Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite


Die Begründung des Königreichs Belgien
Prof. Dr. Lonrod Bornhak von

In Heft V d. I. befindet sich ein Aufsatz über "Die Stellung
Belgiens zum alten Reiche" aus der Feder desselben Verfassers.

uf dem großen Ländermarkte des Wiener Kongresses mußte nach
Zurückdrängung Frankreichs auf seine alten Grenzen auch über
das Gebiet der ehemaligen österreichischen Niederlande und des
früheren Fürstbistums Lüttich verfügt werden. Österreich ver¬
spürte keine Lust, seinen alten Besitz wieder anzutreten und suchte
seine Entschädigung in Italien. Anderseits hatte England den Niederlanden
einen großen Teil ihrer Kolonien, Kapland, Ceylon, Surinam, vorenthalten
und wünschte sie dafür in Europa schadlos zu halten. So wurde denn das
spätere Belgien als Entschädigung für Englands Kolonialraub den Niederlanden
überlassen, die ungefähr gleichzeitig die monarchische Staatsform unter dem
Hause Oranien angenommen hatten.

Von neuem entstand damit der alte burgundische Gesamtstaat unter dem
Namen des Königreichs der Niederlande, allerdings mit dauernder Einbuße
von Französisch-Flandern und Artrecht, aber unter Einfügung des Lütticher
Gebietes. Luxemburg, das im übrigen nur eine Provinz wie alle andern war,
sollte die Entschädigung bilden für die bisherigen deutschen Besitzungen des
Hauses Oranien. Es gehörte daher dem deutschen Bunde an, und seine Haupt¬
stadt wurde Bundesfestung. Nach außen sollte in dem niederländischen Gesamt¬
staate ein widerstandsfähiger Pufferstaat gegen Frankreich in Anlehnung
an England-Hannover geschaffen werden, während es gleichzeitig gelang, das
mißtrauisch betrachtete Preußen von der Maas fern zu halten. Haag und
Brüssel waren die Hauptstädte des neuen Staates. Die Mitglieder der ersten
Kammer der Generalstaaten wurden vom Könige ernannt, die der zweiten von
den Provinzialständen gewählt und zwar zu gleichen Hälften von den Nord-
uud den Süd-Niederlanden trotz der größeren Bevölkerungszahl der letzteren.

Nur ein halbes Menschenalter hat der Versuch, eine jahrhundertelang unter¬
brochene Verbindung wieder herzustellen, gedauert. Die südlichen Provinzen




Die Begründung des Königreichs Belgien
Prof. Dr. Lonrod Bornhak von

In Heft V d. I. befindet sich ein Aufsatz über „Die Stellung
Belgiens zum alten Reiche" aus der Feder desselben Verfassers.

uf dem großen Ländermarkte des Wiener Kongresses mußte nach
Zurückdrängung Frankreichs auf seine alten Grenzen auch über
das Gebiet der ehemaligen österreichischen Niederlande und des
früheren Fürstbistums Lüttich verfügt werden. Österreich ver¬
spürte keine Lust, seinen alten Besitz wieder anzutreten und suchte
seine Entschädigung in Italien. Anderseits hatte England den Niederlanden
einen großen Teil ihrer Kolonien, Kapland, Ceylon, Surinam, vorenthalten
und wünschte sie dafür in Europa schadlos zu halten. So wurde denn das
spätere Belgien als Entschädigung für Englands Kolonialraub den Niederlanden
überlassen, die ungefähr gleichzeitig die monarchische Staatsform unter dem
Hause Oranien angenommen hatten.

Von neuem entstand damit der alte burgundische Gesamtstaat unter dem
Namen des Königreichs der Niederlande, allerdings mit dauernder Einbuße
von Französisch-Flandern und Artrecht, aber unter Einfügung des Lütticher
Gebietes. Luxemburg, das im übrigen nur eine Provinz wie alle andern war,
sollte die Entschädigung bilden für die bisherigen deutschen Besitzungen des
Hauses Oranien. Es gehörte daher dem deutschen Bunde an, und seine Haupt¬
stadt wurde Bundesfestung. Nach außen sollte in dem niederländischen Gesamt¬
staate ein widerstandsfähiger Pufferstaat gegen Frankreich in Anlehnung
an England-Hannover geschaffen werden, während es gleichzeitig gelang, das
mißtrauisch betrachtete Preußen von der Maas fern zu halten. Haag und
Brüssel waren die Hauptstädte des neuen Staates. Die Mitglieder der ersten
Kammer der Generalstaaten wurden vom Könige ernannt, die der zweiten von
den Provinzialständen gewählt und zwar zu gleichen Hälften von den Nord-
uud den Süd-Niederlanden trotz der größeren Bevölkerungszahl der letzteren.

Nur ein halbes Menschenalter hat der Versuch, eine jahrhundertelang unter¬
brochene Verbindung wieder herzustellen, gedauert. Die südlichen Provinzen


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0371" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/323468"/>
          <figure facs="http://media.dwds.de/dta/images/grenzboten_341901_323097/figures/grenzboten_341901_323097_323468_000.jpg"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Die Begründung des Königreichs Belgien<lb/><note type="byline"> Prof. Dr. Lonrod Bornhak</note> von</head><lb/>
          <p xml:id="ID_1270"> In Heft V d. I. befindet sich ein Aufsatz über &#x201E;Die Stellung<lb/>
Belgiens zum alten Reiche" aus der Feder desselben Verfassers.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1271"> uf dem großen Ländermarkte des Wiener Kongresses mußte nach<lb/>
Zurückdrängung Frankreichs auf seine alten Grenzen auch über<lb/>
das Gebiet der ehemaligen österreichischen Niederlande und des<lb/>
früheren Fürstbistums Lüttich verfügt werden. Österreich ver¬<lb/>
spürte keine Lust, seinen alten Besitz wieder anzutreten und suchte<lb/>
seine Entschädigung in Italien. Anderseits hatte England den Niederlanden<lb/>
einen großen Teil ihrer Kolonien, Kapland, Ceylon, Surinam, vorenthalten<lb/>
und wünschte sie dafür in Europa schadlos zu halten. So wurde denn das<lb/>
spätere Belgien als Entschädigung für Englands Kolonialraub den Niederlanden<lb/>
überlassen, die ungefähr gleichzeitig die monarchische Staatsform unter dem<lb/>
Hause Oranien angenommen hatten.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1272"> Von neuem entstand damit der alte burgundische Gesamtstaat unter dem<lb/>
Namen des Königreichs der Niederlande, allerdings mit dauernder Einbuße<lb/>
von Französisch-Flandern und Artrecht, aber unter Einfügung des Lütticher<lb/>
Gebietes. Luxemburg, das im übrigen nur eine Provinz wie alle andern war,<lb/>
sollte die Entschädigung bilden für die bisherigen deutschen Besitzungen des<lb/>
Hauses Oranien. Es gehörte daher dem deutschen Bunde an, und seine Haupt¬<lb/>
stadt wurde Bundesfestung. Nach außen sollte in dem niederländischen Gesamt¬<lb/>
staate ein widerstandsfähiger Pufferstaat gegen Frankreich in Anlehnung<lb/>
an England-Hannover geschaffen werden, während es gleichzeitig gelang, das<lb/>
mißtrauisch betrachtete Preußen von der Maas fern zu halten. Haag und<lb/>
Brüssel waren die Hauptstädte des neuen Staates. Die Mitglieder der ersten<lb/>
Kammer der Generalstaaten wurden vom Könige ernannt, die der zweiten von<lb/>
den Provinzialständen gewählt und zwar zu gleichen Hälften von den Nord-<lb/>
uud den Süd-Niederlanden trotz der größeren Bevölkerungszahl der letzteren.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1273" next="#ID_1274"> Nur ein halbes Menschenalter hat der Versuch, eine jahrhundertelang unter¬<lb/>
brochene Verbindung wieder herzustellen, gedauert. Die südlichen Provinzen</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0371] [Abbildung] Die Begründung des Königreichs Belgien Prof. Dr. Lonrod Bornhak von In Heft V d. I. befindet sich ein Aufsatz über „Die Stellung Belgiens zum alten Reiche" aus der Feder desselben Verfassers. uf dem großen Ländermarkte des Wiener Kongresses mußte nach Zurückdrängung Frankreichs auf seine alten Grenzen auch über das Gebiet der ehemaligen österreichischen Niederlande und des früheren Fürstbistums Lüttich verfügt werden. Österreich ver¬ spürte keine Lust, seinen alten Besitz wieder anzutreten und suchte seine Entschädigung in Italien. Anderseits hatte England den Niederlanden einen großen Teil ihrer Kolonien, Kapland, Ceylon, Surinam, vorenthalten und wünschte sie dafür in Europa schadlos zu halten. So wurde denn das spätere Belgien als Entschädigung für Englands Kolonialraub den Niederlanden überlassen, die ungefähr gleichzeitig die monarchische Staatsform unter dem Hause Oranien angenommen hatten. Von neuem entstand damit der alte burgundische Gesamtstaat unter dem Namen des Königreichs der Niederlande, allerdings mit dauernder Einbuße von Französisch-Flandern und Artrecht, aber unter Einfügung des Lütticher Gebietes. Luxemburg, das im übrigen nur eine Provinz wie alle andern war, sollte die Entschädigung bilden für die bisherigen deutschen Besitzungen des Hauses Oranien. Es gehörte daher dem deutschen Bunde an, und seine Haupt¬ stadt wurde Bundesfestung. Nach außen sollte in dem niederländischen Gesamt¬ staate ein widerstandsfähiger Pufferstaat gegen Frankreich in Anlehnung an England-Hannover geschaffen werden, während es gleichzeitig gelang, das mißtrauisch betrachtete Preußen von der Maas fern zu halten. Haag und Brüssel waren die Hauptstädte des neuen Staates. Die Mitglieder der ersten Kammer der Generalstaaten wurden vom Könige ernannt, die der zweiten von den Provinzialständen gewählt und zwar zu gleichen Hälften von den Nord- uud den Süd-Niederlanden trotz der größeren Bevölkerungszahl der letzteren. Nur ein halbes Menschenalter hat der Versuch, eine jahrhundertelang unter¬ brochene Verbindung wieder herzustellen, gedauert. Die südlichen Provinzen

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323097
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323097/371
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323097/371>, abgerufen am 29.04.2024.