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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Erstes Vierteljahr.

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Das große Wecken
Oswald Meyer von

in Tag reifen Sommersegens verglühte in, Meer. Tiefe Stille,
von Glück und Wehmut schwer, zog friedevoll über die Welt.
Und das Meer, das mächtige, des Lebens Urkraft und des Todes,
atmete leise mit langen lautlosen Wellenzügen und sang sein
stilles Abendlied.

Ein Mann stand am Strand. Auf der weißen leuchtenden
Sandfläche der weiten Bucht allein der eine Mensch, das einzig Lebende außer
den Möven an der Brandung und den Krähen, die über die Kiefern der Düne
zogen.

Ergriffen blickte er in den Flammenglanz, in das schmerzliche Röterwerden.
Atemlos verfolgte er das Verglühen, als dürfe kein Hauch ihm entgehen, und
als verlöre er mit jedem Fünkchen Sonnenlicht ein Teil von seinem Leben.

Dann wandte er sich schwer nach Osten, wo über dem graublauen Himmel
die würgende Dämmerung sich emvorreckte und lautlos daherkam.

Und dort vom Meer um das Howe herum kam ein Lebendiges. Segel.
Fischer kehrten heim.

Größer wurden die Segel und kamen näher. Und nun standen die Boote,
sich wiegend, auf der leisen Welle. Die Segel flatterten. Und dann stieg ein
Mann, schwer und sicher, mit mächtigen Stiefeln in das seichte Wasser, andere
folgten ihm. Mit starken, gelassenen Bewegungen schafften sie das Boot ans
Land und leerten die Netze.

Mit Freude nahm der schauende das Bild der kraftvollen Gestalten in
sich auf. Dann aber, als die Fischer sich näherten und ihre Schritte im Sande
knirschten, entfernte er sich. Ein Wort mit ihnen hätte seine Stimmung zerrissen.
Und doch folgte er ihren Gestalten mit Blicken, die voll Wärme und Wehmut
waren.

Denn er liebte diese unbegreiflich einfachen und klaren Menschen, die
täglich das Rätsel Meer vor Augen hatten und es nahmen wie eine nahrung¬
spendende Alltäglichkeit. Er liebie diese Menschen mit der Selbstverständlichkeit,
wie sie ihr Leben faßten und führten. Er liebte und beneidete sie. von denen
jeder, der Dümmste und Kälteste, nützlicher und glücklicher war als er.

Und er fürchtete die höhnischen Blicke dieser Menschen, mit denen er so
wenig anzufangen wußte, und nach denen es ihn doch drängte. Sie hielten ihn
alle für einen Narren und Müßiggänger. Ihn, der sich mit seinen jungen
Jahren in der Einsamkeit dieser vergessenen Halbinsel ein Haus gebaut, wo er
Monat um Monat ohne Frau und Freund hauste -- ein Nichtstuer, der sich




Das große Wecken
Oswald Meyer von

in Tag reifen Sommersegens verglühte in, Meer. Tiefe Stille,
von Glück und Wehmut schwer, zog friedevoll über die Welt.
Und das Meer, das mächtige, des Lebens Urkraft und des Todes,
atmete leise mit langen lautlosen Wellenzügen und sang sein
stilles Abendlied.

Ein Mann stand am Strand. Auf der weißen leuchtenden
Sandfläche der weiten Bucht allein der eine Mensch, das einzig Lebende außer
den Möven an der Brandung und den Krähen, die über die Kiefern der Düne
zogen.

Ergriffen blickte er in den Flammenglanz, in das schmerzliche Röterwerden.
Atemlos verfolgte er das Verglühen, als dürfe kein Hauch ihm entgehen, und
als verlöre er mit jedem Fünkchen Sonnenlicht ein Teil von seinem Leben.

Dann wandte er sich schwer nach Osten, wo über dem graublauen Himmel
die würgende Dämmerung sich emvorreckte und lautlos daherkam.

Und dort vom Meer um das Howe herum kam ein Lebendiges. Segel.
Fischer kehrten heim.

Größer wurden die Segel und kamen näher. Und nun standen die Boote,
sich wiegend, auf der leisen Welle. Die Segel flatterten. Und dann stieg ein
Mann, schwer und sicher, mit mächtigen Stiefeln in das seichte Wasser, andere
folgten ihm. Mit starken, gelassenen Bewegungen schafften sie das Boot ans
Land und leerten die Netze.

Mit Freude nahm der schauende das Bild der kraftvollen Gestalten in
sich auf. Dann aber, als die Fischer sich näherten und ihre Schritte im Sande
knirschten, entfernte er sich. Ein Wort mit ihnen hätte seine Stimmung zerrissen.
Und doch folgte er ihren Gestalten mit Blicken, die voll Wärme und Wehmut
waren.

Denn er liebte diese unbegreiflich einfachen und klaren Menschen, die
täglich das Rätsel Meer vor Augen hatten und es nahmen wie eine nahrung¬
spendende Alltäglichkeit. Er liebie diese Menschen mit der Selbstverständlichkeit,
wie sie ihr Leben faßten und führten. Er liebte und beneidete sie. von denen
jeder, der Dümmste und Kälteste, nützlicher und glücklicher war als er.

Und er fürchtete die höhnischen Blicke dieser Menschen, mit denen er so
wenig anzufangen wußte, und nach denen es ihn doch drängte. Sie hielten ihn
alle für einen Narren und Müßiggänger. Ihn, der sich mit seinen jungen
Jahren in der Einsamkeit dieser vergessenen Halbinsel ein Haus gebaut, wo er
Monat um Monat ohne Frau und Freund hauste — ein Nichtstuer, der sich


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[0327] [Abbildung] Das große Wecken Oswald Meyer von in Tag reifen Sommersegens verglühte in, Meer. Tiefe Stille, von Glück und Wehmut schwer, zog friedevoll über die Welt. Und das Meer, das mächtige, des Lebens Urkraft und des Todes, atmete leise mit langen lautlosen Wellenzügen und sang sein stilles Abendlied. Ein Mann stand am Strand. Auf der weißen leuchtenden Sandfläche der weiten Bucht allein der eine Mensch, das einzig Lebende außer den Möven an der Brandung und den Krähen, die über die Kiefern der Düne zogen. Ergriffen blickte er in den Flammenglanz, in das schmerzliche Röterwerden. Atemlos verfolgte er das Verglühen, als dürfe kein Hauch ihm entgehen, und als verlöre er mit jedem Fünkchen Sonnenlicht ein Teil von seinem Leben. Dann wandte er sich schwer nach Osten, wo über dem graublauen Himmel die würgende Dämmerung sich emvorreckte und lautlos daherkam. Und dort vom Meer um das Howe herum kam ein Lebendiges. Segel. Fischer kehrten heim. Größer wurden die Segel und kamen näher. Und nun standen die Boote, sich wiegend, auf der leisen Welle. Die Segel flatterten. Und dann stieg ein Mann, schwer und sicher, mit mächtigen Stiefeln in das seichte Wasser, andere folgten ihm. Mit starken, gelassenen Bewegungen schafften sie das Boot ans Land und leerten die Netze. Mit Freude nahm der schauende das Bild der kraftvollen Gestalten in sich auf. Dann aber, als die Fischer sich näherten und ihre Schritte im Sande knirschten, entfernte er sich. Ein Wort mit ihnen hätte seine Stimmung zerrissen. Und doch folgte er ihren Gestalten mit Blicken, die voll Wärme und Wehmut waren. Denn er liebte diese unbegreiflich einfachen und klaren Menschen, die täglich das Rätsel Meer vor Augen hatten und es nahmen wie eine nahrung¬ spendende Alltäglichkeit. Er liebie diese Menschen mit der Selbstverständlichkeit, wie sie ihr Leben faßten und führten. Er liebte und beneidete sie. von denen jeder, der Dümmste und Kälteste, nützlicher und glücklicher war als er. Und er fürchtete die höhnischen Blicke dieser Menschen, mit denen er so wenig anzufangen wußte, und nach denen es ihn doch drängte. Sie hielten ihn alle für einen Narren und Müßiggänger. Ihn, der sich mit seinen jungen Jahren in der Einsamkeit dieser vergessenen Halbinsel ein Haus gebaut, wo er Monat um Monat ohne Frau und Freund hauste — ein Nichtstuer, der sich

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323097/327>, abgerufen am 29.04.2024.