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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr.

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Humanisten und Germanisten

Massenbewegung in sich zurückgeworfen. Allein dieses Gegners Massen vermochten
ihn nicht zu bezwingen. Er sand hier wohl eine Grenze seiner Macht, nicht
aber ein Ende derselben. Erst germanische Tatkraft, die in ihrem Sinn für
Enthaltung und Gestaltung die Voraussetzungen seines eigenen Wesens teilte,
konnte ihn gleichsam von innen her überwältigen. Dies bedeuten Leipzig und
Waterloo: bloß durch die Tat konnte die Tat überwunden werden,
freilich bloß durch eine solche, die die Weihe des Geistes empfangen
hatte.




Humanisten und Germanisten im Kampf um unsere
höhere Jugendbildung
von Gymnasialdirektor Dr. Paul Lorentz

as "getrennt Marschieren, aber vereint Schlagen" ist das bewährte
Verfahren gewesen, durch das unsere deutschen Heere ihre unver¬
gleichlichen Erfolge erreichten, Erfolge, die mit der Schöpfung der
politischen Einheit eine ganz unzweifelhafte Stärkung deutsch¬
nationaler Kultur überhaupt herbeiführten. "Getrennt marschieren,
ober vereint schlagen," das war die Losung auch bei der Erteilung der Gleich¬
berechtigung an die drei Gattungen von Schulen, die für unsere höhere deutsche
Jugendbildung sich allmählich herausgehoben hatten. Je mehr aber die ge¬
forderte und gewährte Möglichkeit, die Eigenart einer jeden Schulgattung
kräftiger zu pflegen, seit nunmehr zwölf Jahren in die Wirklichkeit umgesetzt
wird, desto empfindlicher tritt sür den aufmerksamen Beobachter ein Mangel
hervor, der unter der früheren Alleinherrschaft der einen Schulart, des huma¬
nistischen Gymnasiums, kaum zum Bewußtsein gekommen war. Wir haben
nämlich gar kein deutlich bezeichnetes gemeinsames Ziel, das jede der drei
Schulgattungen auf dem Wege der Ausbildung ihrer Eigenart erreichen soll.
In den amtlichen Lehrplänen steht nichts darüber, und bei Verhandlungen über
Grundfragen unseres höheren Schulwesens ist es bisher auch gar nicht mit dem
erforderlichen Nachdruck erörtert worden. Die Lehrpläne, die wohl das Lehrziel
für jedes einzelne Unterrichtsfach angeben, sagen auch nichts über dasjenige Ziel,
auf das die Arbeit aller Fächer bei jeder einzelnen der drei Schularten hin¬
zusteuern hätte. Ohne ein allen gemeinsames Ziel aber wird jedes jener großen
Armeekorps unserer Jugendbildung wohl erfreuliche Siege an einzelnen Punkten
erringen können, es wird aber die Wucht und Stoßkraft fehlen müssen, die nur
der gemeinsam gelieferten Schlacht eigen ist.


Humanisten und Germanisten

Massenbewegung in sich zurückgeworfen. Allein dieses Gegners Massen vermochten
ihn nicht zu bezwingen. Er sand hier wohl eine Grenze seiner Macht, nicht
aber ein Ende derselben. Erst germanische Tatkraft, die in ihrem Sinn für
Enthaltung und Gestaltung die Voraussetzungen seines eigenen Wesens teilte,
konnte ihn gleichsam von innen her überwältigen. Dies bedeuten Leipzig und
Waterloo: bloß durch die Tat konnte die Tat überwunden werden,
freilich bloß durch eine solche, die die Weihe des Geistes empfangen
hatte.




Humanisten und Germanisten im Kampf um unsere
höhere Jugendbildung
von Gymnasialdirektor Dr. Paul Lorentz

as „getrennt Marschieren, aber vereint Schlagen" ist das bewährte
Verfahren gewesen, durch das unsere deutschen Heere ihre unver¬
gleichlichen Erfolge erreichten, Erfolge, die mit der Schöpfung der
politischen Einheit eine ganz unzweifelhafte Stärkung deutsch¬
nationaler Kultur überhaupt herbeiführten. „Getrennt marschieren,
ober vereint schlagen," das war die Losung auch bei der Erteilung der Gleich¬
berechtigung an die drei Gattungen von Schulen, die für unsere höhere deutsche
Jugendbildung sich allmählich herausgehoben hatten. Je mehr aber die ge¬
forderte und gewährte Möglichkeit, die Eigenart einer jeden Schulgattung
kräftiger zu pflegen, seit nunmehr zwölf Jahren in die Wirklichkeit umgesetzt
wird, desto empfindlicher tritt sür den aufmerksamen Beobachter ein Mangel
hervor, der unter der früheren Alleinherrschaft der einen Schulart, des huma¬
nistischen Gymnasiums, kaum zum Bewußtsein gekommen war. Wir haben
nämlich gar kein deutlich bezeichnetes gemeinsames Ziel, das jede der drei
Schulgattungen auf dem Wege der Ausbildung ihrer Eigenart erreichen soll.
In den amtlichen Lehrplänen steht nichts darüber, und bei Verhandlungen über
Grundfragen unseres höheren Schulwesens ist es bisher auch gar nicht mit dem
erforderlichen Nachdruck erörtert worden. Die Lehrpläne, die wohl das Lehrziel
für jedes einzelne Unterrichtsfach angeben, sagen auch nichts über dasjenige Ziel,
auf das die Arbeit aller Fächer bei jeder einzelnen der drei Schularten hin¬
zusteuern hätte. Ohne ein allen gemeinsames Ziel aber wird jedes jener großen
Armeekorps unserer Jugendbildung wohl erfreuliche Siege an einzelnen Punkten
erringen können, es wird aber die Wucht und Stoßkraft fehlen müssen, die nur
der gemeinsam gelieferten Schlacht eigen ist.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326811/601>, abgerufen am 27.04.2024.