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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

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auch dieses sich stofflich so sehr empfehlenden
Teiles ist genau so dünn und matt und rasch
verfliegend wie alles, was das Buch sonst an
Konflikten und Verwirrungen und Losungen
und Katastrophen auf seinen 367 Seiten bringt.

Das vorjährige Hauptmann-Jubiläum hat
natürlich eine geradezu chaotische Fülle von
Festartikeln ausgelöst, die mit ihrem Pathos
und ihrem notwendig geschraubten Ton der
Wahrheit im großen und ganzen herzlich
schlecht gedient haben. Sie sind denn auch
sehr bald wieder verschwunden, ohne die ge¬
ringste Spur ihres Daseins zurückzulassen.

Dagegen erheben zwei kritische Bücher,
die sich mit dem Gerhart Hauptmannschen
Lebenswerke auseinandersetzen, den Anspruch
auf eine etwas weitergehende Beachtung. Das
erste und bedeutsamste von ihnen ist der statt¬
liche Band, den Paul Schlenther, der treueste
Apostel und Wegebahner des Dichters, jetzt
zum zweiten Male herausgibt: GerhartHaupt-
mann. Leben und Werke. <S. Fischer,
Berlin) DaS Buch, das in den starken Ein¬
drücken der Hauptmannschen Anfänge seine
Wurzeln hat, ist zum ersten Male im Jahre
1896 erschienen und nachträglich von seinem
Verfasser bis auf die Gegenwart weitergeführt
worden. Vom objektiven Standpunkt aus
wird man die Schlenthersche Biographie nicht
sonderlich hoch einschätzen können. Ihre
Werte liegen eben gerade in der oft heraus¬
fordernden Subjektivität ihrer Betrachtungs¬
weise, in der aus persönlicher Freundschaft
gezeugten intimen Kenntnis der Hauptmann¬
schen Lebensschicksale, in dem völligen Ver¬
wachsensein mit der Welt und mit dem
Streben des Dichters, in dem bedingungslosen
Glauben an eben diese Welt und an eben
dies Streben, und vor allem in jener un¬
genießbaren Waffenbrüderschaft, die in heißen
Kampfjahren geschlossen wurde und über alle
Fährnisse hinweg gehalten hat. Vor den
Schlentherschen Superlativen wird man oft
genug den Kopf schütteln, oft genug feststellen
müssen, daß der fröhliche Optimismus in
Sachen Hauptmann der Wucht der Tatsachen
gegenüber denn doch nicht standhält. Aber
gleichzeitig wird man aus Gründen historischer
Gerechtigkeit einräumen müssen, daß dieser
Mann so über Gerhart Hauptmann schreiben
durfte und schreiben darf. Von solchen aus¬

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schließlich Persönlichen oder, wenn man will,
historischen Gesichtspunkten aus muß Paul
Schlenthers Buch genommen und gewertet
werden.

Wieviel Bedeutsames und Dankenswertes
übrigens das von Schlenther beigebrachte
Material enthält, das lehrt schon ein flüchtiger
Blick in das zweite kürzlich erschienene Haupt¬
mann-Buch von Kurt Sternverg: Gerhart
Hauptmann. Der Entwicklungsgang seiner
Dichtungen. (Im Verlag Neues Leben.
Wilhelm Borngräber.) Sternberg bezieht
fast sein ganzes Positives Wissen von Schlenther,
und die ganze Art und Weise, wie er ihn
benutzt und zitiert, beweist zur Genüge, daß
das Schlenthersche Buch für die Hauptmann-
Philologie das grundlegende 3wnäÄr6-^vorK
ist und vorläufig wohl auch bleiben wird.
Im übrigen ist das einzige, was man dem
Sternbergschen Buche nachrühmen kann, ein
gewisser kritischer Blick seinem Dichter gegen¬
über, eine gewisse Distanz, aus der heraus
ein neutralerer Zeitgenosse das Hauptmcmnsche
Werk sichtet und Prüft. sprachlich, Mistisch
und auch künstlerisch steht es mit seinem
nüchternen und doktrinären Ton klaftertief
unter dem gewiß nicht zuverlässigen, aber von
einer brennenden Liebe bestrahlten und damit
gerechtfertigten Buche Paul Schlenthers.

Dr. Arthur ZVestphal
Philipp Witkop: Die neuere deutsche

Lyrik.

(B. G. Teubner, Leipzig. Jeder Band
br. 6 Mark, geb. 6 Mark.) Man muß, wenn
man diese beiden Bände studiert, stets in Er¬
innerung haben, was der Verfasser im Vor¬
wort auseinandersetzt. Es heißt dort: "Kunst
ist geformtes Leben. Leben aber ist der
Grenzbegriff aller Wissenschaft. Sie mag die
Gegenständlichkeit des Lebens, sie mag die
Gegenständlichkeit der künstlerischen Form fest¬
stellen. Aber sie wird nie die Notwendigkeit
ergründen können, in der beide sich fanden
und verbanden. Diese Notwendigkeit gründet
in einer höheren Einheit, einem Dritten, das
der gegenständlichen Forschung entrückt ist.
Sie ruht im Lebensgefühl des Künstlers-
Alle großen künstlerischen Individualitäten sind
zugleich ewige Menschheitstypen, stellen irgend¬
ein letztmögliches Verhältnis des Menschen zu
seinen ewigen Fragen und Problemen typisch

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

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auch dieses sich stofflich so sehr empfehlenden
Teiles ist genau so dünn und matt und rasch
verfliegend wie alles, was das Buch sonst an
Konflikten und Verwirrungen und Losungen
und Katastrophen auf seinen 367 Seiten bringt.

Das vorjährige Hauptmann-Jubiläum hat
natürlich eine geradezu chaotische Fülle von
Festartikeln ausgelöst, die mit ihrem Pathos
und ihrem notwendig geschraubten Ton der
Wahrheit im großen und ganzen herzlich
schlecht gedient haben. Sie sind denn auch
sehr bald wieder verschwunden, ohne die ge¬
ringste Spur ihres Daseins zurückzulassen.

Dagegen erheben zwei kritische Bücher,
die sich mit dem Gerhart Hauptmannschen
Lebenswerke auseinandersetzen, den Anspruch
auf eine etwas weitergehende Beachtung. Das
erste und bedeutsamste von ihnen ist der statt¬
liche Band, den Paul Schlenther, der treueste
Apostel und Wegebahner des Dichters, jetzt
zum zweiten Male herausgibt: GerhartHaupt-
mann. Leben und Werke. <S. Fischer,
Berlin) DaS Buch, das in den starken Ein¬
drücken der Hauptmannschen Anfänge seine
Wurzeln hat, ist zum ersten Male im Jahre
1896 erschienen und nachträglich von seinem
Verfasser bis auf die Gegenwart weitergeführt
worden. Vom objektiven Standpunkt aus
wird man die Schlenthersche Biographie nicht
sonderlich hoch einschätzen können. Ihre
Werte liegen eben gerade in der oft heraus¬
fordernden Subjektivität ihrer Betrachtungs¬
weise, in der aus persönlicher Freundschaft
gezeugten intimen Kenntnis der Hauptmann¬
schen Lebensschicksale, in dem völligen Ver¬
wachsensein mit der Welt und mit dem
Streben des Dichters, in dem bedingungslosen
Glauben an eben diese Welt und an eben
dies Streben, und vor allem in jener un¬
genießbaren Waffenbrüderschaft, die in heißen
Kampfjahren geschlossen wurde und über alle
Fährnisse hinweg gehalten hat. Vor den
Schlentherschen Superlativen wird man oft
genug den Kopf schütteln, oft genug feststellen
müssen, daß der fröhliche Optimismus in
Sachen Hauptmann der Wucht der Tatsachen
gegenüber denn doch nicht standhält. Aber
gleichzeitig wird man aus Gründen historischer
Gerechtigkeit einräumen müssen, daß dieser
Mann so über Gerhart Hauptmann schreiben
durfte und schreiben darf. Von solchen aus¬

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schließlich Persönlichen oder, wenn man will,
historischen Gesichtspunkten aus muß Paul
Schlenthers Buch genommen und gewertet
werden.

Wieviel Bedeutsames und Dankenswertes
übrigens das von Schlenther beigebrachte
Material enthält, das lehrt schon ein flüchtiger
Blick in das zweite kürzlich erschienene Haupt¬
mann-Buch von Kurt Sternverg: Gerhart
Hauptmann. Der Entwicklungsgang seiner
Dichtungen. (Im Verlag Neues Leben.
Wilhelm Borngräber.) Sternberg bezieht
fast sein ganzes Positives Wissen von Schlenther,
und die ganze Art und Weise, wie er ihn
benutzt und zitiert, beweist zur Genüge, daß
das Schlenthersche Buch für die Hauptmann-
Philologie das grundlegende 3wnäÄr6-^vorK
ist und vorläufig wohl auch bleiben wird.
Im übrigen ist das einzige, was man dem
Sternbergschen Buche nachrühmen kann, ein
gewisser kritischer Blick seinem Dichter gegen¬
über, eine gewisse Distanz, aus der heraus
ein neutralerer Zeitgenosse das Hauptmcmnsche
Werk sichtet und Prüft. sprachlich, Mistisch
und auch künstlerisch steht es mit seinem
nüchternen und doktrinären Ton klaftertief
unter dem gewiß nicht zuverlässigen, aber von
einer brennenden Liebe bestrahlten und damit
gerechtfertigten Buche Paul Schlenthers.

Dr. Arthur ZVestphal
Philipp Witkop: Die neuere deutsche

Lyrik.

(B. G. Teubner, Leipzig. Jeder Band
br. 6 Mark, geb. 6 Mark.) Man muß, wenn
man diese beiden Bände studiert, stets in Er¬
innerung haben, was der Verfasser im Vor¬
wort auseinandersetzt. Es heißt dort: „Kunst
ist geformtes Leben. Leben aber ist der
Grenzbegriff aller Wissenschaft. Sie mag die
Gegenständlichkeit des Lebens, sie mag die
Gegenständlichkeit der künstlerischen Form fest¬
stellen. Aber sie wird nie die Notwendigkeit
ergründen können, in der beide sich fanden
und verbanden. Diese Notwendigkeit gründet
in einer höheren Einheit, einem Dritten, das
der gegenständlichen Forschung entrückt ist.
Sie ruht im Lebensgefühl des Künstlers-
Alle großen künstlerischen Individualitäten sind
zugleich ewige Menschheitstypen, stellen irgend¬
ein letztmögliches Verhältnis des Menschen zu
seinen ewigen Fragen und Problemen typisch

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[0248] Maßgebliches und Unmaßgebliches auch dieses sich stofflich so sehr empfehlenden Teiles ist genau so dünn und matt und rasch verfliegend wie alles, was das Buch sonst an Konflikten und Verwirrungen und Losungen und Katastrophen auf seinen 367 Seiten bringt. Das vorjährige Hauptmann-Jubiläum hat natürlich eine geradezu chaotische Fülle von Festartikeln ausgelöst, die mit ihrem Pathos und ihrem notwendig geschraubten Ton der Wahrheit im großen und ganzen herzlich schlecht gedient haben. Sie sind denn auch sehr bald wieder verschwunden, ohne die ge¬ ringste Spur ihres Daseins zurückzulassen. Dagegen erheben zwei kritische Bücher, die sich mit dem Gerhart Hauptmannschen Lebenswerke auseinandersetzen, den Anspruch auf eine etwas weitergehende Beachtung. Das erste und bedeutsamste von ihnen ist der statt¬ liche Band, den Paul Schlenther, der treueste Apostel und Wegebahner des Dichters, jetzt zum zweiten Male herausgibt: GerhartHaupt- mann. Leben und Werke. <S. Fischer, Berlin) DaS Buch, das in den starken Ein¬ drücken der Hauptmannschen Anfänge seine Wurzeln hat, ist zum ersten Male im Jahre 1896 erschienen und nachträglich von seinem Verfasser bis auf die Gegenwart weitergeführt worden. Vom objektiven Standpunkt aus wird man die Schlenthersche Biographie nicht sonderlich hoch einschätzen können. Ihre Werte liegen eben gerade in der oft heraus¬ fordernden Subjektivität ihrer Betrachtungs¬ weise, in der aus persönlicher Freundschaft gezeugten intimen Kenntnis der Hauptmann¬ schen Lebensschicksale, in dem völligen Ver¬ wachsensein mit der Welt und mit dem Streben des Dichters, in dem bedingungslosen Glauben an eben diese Welt und an eben dies Streben, und vor allem in jener un¬ genießbaren Waffenbrüderschaft, die in heißen Kampfjahren geschlossen wurde und über alle Fährnisse hinweg gehalten hat. Vor den Schlentherschen Superlativen wird man oft genug den Kopf schütteln, oft genug feststellen müssen, daß der fröhliche Optimismus in Sachen Hauptmann der Wucht der Tatsachen gegenüber denn doch nicht standhält. Aber gleichzeitig wird man aus Gründen historischer Gerechtigkeit einräumen müssen, daß dieser Mann so über Gerhart Hauptmann schreiben durfte und schreiben darf. Von solchen aus¬ schließlich Persönlichen oder, wenn man will, historischen Gesichtspunkten aus muß Paul Schlenthers Buch genommen und gewertet werden. Wieviel Bedeutsames und Dankenswertes übrigens das von Schlenther beigebrachte Material enthält, das lehrt schon ein flüchtiger Blick in das zweite kürzlich erschienene Haupt¬ mann-Buch von Kurt Sternverg: Gerhart Hauptmann. Der Entwicklungsgang seiner Dichtungen. (Im Verlag Neues Leben. Wilhelm Borngräber.) Sternberg bezieht fast sein ganzes Positives Wissen von Schlenther, und die ganze Art und Weise, wie er ihn benutzt und zitiert, beweist zur Genüge, daß das Schlenthersche Buch für die Hauptmann- Philologie das grundlegende 3wnäÄr6-^vorK ist und vorläufig wohl auch bleiben wird. Im übrigen ist das einzige, was man dem Sternbergschen Buche nachrühmen kann, ein gewisser kritischer Blick seinem Dichter gegen¬ über, eine gewisse Distanz, aus der heraus ein neutralerer Zeitgenosse das Hauptmcmnsche Werk sichtet und Prüft. sprachlich, Mistisch und auch künstlerisch steht es mit seinem nüchternen und doktrinären Ton klaftertief unter dem gewiß nicht zuverlässigen, aber von einer brennenden Liebe bestrahlten und damit gerechtfertigten Buche Paul Schlenthers. Dr. Arthur ZVestphal Philipp Witkop: Die neuere deutsche Lyrik. (B. G. Teubner, Leipzig. Jeder Band br. 6 Mark, geb. 6 Mark.) Man muß, wenn man diese beiden Bände studiert, stets in Er¬ innerung haben, was der Verfasser im Vor¬ wort auseinandersetzt. Es heißt dort: „Kunst ist geformtes Leben. Leben aber ist der Grenzbegriff aller Wissenschaft. Sie mag die Gegenständlichkeit des Lebens, sie mag die Gegenständlichkeit der künstlerischen Form fest¬ stellen. Aber sie wird nie die Notwendigkeit ergründen können, in der beide sich fanden und verbanden. Diese Notwendigkeit gründet in einer höheren Einheit, einem Dritten, das der gegenständlichen Forschung entrückt ist. Sie ruht im Lebensgefühl des Künstlers- Alle großen künstlerischen Individualitäten sind zugleich ewige Menschheitstypen, stellen irgend¬ ein letztmögliches Verhältnis des Menschen zu seinen ewigen Fragen und Problemen typisch

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326811/248>, abgerufen am 28.04.2024.