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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Erstes Vierteljahr.

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Der Haß und das Wesen des Deutschen

Ohren verstopft, wohl ein, wenn man es auch nicht eingestehen will. Ebenso
wie man leise auch die Bedeutung des deutschen Gehorsams zu erkennen
beginnt, über den man oft genug gespottet hat. Es ist kein "Kadaver¬
gehorsam", sondern bewußte Unterordnung unter eine Idee, ist Geistigkeit, die
erkennt, daß nur durch ein Ineinandergreifen des einen ins andere die heilige
Ordnung erwachsen kann, ohne die es eine Kultur nicht gibt. Wo der Deutsche
hinkommt, wirkt er Ordnung schaffend, was freilich oft genug als Last empfunden
wird, denn es gehört schon eine gewisse geistige Zucht dazu, sich in ein
geordnetes Ganzes einzufügen. So mag es erklärlich sein, daß die Herrschaft
des Deutschen, obwohl ihm die Persönlichkeit des anderen an sich heilig ist,
doch zunächst zu einem Druck wird, dem man sich wieder zu entziehen sucht.
Denn jede Organisation wirkt hart und emergent auf den einzelnen, der von
ihr betroffen wird, da ihr das Wohl des Ganzen höher steht, als das des einzelnen.
Aber von jenem nimmt der einzelne sein Teil. Die weitaus meiste organisatorische
Arbeit der Welt wird im Deutschen Reiche selbst geleistet. Das hat wahr¬
scheinlich seine Ursache nicht darin, daß sich hier die meisten organisatorischen
Genies finden, sondern eben in jenem Gehorsam des Deutschen. Dem geistigen
Menschen ist das Gehorsamsein etwas Selbstverständliches, nur der Ungeistige
ist ungehorsam. Er folgt dem Stecken des Treibers, aber er ist nicht gehorsam,
denn Gehorsamsein ist eine sittliche Leistung.

Der Gehorsam verträgt auch eine starke Regierungsgewalt, ohne daß er
sich erniedrigt fühlt, und von einer starken Regierung dürfen wir auch erhoffen,
wofür, bei der im Eingange erwähnten Unzuverlässigkeit der Gefühle überhaupt,
ein bloßes Gefühl, und also auch das des Hasses, eine sichere Gewähr nicht
zu leisten vermag: zielbewußtes Handeln gegenüber einem Feinde, der uns in
heimtückischer Weise umlauert, um uns zu gegebener Zeit überfallen zu können.
Das Gefühl ist zwar die psychische Voraussetzung zum Wollen, aber nicht das
Wollen selbst. Das Gefühl stumpft ab, nur das Wollen, das von dem
Intellekt gelenkt wird, kann in seiner Richtung und Stärke beständig bleiben.
Ebenso wie es beim Soldaten einer gewissen Mechanisierung seines kriegerischen
Tuns, nämlich des Drills, bedarf, damit er nicht erst auf dem langen und,
unsicheren Umwege über die Gefühle zur Ausübung seiner soldatischen Pflichten
getrieben werde, so kann auch jenes Wollen unserer Nation in gewissem Sinne
mechanisiert werden. Die Negierung ist dann nichts anderes als ein zentrali¬
siertes Gehirn der Gesamtheit, das das Wollen dieser Gesamtheit stark und
zielbewußt erhält. Wie wir uns Frankreichs und seines slawischen Verbündeten
ohne sonderliche Gefühle erwehrten, so werden wir es auch des neuen Gegners
über der See vermögen, ohne daß es dazu eines Gefühls bedarf, das aus
obigen Gründen bei dem geistigen Deutschen nun einmal kaum in Betracht
kommt, nämlich eben des Hasses. Ein Platzgreifen des Hasses in der Seele des
Deutschen bedeutete doch in gewissem Sinne auch zugleich ein Aufgeben unseres
edelsten Gutes, der Geistigkeit, an der in der Tat "die Welt einmal genesen" kann.




Der Haß und das Wesen des Deutschen

Ohren verstopft, wohl ein, wenn man es auch nicht eingestehen will. Ebenso
wie man leise auch die Bedeutung des deutschen Gehorsams zu erkennen
beginnt, über den man oft genug gespottet hat. Es ist kein „Kadaver¬
gehorsam", sondern bewußte Unterordnung unter eine Idee, ist Geistigkeit, die
erkennt, daß nur durch ein Ineinandergreifen des einen ins andere die heilige
Ordnung erwachsen kann, ohne die es eine Kultur nicht gibt. Wo der Deutsche
hinkommt, wirkt er Ordnung schaffend, was freilich oft genug als Last empfunden
wird, denn es gehört schon eine gewisse geistige Zucht dazu, sich in ein
geordnetes Ganzes einzufügen. So mag es erklärlich sein, daß die Herrschaft
des Deutschen, obwohl ihm die Persönlichkeit des anderen an sich heilig ist,
doch zunächst zu einem Druck wird, dem man sich wieder zu entziehen sucht.
Denn jede Organisation wirkt hart und emergent auf den einzelnen, der von
ihr betroffen wird, da ihr das Wohl des Ganzen höher steht, als das des einzelnen.
Aber von jenem nimmt der einzelne sein Teil. Die weitaus meiste organisatorische
Arbeit der Welt wird im Deutschen Reiche selbst geleistet. Das hat wahr¬
scheinlich seine Ursache nicht darin, daß sich hier die meisten organisatorischen
Genies finden, sondern eben in jenem Gehorsam des Deutschen. Dem geistigen
Menschen ist das Gehorsamsein etwas Selbstverständliches, nur der Ungeistige
ist ungehorsam. Er folgt dem Stecken des Treibers, aber er ist nicht gehorsam,
denn Gehorsamsein ist eine sittliche Leistung.

Der Gehorsam verträgt auch eine starke Regierungsgewalt, ohne daß er
sich erniedrigt fühlt, und von einer starken Regierung dürfen wir auch erhoffen,
wofür, bei der im Eingange erwähnten Unzuverlässigkeit der Gefühle überhaupt,
ein bloßes Gefühl, und also auch das des Hasses, eine sichere Gewähr nicht
zu leisten vermag: zielbewußtes Handeln gegenüber einem Feinde, der uns in
heimtückischer Weise umlauert, um uns zu gegebener Zeit überfallen zu können.
Das Gefühl ist zwar die psychische Voraussetzung zum Wollen, aber nicht das
Wollen selbst. Das Gefühl stumpft ab, nur das Wollen, das von dem
Intellekt gelenkt wird, kann in seiner Richtung und Stärke beständig bleiben.
Ebenso wie es beim Soldaten einer gewissen Mechanisierung seines kriegerischen
Tuns, nämlich des Drills, bedarf, damit er nicht erst auf dem langen und,
unsicheren Umwege über die Gefühle zur Ausübung seiner soldatischen Pflichten
getrieben werde, so kann auch jenes Wollen unserer Nation in gewissem Sinne
mechanisiert werden. Die Negierung ist dann nichts anderes als ein zentrali¬
siertes Gehirn der Gesamtheit, das das Wollen dieser Gesamtheit stark und
zielbewußt erhält. Wie wir uns Frankreichs und seines slawischen Verbündeten
ohne sonderliche Gefühle erwehrten, so werden wir es auch des neuen Gegners
über der See vermögen, ohne daß es dazu eines Gefühls bedarf, das aus
obigen Gründen bei dem geistigen Deutschen nun einmal kaum in Betracht
kommt, nämlich eben des Hasses. Ein Platzgreifen des Hasses in der Seele des
Deutschen bedeutete doch in gewissem Sinne auch zugleich ein Aufgeben unseres
edelsten Gutes, der Geistigkeit, an der in der Tat „die Welt einmal genesen" kann.




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[0356] Der Haß und das Wesen des Deutschen Ohren verstopft, wohl ein, wenn man es auch nicht eingestehen will. Ebenso wie man leise auch die Bedeutung des deutschen Gehorsams zu erkennen beginnt, über den man oft genug gespottet hat. Es ist kein „Kadaver¬ gehorsam", sondern bewußte Unterordnung unter eine Idee, ist Geistigkeit, die erkennt, daß nur durch ein Ineinandergreifen des einen ins andere die heilige Ordnung erwachsen kann, ohne die es eine Kultur nicht gibt. Wo der Deutsche hinkommt, wirkt er Ordnung schaffend, was freilich oft genug als Last empfunden wird, denn es gehört schon eine gewisse geistige Zucht dazu, sich in ein geordnetes Ganzes einzufügen. So mag es erklärlich sein, daß die Herrschaft des Deutschen, obwohl ihm die Persönlichkeit des anderen an sich heilig ist, doch zunächst zu einem Druck wird, dem man sich wieder zu entziehen sucht. Denn jede Organisation wirkt hart und emergent auf den einzelnen, der von ihr betroffen wird, da ihr das Wohl des Ganzen höher steht, als das des einzelnen. Aber von jenem nimmt der einzelne sein Teil. Die weitaus meiste organisatorische Arbeit der Welt wird im Deutschen Reiche selbst geleistet. Das hat wahr¬ scheinlich seine Ursache nicht darin, daß sich hier die meisten organisatorischen Genies finden, sondern eben in jenem Gehorsam des Deutschen. Dem geistigen Menschen ist das Gehorsamsein etwas Selbstverständliches, nur der Ungeistige ist ungehorsam. Er folgt dem Stecken des Treibers, aber er ist nicht gehorsam, denn Gehorsamsein ist eine sittliche Leistung. Der Gehorsam verträgt auch eine starke Regierungsgewalt, ohne daß er sich erniedrigt fühlt, und von einer starken Regierung dürfen wir auch erhoffen, wofür, bei der im Eingange erwähnten Unzuverlässigkeit der Gefühle überhaupt, ein bloßes Gefühl, und also auch das des Hasses, eine sichere Gewähr nicht zu leisten vermag: zielbewußtes Handeln gegenüber einem Feinde, der uns in heimtückischer Weise umlauert, um uns zu gegebener Zeit überfallen zu können. Das Gefühl ist zwar die psychische Voraussetzung zum Wollen, aber nicht das Wollen selbst. Das Gefühl stumpft ab, nur das Wollen, das von dem Intellekt gelenkt wird, kann in seiner Richtung und Stärke beständig bleiben. Ebenso wie es beim Soldaten einer gewissen Mechanisierung seines kriegerischen Tuns, nämlich des Drills, bedarf, damit er nicht erst auf dem langen und, unsicheren Umwege über die Gefühle zur Ausübung seiner soldatischen Pflichten getrieben werde, so kann auch jenes Wollen unserer Nation in gewissem Sinne mechanisiert werden. Die Negierung ist dann nichts anderes als ein zentrali¬ siertes Gehirn der Gesamtheit, das das Wollen dieser Gesamtheit stark und zielbewußt erhält. Wie wir uns Frankreichs und seines slawischen Verbündeten ohne sonderliche Gefühle erwehrten, so werden wir es auch des neuen Gegners über der See vermögen, ohne daß es dazu eines Gefühls bedarf, das aus obigen Gründen bei dem geistigen Deutschen nun einmal kaum in Betracht kommt, nämlich eben des Hasses. Ein Platzgreifen des Hasses in der Seele des Deutschen bedeutete doch in gewissem Sinne auch zugleich ein Aufgeben unseres edelsten Gutes, der Geistigkeit, an der in der Tat „die Welt einmal genesen" kann.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323097/356>, abgerufen am 15.05.2024.