuten, in so großer Gunst, daß überall sein Lob erklang. Er hatte einen Sohn namens Hakon; der war ein Mann von gutem Aussehen und geschickt in allerlei Dingen. Die Tage zogen dahin, bis Meister Harel einging zu seinen Vätern und seinen ganzen Reichtum seinem einzigen Sohne hinterließ. Und als Hakon sein Erbe angetreten hatte, verheiratete er sich nach dem Rate seiner Verwandten und traf eine gute Wahl, indem er eine Frau aus angesehenen Geschlechte heimführte. Nach der Hochzeit merkte sein Weib bald, daß viel jugendliche Unbesonnen¬ heit in dem Gebühren des Gatten lag; denn er wollte so glanzvoll auf¬ treten wie sein Vater, aber Hareks Erwerbssinn und Tüchtigkeit fehlten ihm; Hakon dachte nämlich mehr an Spiel und Lustbarkeiten und daran, täglich Mahlzeiten und Trinkgelage zu veranstalten als an Erwerb und gute Wirt¬ schaft. Seine Frau hielt ihm das vor; denn sie war gesetzt in ihrem Wesen und bedachtsam, wenn sie sich einer Sache annahm. Sie fragte ihn, was er sich denn eigentlich denke; „wenn es auch," meinte sie, „um dein Vermögen gut bestellt ist, so frommt es ihm doch wenig, wenn du es mit beiden Händen ausstreust und dabei deine Obliegenheiten vernachlässigst; es wäre deshalb mein

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326811/224>, abgerufen am 28.04.2024.