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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Erstes Vierteljahr.

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Die Stellung Belgiens zum allen Reiche

Die Staatsbildungen der französischen Revolution und Napoleons waren
ja doch nur vorübergehende Erscheinungen. Der Wiener Kongreß wollte die
Verhältnisse des befreiten Europa endgültig ordnen. Erst von ihm an, also
vom Jahre 1815, kann man denn auch den Verlust Belgiens für Deutschland
rechnen.

Als eine kleine Entschädigung für den Verlust der übrigen ehemals öster¬
reichischen Niederlande und des Fürstbistums Lüttich wurde wenigstens das
Großherzogtum Luxemburg, das im übrigen niederländische Provinz blieb,
deutsches Bundesland, die Hauptstadt deutsche Bundesfestung.

Auch dieses Verhältnis wurde gelöst.

Die belgische Revolution von 1830 riß die Westhälfte von Luxemburg mit
zum Teil deutscher Bevölkerung los. Das übrige Luxemburg trat zu den
Niederlanden in reine Personalunion. Der deutsche Bund wurde für die west¬
liche Hälfte von Luxemburg durch die niederländische Provinz Limburg ent¬
schädigt, die im übrigen Bestandteil des Königreichs der Niederlande blieb --
aber ohne die Städte Maastricht und Venlo.

Die Auflösung des deutschen Bundes hat auch diese Beziehungen gelöst.
Bismarck verzichtete auf die Aufnahme von Luxemburg und Limburg in den
Norddeutschen Bund. Limburg gehörte ja ohnehin schon einem fremden Staate
an. In Luxemburg wurde wenigstens das preußische Besatzungsrecht aus der
Zeit des deutschen Bundes behauptet. Erst der Versuch Napoleons des Dritten,
Luxemburg von den Oraniern anzukaufen und der preußisch-französische Konflikt
darüber, führte 1867 auch zur Lösung dieses letzten Bandes. Es entstand das
Zerrbild der Nation luxembourZevise.

Auf neun Jahrhunderte deutscher Herrschaft in Oberlothringen oder den
südlichen Niederlanden ist ein Jahrhundert politischer und staatsrechtlicher Ver¬
suche gefolgt. Sie sind sämtlich gescheitert. Der belgische Staat wäre auch
ohne Krieg an dem Gegensatze der Nationalitäten zusammengebrochen, der Krieg
hat den Zersetzungsprozeß nur beschleunigt.

Die weitere Gestaltung der Dinge liegt in der Zukunft Schoß. Nur das
eine steht fest: so wie es war. kann es nicht wieder werden.




Die Stellung Belgiens zum allen Reiche

Die Staatsbildungen der französischen Revolution und Napoleons waren
ja doch nur vorübergehende Erscheinungen. Der Wiener Kongreß wollte die
Verhältnisse des befreiten Europa endgültig ordnen. Erst von ihm an, also
vom Jahre 1815, kann man denn auch den Verlust Belgiens für Deutschland
rechnen.

Als eine kleine Entschädigung für den Verlust der übrigen ehemals öster¬
reichischen Niederlande und des Fürstbistums Lüttich wurde wenigstens das
Großherzogtum Luxemburg, das im übrigen niederländische Provinz blieb,
deutsches Bundesland, die Hauptstadt deutsche Bundesfestung.

Auch dieses Verhältnis wurde gelöst.

Die belgische Revolution von 1830 riß die Westhälfte von Luxemburg mit
zum Teil deutscher Bevölkerung los. Das übrige Luxemburg trat zu den
Niederlanden in reine Personalunion. Der deutsche Bund wurde für die west¬
liche Hälfte von Luxemburg durch die niederländische Provinz Limburg ent¬
schädigt, die im übrigen Bestandteil des Königreichs der Niederlande blieb —
aber ohne die Städte Maastricht und Venlo.

Die Auflösung des deutschen Bundes hat auch diese Beziehungen gelöst.
Bismarck verzichtete auf die Aufnahme von Luxemburg und Limburg in den
Norddeutschen Bund. Limburg gehörte ja ohnehin schon einem fremden Staate
an. In Luxemburg wurde wenigstens das preußische Besatzungsrecht aus der
Zeit des deutschen Bundes behauptet. Erst der Versuch Napoleons des Dritten,
Luxemburg von den Oraniern anzukaufen und der preußisch-französische Konflikt
darüber, führte 1867 auch zur Lösung dieses letzten Bandes. Es entstand das
Zerrbild der Nation luxembourZevise.

Auf neun Jahrhunderte deutscher Herrschaft in Oberlothringen oder den
südlichen Niederlanden ist ein Jahrhundert politischer und staatsrechtlicher Ver¬
suche gefolgt. Sie sind sämtlich gescheitert. Der belgische Staat wäre auch
ohne Krieg an dem Gegensatze der Nationalitäten zusammengebrochen, der Krieg
hat den Zersetzungsprozeß nur beschleunigt.

Die weitere Gestaltung der Dinge liegt in der Zukunft Schoß. Nur das
eine steht fest: so wie es war. kann es nicht wieder werden.




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[0192] Die Stellung Belgiens zum allen Reiche Die Staatsbildungen der französischen Revolution und Napoleons waren ja doch nur vorübergehende Erscheinungen. Der Wiener Kongreß wollte die Verhältnisse des befreiten Europa endgültig ordnen. Erst von ihm an, also vom Jahre 1815, kann man denn auch den Verlust Belgiens für Deutschland rechnen. Als eine kleine Entschädigung für den Verlust der übrigen ehemals öster¬ reichischen Niederlande und des Fürstbistums Lüttich wurde wenigstens das Großherzogtum Luxemburg, das im übrigen niederländische Provinz blieb, deutsches Bundesland, die Hauptstadt deutsche Bundesfestung. Auch dieses Verhältnis wurde gelöst. Die belgische Revolution von 1830 riß die Westhälfte von Luxemburg mit zum Teil deutscher Bevölkerung los. Das übrige Luxemburg trat zu den Niederlanden in reine Personalunion. Der deutsche Bund wurde für die west¬ liche Hälfte von Luxemburg durch die niederländische Provinz Limburg ent¬ schädigt, die im übrigen Bestandteil des Königreichs der Niederlande blieb — aber ohne die Städte Maastricht und Venlo. Die Auflösung des deutschen Bundes hat auch diese Beziehungen gelöst. Bismarck verzichtete auf die Aufnahme von Luxemburg und Limburg in den Norddeutschen Bund. Limburg gehörte ja ohnehin schon einem fremden Staate an. In Luxemburg wurde wenigstens das preußische Besatzungsrecht aus der Zeit des deutschen Bundes behauptet. Erst der Versuch Napoleons des Dritten, Luxemburg von den Oraniern anzukaufen und der preußisch-französische Konflikt darüber, führte 1867 auch zur Lösung dieses letzten Bandes. Es entstand das Zerrbild der Nation luxembourZevise. Auf neun Jahrhunderte deutscher Herrschaft in Oberlothringen oder den südlichen Niederlanden ist ein Jahrhundert politischer und staatsrechtlicher Ver¬ suche gefolgt. Sie sind sämtlich gescheitert. Der belgische Staat wäre auch ohne Krieg an dem Gegensatze der Nationalitäten zusammengebrochen, der Krieg hat den Zersetzungsprozeß nur beschleunigt. Die weitere Gestaltung der Dinge liegt in der Zukunft Schoß. Nur das eine steht fest: so wie es war. kann es nicht wieder werden.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323097/192>, abgerufen am 15.05.2024.