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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr.

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Neue Lyrik von Ernst Ludwig Schellenberg

it stiller Freude und wachsender Anteilnahme las ich die "Aus¬
gewählten Gedichte" von Martin Boelitz (Verlag Fritz Eckardt,
Leipzig). In diesem Buche ist ein mildes, gütiges Klingen, eine
sanft werbende Melodie. Boelitz geht ruhig, unbeirrt seines
Weges; das laute Feldgeschrei mancher Modernen vermag ihn
nicht zu bestimmen. Eine starke, keusche Ehrlichkeit ist in ihm wach, und so
singt er seine Lieder, weil ihm das Herz gebietet. Die Revolution der Lyrik,
die jetzt wieder proklamiert wird (als ob' sich solche Bewegungen nicht längst
vorbereitet hätten und durch die natürliche Entwickelung bedingt wären!) ist
jedenfalls äußerlich nicht bei Boelitz zu finden; diese Selbstbezwingung, die Er¬
kenntnis seiner Grenzen macht ihn lieb und schätzenswert. Der Deutsche verlangt
vor allem Tiefsinn und ist schon entzückt, wenn jemand mit schwermütiger Miene
Unsinn orakelt. Als ob ein innerlich geschlossenes, bezwungenes Kunstwerk nicht
an sich schon hochpreislich wäre! Auch wenn es ein schlichtes Lied ohne mystische
Nebenabsichten ist! Boelitz ist weit entfernt von Süßlichkeit; ihm wohnt eine
männliche Kraft inne. Manche seiner schönen Verse zeugen von Ringen und
Überwindung.

Ich will aus dem sorgfältig gedruckten Buche, das mit einem Bildnis des
Dichters geziert ist, nur einige Gedichte mit Namen nennen, die mir besonders
wertvoll erscheinen: "Über goldnen Ähren", "Wanderung", "Um die zwölfte
Stunde", "SommersckMile", "Verfärbtes Laub", "Das Dorf". "Abend",
"Melancholie". Und als Probe stehe hier das köstliche, schlichtinnige "Lied der
Frau" mit seiner keuschen Hingabe:

Wer hätte gedacht.
Daß die Rosen so schnell verwehen!
In einer stillen Sommernacht
Ist es geschehen.
Klingen und Singen
War unsre junge Seligkeit,
Ein Spiel mit goldnen Ringe
In süßer Heimlichkeit.



Neue Lyrik von Ernst Ludwig Schellenberg

it stiller Freude und wachsender Anteilnahme las ich die „Aus¬
gewählten Gedichte" von Martin Boelitz (Verlag Fritz Eckardt,
Leipzig). In diesem Buche ist ein mildes, gütiges Klingen, eine
sanft werbende Melodie. Boelitz geht ruhig, unbeirrt seines
Weges; das laute Feldgeschrei mancher Modernen vermag ihn
nicht zu bestimmen. Eine starke, keusche Ehrlichkeit ist in ihm wach, und so
singt er seine Lieder, weil ihm das Herz gebietet. Die Revolution der Lyrik,
die jetzt wieder proklamiert wird (als ob' sich solche Bewegungen nicht längst
vorbereitet hätten und durch die natürliche Entwickelung bedingt wären!) ist
jedenfalls äußerlich nicht bei Boelitz zu finden; diese Selbstbezwingung, die Er¬
kenntnis seiner Grenzen macht ihn lieb und schätzenswert. Der Deutsche verlangt
vor allem Tiefsinn und ist schon entzückt, wenn jemand mit schwermütiger Miene
Unsinn orakelt. Als ob ein innerlich geschlossenes, bezwungenes Kunstwerk nicht
an sich schon hochpreislich wäre! Auch wenn es ein schlichtes Lied ohne mystische
Nebenabsichten ist! Boelitz ist weit entfernt von Süßlichkeit; ihm wohnt eine
männliche Kraft inne. Manche seiner schönen Verse zeugen von Ringen und
Überwindung.

Ich will aus dem sorgfältig gedruckten Buche, das mit einem Bildnis des
Dichters geziert ist, nur einige Gedichte mit Namen nennen, die mir besonders
wertvoll erscheinen: „Über goldnen Ähren", „Wanderung", „Um die zwölfte
Stunde", „SommersckMile", „Verfärbtes Laub", „Das Dorf". „Abend",
„Melancholie". Und als Probe stehe hier das köstliche, schlichtinnige „Lied der
Frau" mit seiner keuschen Hingabe:

Wer hätte gedacht.
Daß die Rosen so schnell verwehen!
In einer stillen Sommernacht
Ist es geschehen.
Klingen und Singen
War unsre junge Seligkeit,
Ein Spiel mit goldnen Ringe
In süßer Heimlichkeit.

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[0388] [Abbildung] Neue Lyrik von Ernst Ludwig Schellenberg it stiller Freude und wachsender Anteilnahme las ich die „Aus¬ gewählten Gedichte" von Martin Boelitz (Verlag Fritz Eckardt, Leipzig). In diesem Buche ist ein mildes, gütiges Klingen, eine sanft werbende Melodie. Boelitz geht ruhig, unbeirrt seines Weges; das laute Feldgeschrei mancher Modernen vermag ihn nicht zu bestimmen. Eine starke, keusche Ehrlichkeit ist in ihm wach, und so singt er seine Lieder, weil ihm das Herz gebietet. Die Revolution der Lyrik, die jetzt wieder proklamiert wird (als ob' sich solche Bewegungen nicht längst vorbereitet hätten und durch die natürliche Entwickelung bedingt wären!) ist jedenfalls äußerlich nicht bei Boelitz zu finden; diese Selbstbezwingung, die Er¬ kenntnis seiner Grenzen macht ihn lieb und schätzenswert. Der Deutsche verlangt vor allem Tiefsinn und ist schon entzückt, wenn jemand mit schwermütiger Miene Unsinn orakelt. Als ob ein innerlich geschlossenes, bezwungenes Kunstwerk nicht an sich schon hochpreislich wäre! Auch wenn es ein schlichtes Lied ohne mystische Nebenabsichten ist! Boelitz ist weit entfernt von Süßlichkeit; ihm wohnt eine männliche Kraft inne. Manche seiner schönen Verse zeugen von Ringen und Überwindung. Ich will aus dem sorgfältig gedruckten Buche, das mit einem Bildnis des Dichters geziert ist, nur einige Gedichte mit Namen nennen, die mir besonders wertvoll erscheinen: „Über goldnen Ähren", „Wanderung", „Um die zwölfte Stunde", „SommersckMile", „Verfärbtes Laub", „Das Dorf". „Abend", „Melancholie". Und als Probe stehe hier das köstliche, schlichtinnige „Lied der Frau" mit seiner keuschen Hingabe: Wer hätte gedacht. Daß die Rosen so schnell verwehen! In einer stillen Sommernacht Ist es geschehen. Klingen und Singen War unsre junge Seligkeit, Ein Spiel mit goldnen Ringe In süßer Heimlichkeit.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326811/388>, abgerufen am 27.04.2024.