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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Erstes Vierteljahr.

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Das große Wecken
Oswald Meyer von(Fortsetzung)
2.

Tief und schweigend ist die Nacht. Ihr dunkles Auge waltet über der
schlafenden Welt. Hochgereckt in die lichtlose Luft steht, wie aus Finsternis
gebaut, der Hochwald. Lautlos wandert die Nacht dahin. Ihr Schritt ist das
Schweigen.

Aber in der Ferne klingen andere Töne leise in die Stille. Tausende,
Tausende, die marschieren, denn der Tag reicht nicht. Und viele rollende Züge,
angefüllt mit Kriegern und tötlichen Geschütz, gleiten schweigend, unter dem
verhaltenen Ächzen der Lokomotiven, unter den Klagen der Schienen dahin.

Da -- aus fernem Dunst wächst düsterrot der Mond und steigt und läutert
sich zu schimmerndem Weiß. Wie ein Erwachen ist es auf der Erde. Aus
dem Schlaf der Finsternis wachsen die Gegenstände, sie leuchten auf und schauen
hinauf -- wie ein Auge ist ihr Widerschein.

Eine Mannesgestalt am Eingang des Waldes hebt das Mondlicht aus
dem Schatten, einen Mann im Soldatenrock: Walter Werden ist es, auf Vor¬
posten. Hinter ihm liegt schlummernd ein Dorf, in dem eine Abteilung seiner
Schwadron in Quartier ist. Scharf lugt sein Auge in die Dunkelheit, mit an¬
gespannter Aufmerksamkeit lauscht er auf jedes Geräusch. Und doch hat er
auch einen Blick und einen Gedanken für den Mond, dessen Licht so vertraut
in Fremde und Gefahr um ihn rinnt.

Auch über der fernen Küste, wo Werden sein Heim hat. steht jetzt dessen
Licht. Da leuchtet das schweigende Meer im Zauberglanz. Da steht sein
Haus schwarz im Silberlicht -- -- es träumt nicht mehr. Es fingt nicht
mehr sein schweigendes Nachtlied, es lebt nichts mehr darin von heimlichem
Glück und Schmerz, von Sehnsucht und Zweifel. Der harte Krieg hat dort
sein Lager aufgeschlagen. Ohne Wehmut denkt Werden daran. Andere Klänge
leben jetzt in ihm: der Rhythmus eines Marsches -- ein Volk auf dem Marsch.
Ein Volk von Millionen, das sich aus tausend Interessen, aus tausend Gedanken-
richtungen. aus manch innerer Fehde in gewaltiger Einmütigkeit erhebt, ein
Mann, ein Ziel -- ein einziger großer Rhythmus. Wie aus Erz gehauen steht
es vor des Bildhauers Auge, dies Volt der Denker und Kaufleute, der Gro߬
herren und Junker, der Arbeiter und Bauern -- ein Soldat.

Aus dem wesenlosen Mondlicht taucht es empor -- Gestalt fordernd --
Gestalt gewinnend, gewaltig . . .




Das große Wecken
Oswald Meyer von(Fortsetzung)
2.

Tief und schweigend ist die Nacht. Ihr dunkles Auge waltet über der
schlafenden Welt. Hochgereckt in die lichtlose Luft steht, wie aus Finsternis
gebaut, der Hochwald. Lautlos wandert die Nacht dahin. Ihr Schritt ist das
Schweigen.

Aber in der Ferne klingen andere Töne leise in die Stille. Tausende,
Tausende, die marschieren, denn der Tag reicht nicht. Und viele rollende Züge,
angefüllt mit Kriegern und tötlichen Geschütz, gleiten schweigend, unter dem
verhaltenen Ächzen der Lokomotiven, unter den Klagen der Schienen dahin.

Da — aus fernem Dunst wächst düsterrot der Mond und steigt und läutert
sich zu schimmerndem Weiß. Wie ein Erwachen ist es auf der Erde. Aus
dem Schlaf der Finsternis wachsen die Gegenstände, sie leuchten auf und schauen
hinauf — wie ein Auge ist ihr Widerschein.

Eine Mannesgestalt am Eingang des Waldes hebt das Mondlicht aus
dem Schatten, einen Mann im Soldatenrock: Walter Werden ist es, auf Vor¬
posten. Hinter ihm liegt schlummernd ein Dorf, in dem eine Abteilung seiner
Schwadron in Quartier ist. Scharf lugt sein Auge in die Dunkelheit, mit an¬
gespannter Aufmerksamkeit lauscht er auf jedes Geräusch. Und doch hat er
auch einen Blick und einen Gedanken für den Mond, dessen Licht so vertraut
in Fremde und Gefahr um ihn rinnt.

Auch über der fernen Küste, wo Werden sein Heim hat. steht jetzt dessen
Licht. Da leuchtet das schweigende Meer im Zauberglanz. Da steht sein
Haus schwarz im Silberlicht — — es träumt nicht mehr. Es fingt nicht
mehr sein schweigendes Nachtlied, es lebt nichts mehr darin von heimlichem
Glück und Schmerz, von Sehnsucht und Zweifel. Der harte Krieg hat dort
sein Lager aufgeschlagen. Ohne Wehmut denkt Werden daran. Andere Klänge
leben jetzt in ihm: der Rhythmus eines Marsches — ein Volk auf dem Marsch.
Ein Volk von Millionen, das sich aus tausend Interessen, aus tausend Gedanken-
richtungen. aus manch innerer Fehde in gewaltiger Einmütigkeit erhebt, ein
Mann, ein Ziel — ein einziger großer Rhythmus. Wie aus Erz gehauen steht
es vor des Bildhauers Auge, dies Volt der Denker und Kaufleute, der Gro߬
herren und Junker, der Arbeiter und Bauern — ein Soldat.

Aus dem wesenlosen Mondlicht taucht es empor — Gestalt fordernd —
Gestalt gewinnend, gewaltig . . .


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[0357] [Abbildung] Das große Wecken Oswald Meyer von(Fortsetzung) 2. Tief und schweigend ist die Nacht. Ihr dunkles Auge waltet über der schlafenden Welt. Hochgereckt in die lichtlose Luft steht, wie aus Finsternis gebaut, der Hochwald. Lautlos wandert die Nacht dahin. Ihr Schritt ist das Schweigen. Aber in der Ferne klingen andere Töne leise in die Stille. Tausende, Tausende, die marschieren, denn der Tag reicht nicht. Und viele rollende Züge, angefüllt mit Kriegern und tötlichen Geschütz, gleiten schweigend, unter dem verhaltenen Ächzen der Lokomotiven, unter den Klagen der Schienen dahin. Da — aus fernem Dunst wächst düsterrot der Mond und steigt und läutert sich zu schimmerndem Weiß. Wie ein Erwachen ist es auf der Erde. Aus dem Schlaf der Finsternis wachsen die Gegenstände, sie leuchten auf und schauen hinauf — wie ein Auge ist ihr Widerschein. Eine Mannesgestalt am Eingang des Waldes hebt das Mondlicht aus dem Schatten, einen Mann im Soldatenrock: Walter Werden ist es, auf Vor¬ posten. Hinter ihm liegt schlummernd ein Dorf, in dem eine Abteilung seiner Schwadron in Quartier ist. Scharf lugt sein Auge in die Dunkelheit, mit an¬ gespannter Aufmerksamkeit lauscht er auf jedes Geräusch. Und doch hat er auch einen Blick und einen Gedanken für den Mond, dessen Licht so vertraut in Fremde und Gefahr um ihn rinnt. Auch über der fernen Küste, wo Werden sein Heim hat. steht jetzt dessen Licht. Da leuchtet das schweigende Meer im Zauberglanz. Da steht sein Haus schwarz im Silberlicht — — es träumt nicht mehr. Es fingt nicht mehr sein schweigendes Nachtlied, es lebt nichts mehr darin von heimlichem Glück und Schmerz, von Sehnsucht und Zweifel. Der harte Krieg hat dort sein Lager aufgeschlagen. Ohne Wehmut denkt Werden daran. Andere Klänge leben jetzt in ihm: der Rhythmus eines Marsches — ein Volk auf dem Marsch. Ein Volk von Millionen, das sich aus tausend Interessen, aus tausend Gedanken- richtungen. aus manch innerer Fehde in gewaltiger Einmütigkeit erhebt, ein Mann, ein Ziel — ein einziger großer Rhythmus. Wie aus Erz gehauen steht es vor des Bildhauers Auge, dies Volt der Denker und Kaufleute, der Gro߬ herren und Junker, der Arbeiter und Bauern — ein Soldat. Aus dem wesenlosen Mondlicht taucht es empor — Gestalt fordernd — Gestalt gewinnend, gewaltig . . .

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323097/357>, abgerufen am 29.04.2024.