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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Erstes Vierteljahr.

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Kriegerische Volkspoesie
Dr. Linn Lohn-Bonn Von(Schluß)

Bald begann die tröst- und freudlose Zeit des dreißigjährigen Krieges.
Die tiefe politische und kirchliche Entzweiung, in der aller Nationalsinn zugrunde
ging, mußte natürlich auch das Kriegshandwerk herunterbringen, so weit es
noch herunterzubringen war. "Beute war der unsichere Gewinn, sür den der
Soldat sein Leben einsetzte, auf sie zu hoffen, die traurige Poesie, die ihn in
verzweifelter Lage aufrecht erhielt." (Gustav Freytag.) Daß bei solcher Seelen¬
verwüstung keine sangbare Art entstehen konnte, und das, was entstand, bis
auf dürftige Trümmer verklungen ist, ist verständlich. Zudem machte sich
damals unter fremdländischen Einfluß eine sonderbare Art von Kriegsdichtung
geltend, eine verschnörkelt "alamodische" Poesie, die mehr galant als soldatisch
war. und in der Gott Amor öfter eine größere Rolle spielte, als der dräuende
Kriegsgott Mars. Nur selten finden wir ein so forsches und schneidiges Lied
wie das der Mansfeldischen über den Sieg bei Wiesloch im Jahre 1622:

[Beginn Spaltensatz] Wir haben den Tilly aufs Haupt geschlagen
Und täten ihn aus dem Felde jagen,
Der Schimpf, der wird sich machen,
Mit Gottes Hülf und unserm Schwert
Ihm teuer gemacht sein Lachen -- ja Lachen. [Spaltenumbruch] Es gab ein blutig Retirad,
Dabei auch noch gar mancher hat
Sein jung frisch Leben verloren,
Den nun sein Mütterlein beweint,
Die ihn in Schmerzen geboren -- geboren. [Ende Spaltensatz]

Im allgemeinen aber kam man über Schimpf- und Spottverse nicht hinaus.
So sangen die Schwedischen nach dem Siege über Tilly bei Breitenfeld (1631):

[Beginn Spaltensatz] Zeuch, Fabler, zeuch,
Bälde woll'n wir'n Tilly dreschen,
Woll'n ihm geb'n in Kraut zu fressen.
Zeuch, Fabler, zeuch. [Spaltenumbruch] Fleuch, Tilly, fleuch,
Aus Untersachsen nach Halle zu,
Zum neuen Krieg lauf neue Schuh'
Fleuch, Tilly, fleuch. [Ende Spaltensatz]
Fleuch, Tilly, fleuch,
Das Konfekt ist vergiftet worden,
Du bist nun in der' Hasen Orden,
Fleuch, Tilly, fleuch

Es schien, als wäre der Stern soldatischen Sanges am Erblassen. Wie
wir aber manchmal wie durch ein Wunder im dürresten Land die blaueste
Blume finden, so haben uns jene trostlosen Tage doch ein Lied gesungen, das
golden nicht nur den Sang dieser, sondern aller Zeiten überstrahlt, das Soldaten¬
lied aller Soldatenlieder, mit dem noch heute bei uns die Tapferen im Felde
begraben werden:




Kriegerische Volkspoesie
Dr. Linn Lohn-Bonn Von(Schluß)

Bald begann die tröst- und freudlose Zeit des dreißigjährigen Krieges.
Die tiefe politische und kirchliche Entzweiung, in der aller Nationalsinn zugrunde
ging, mußte natürlich auch das Kriegshandwerk herunterbringen, so weit es
noch herunterzubringen war. „Beute war der unsichere Gewinn, sür den der
Soldat sein Leben einsetzte, auf sie zu hoffen, die traurige Poesie, die ihn in
verzweifelter Lage aufrecht erhielt." (Gustav Freytag.) Daß bei solcher Seelen¬
verwüstung keine sangbare Art entstehen konnte, und das, was entstand, bis
auf dürftige Trümmer verklungen ist, ist verständlich. Zudem machte sich
damals unter fremdländischen Einfluß eine sonderbare Art von Kriegsdichtung
geltend, eine verschnörkelt „alamodische" Poesie, die mehr galant als soldatisch
war. und in der Gott Amor öfter eine größere Rolle spielte, als der dräuende
Kriegsgott Mars. Nur selten finden wir ein so forsches und schneidiges Lied
wie das der Mansfeldischen über den Sieg bei Wiesloch im Jahre 1622:

[Beginn Spaltensatz] Wir haben den Tilly aufs Haupt geschlagen
Und täten ihn aus dem Felde jagen,
Der Schimpf, der wird sich machen,
Mit Gottes Hülf und unserm Schwert
Ihm teuer gemacht sein Lachen — ja Lachen. [Spaltenumbruch] Es gab ein blutig Retirad,
Dabei auch noch gar mancher hat
Sein jung frisch Leben verloren,
Den nun sein Mütterlein beweint,
Die ihn in Schmerzen geboren — geboren. [Ende Spaltensatz]

Im allgemeinen aber kam man über Schimpf- und Spottverse nicht hinaus.
So sangen die Schwedischen nach dem Siege über Tilly bei Breitenfeld (1631):

[Beginn Spaltensatz] Zeuch, Fabler, zeuch,
Bälde woll'n wir'n Tilly dreschen,
Woll'n ihm geb'n in Kraut zu fressen.
Zeuch, Fabler, zeuch. [Spaltenumbruch] Fleuch, Tilly, fleuch,
Aus Untersachsen nach Halle zu,
Zum neuen Krieg lauf neue Schuh'
Fleuch, Tilly, fleuch. [Ende Spaltensatz]
Fleuch, Tilly, fleuch,
Das Konfekt ist vergiftet worden,
Du bist nun in der' Hasen Orden,
Fleuch, Tilly, fleuch

Es schien, als wäre der Stern soldatischen Sanges am Erblassen. Wie
wir aber manchmal wie durch ein Wunder im dürresten Land die blaueste
Blume finden, so haben uns jene trostlosen Tage doch ein Lied gesungen, das
golden nicht nur den Sang dieser, sondern aller Zeiten überstrahlt, das Soldaten¬
lied aller Soldatenlieder, mit dem noch heute bei uns die Tapferen im Felde
begraben werden:


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323097/193>, abgerufen am 29.04.2024.