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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Erstes Vierteljahr.

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Bismarck
und die französische Ariegsführung ^870/7^
Staatsamvalt Unorr von

le Bedeutung der diplomatischen Aktenstücke des Ersten Reichskanzlers
über die französische Kriegsführung 1870/71 geht weit über den
damaligen Zweck hinaus. Es gibt unter den größeren Darstellungen
des Völkerrechts in den siebziger bis neunziger Jahren keine,
die sich nicht mit ihnen beschäftigt hätte; und wenn es der
Krieg 1870/71 war, der den Nationen die Notwendigkeit der Einigung über das
Kriegsrecht so recht vor Augen führte und dadurch der Verständigung aus den
großen Konferenzen in Brüssel und im Haag vorgearbeitet hat, so ist das nicht
zum wenigsten auf die Proteste Vismarcks gegen die grausame Kriegsführung der
Franzosen zurückzuführen.

Zwar hat die lange Friedenszeit unsere Gedanken vom Kriegsrecht abgelenkt,
aber gerade in dein heutigen neuen Völkerringen ist es wieder von hohem Wert,
diese Aktenstücke aus dem deutsch-französischen Kriege der Vergessenheit zu entreißen,
da sie ersehen lassen, daß unsere Väter mit derselben heimtückischen Kriegsführung
unserer Feinde zu kämpfen hatten, wie heute unsere verleumdeten Heere, und welche
Schritte ein Bismarck dagegen unternahm.

Dabei setzt uns ein besonders glücklicher Zufall in die Lage, sowohl die
Anregungen zu diesen Aktenstücken als auch ihre Entstehung kennen zu lernen,
nämlich der, daß die Tagebuchblätter von Moritz Busch ans dem Kriege 1870/71
über die Grausamkeiten der französischen Kriegsführung und Bismarcks Stellung
dazu besonders sorgfältige Aufzeichnungen enthalten und manche persönlichen,
vertraulichen Bemerkungen Vismarcks berichten, die geeignet sind, das Bild, das
uns die offiziellen Aktenstücke zeigen, zu vervollständigen und ihm besonders
markante Lichter aufzusetzen. Die Tagebuchblätter geben uns auch den Nachweis,
daß die Aktenstücke Bismarcks eigene Gedanken in der ihm eigenen Form offen¬
baren, da Bismarck die wichtigsten Stellen selbst dem Verfasser in die Feder
diktierte, ein Nachweis, der den Wert der Aktenstücke für uns noch erhöht.

Bismarck verfolgte, wie Busch berichtet, mit wachsendem Unwillen die Meldung
über die grausame Kriegsführung der Franzosen, befahl Busch und Hatzfeld, eine
Sammlung von Nachrichten über alle diese Grausamkeiten anzulegen und steuerte
auch selbst dazu bei, was ihm vor Augen kam. Wiederholt mußte Busch nach
Bismarcks Angaben und sogar teilweise nach seinen: Diktat Darstellungen der




Bismarck
und die französische Ariegsführung ^870/7^
Staatsamvalt Unorr von

le Bedeutung der diplomatischen Aktenstücke des Ersten Reichskanzlers
über die französische Kriegsführung 1870/71 geht weit über den
damaligen Zweck hinaus. Es gibt unter den größeren Darstellungen
des Völkerrechts in den siebziger bis neunziger Jahren keine,
die sich nicht mit ihnen beschäftigt hätte; und wenn es der
Krieg 1870/71 war, der den Nationen die Notwendigkeit der Einigung über das
Kriegsrecht so recht vor Augen führte und dadurch der Verständigung aus den
großen Konferenzen in Brüssel und im Haag vorgearbeitet hat, so ist das nicht
zum wenigsten auf die Proteste Vismarcks gegen die grausame Kriegsführung der
Franzosen zurückzuführen.

Zwar hat die lange Friedenszeit unsere Gedanken vom Kriegsrecht abgelenkt,
aber gerade in dein heutigen neuen Völkerringen ist es wieder von hohem Wert,
diese Aktenstücke aus dem deutsch-französischen Kriege der Vergessenheit zu entreißen,
da sie ersehen lassen, daß unsere Väter mit derselben heimtückischen Kriegsführung
unserer Feinde zu kämpfen hatten, wie heute unsere verleumdeten Heere, und welche
Schritte ein Bismarck dagegen unternahm.

Dabei setzt uns ein besonders glücklicher Zufall in die Lage, sowohl die
Anregungen zu diesen Aktenstücken als auch ihre Entstehung kennen zu lernen,
nämlich der, daß die Tagebuchblätter von Moritz Busch ans dem Kriege 1870/71
über die Grausamkeiten der französischen Kriegsführung und Bismarcks Stellung
dazu besonders sorgfältige Aufzeichnungen enthalten und manche persönlichen,
vertraulichen Bemerkungen Vismarcks berichten, die geeignet sind, das Bild, das
uns die offiziellen Aktenstücke zeigen, zu vervollständigen und ihm besonders
markante Lichter aufzusetzen. Die Tagebuchblätter geben uns auch den Nachweis,
daß die Aktenstücke Bismarcks eigene Gedanken in der ihm eigenen Form offen¬
baren, da Bismarck die wichtigsten Stellen selbst dem Verfasser in die Feder
diktierte, ein Nachweis, der den Wert der Aktenstücke für uns noch erhöht.

Bismarck verfolgte, wie Busch berichtet, mit wachsendem Unwillen die Meldung
über die grausame Kriegsführung der Franzosen, befahl Busch und Hatzfeld, eine
Sammlung von Nachrichten über alle diese Grausamkeiten anzulegen und steuerte
auch selbst dazu bei, was ihm vor Augen kam. Wiederholt mußte Busch nach
Bismarcks Angaben und sogar teilweise nach seinen: Diktat Darstellungen der


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[0310] [Abbildung] Bismarck und die französische Ariegsführung ^870/7^ Staatsamvalt Unorr von le Bedeutung der diplomatischen Aktenstücke des Ersten Reichskanzlers über die französische Kriegsführung 1870/71 geht weit über den damaligen Zweck hinaus. Es gibt unter den größeren Darstellungen des Völkerrechts in den siebziger bis neunziger Jahren keine, die sich nicht mit ihnen beschäftigt hätte; und wenn es der Krieg 1870/71 war, der den Nationen die Notwendigkeit der Einigung über das Kriegsrecht so recht vor Augen führte und dadurch der Verständigung aus den großen Konferenzen in Brüssel und im Haag vorgearbeitet hat, so ist das nicht zum wenigsten auf die Proteste Vismarcks gegen die grausame Kriegsführung der Franzosen zurückzuführen. Zwar hat die lange Friedenszeit unsere Gedanken vom Kriegsrecht abgelenkt, aber gerade in dein heutigen neuen Völkerringen ist es wieder von hohem Wert, diese Aktenstücke aus dem deutsch-französischen Kriege der Vergessenheit zu entreißen, da sie ersehen lassen, daß unsere Väter mit derselben heimtückischen Kriegsführung unserer Feinde zu kämpfen hatten, wie heute unsere verleumdeten Heere, und welche Schritte ein Bismarck dagegen unternahm. Dabei setzt uns ein besonders glücklicher Zufall in die Lage, sowohl die Anregungen zu diesen Aktenstücken als auch ihre Entstehung kennen zu lernen, nämlich der, daß die Tagebuchblätter von Moritz Busch ans dem Kriege 1870/71 über die Grausamkeiten der französischen Kriegsführung und Bismarcks Stellung dazu besonders sorgfältige Aufzeichnungen enthalten und manche persönlichen, vertraulichen Bemerkungen Vismarcks berichten, die geeignet sind, das Bild, das uns die offiziellen Aktenstücke zeigen, zu vervollständigen und ihm besonders markante Lichter aufzusetzen. Die Tagebuchblätter geben uns auch den Nachweis, daß die Aktenstücke Bismarcks eigene Gedanken in der ihm eigenen Form offen¬ baren, da Bismarck die wichtigsten Stellen selbst dem Verfasser in die Feder diktierte, ein Nachweis, der den Wert der Aktenstücke für uns noch erhöht. Bismarck verfolgte, wie Busch berichtet, mit wachsendem Unwillen die Meldung über die grausame Kriegsführung der Franzosen, befahl Busch und Hatzfeld, eine Sammlung von Nachrichten über alle diese Grausamkeiten anzulegen und steuerte auch selbst dazu bei, was ihm vor Augen kam. Wiederholt mußte Busch nach Bismarcks Angaben und sogar teilweise nach seinen: Diktat Darstellungen der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323097/310>, abgerufen am 29.04.2024.