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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Erstes Vierteljahr.

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Heinrich Heine über England
H. Behrendsen von

Motto: Denk' ich an Deutschland in der Nacht,
Dann bin ich um den Schlaf gebracht,
Ich kann nicht mehr die Augen schließen,
Und meine heißen Tränen fließen.

<M',M!V>^rmer Heinrich! Du Märtyrer der unglücklichen Liebe zu Deinem
Vaterlande! Du stiller Held unaussprechlicher Leiden, der Du
Undank, Schmähungen, Verfolgungen von denen erfuhrst, die es
nicht begreifen wollten, daß Du dem Lande Deiner Liebe, Deiner
steten Sehnsucht spottend den Spiegel vorhieltest, um seinen "ein¬
geschüchterten Freiheitsmut aufzurütteln", daß Dein großes, heißes Herz sich in
Schmerzen wand, wenn die Rutenhiebe Deines Spottes das matt und schläfrig
gewordene Deutschland empfindlich trafen! Groß, anbetungswürdig wie zur
Zeit seiner Erhebung 1813 lebte es in Deiner Seele, sahst Du es in Deinen
Träumen! In Wirklichkeit aber gab es dort nichts als "Eulen, Zensurenedikte,
Kerkerduft, Entsagungsromane, Wachtparaden, Frömmelei, Blödsinn -- eine
niedergedrückte, arretierte Zeit".

Armer Heinrich! Die Luft wurde Dir schwül, als im deutschen Vater¬
lande Dein zweiter Band Reisebilder einen wahren Sturm der Entrüstung hervor¬
rief. Was wunder, daß Du da nach England zu pilgern begehrtest, dem Lande
der Freiheit, dem heil'gen Hort reinen Menschtums, in dem Du alles zu finden
gedachtest, worin spießbürgerliche Enge des vormärzlichen Deutschland Dich
getäuscht hatte. -- Aber ach! Die ideale Gestalt der Freiheit, die Heine im jungen
Busen trug, die allgemein menschliche Freiheit, deren Wesen aus den Gesetzen
erhöhter Sittlichkeit, aus einer durchdringenden Volkserziehung hervorblüht, fand
er in dem grauen Nebellande jenseits des Kanals als Zerrbild "eine englisch-
historische Freiheit, die entweder den königlich großbritannischen Untertanen
patentiert wird, oder auf ein altes Gesetz, etwa ans der Zeit der Königin
Anna basiert ist".

Lese ihn jetzt selbst, die Ihr den Dichter des Buchs der Lieder und der
Harzreise längst mit Euren Jugendträumen begraben, und Ihr, die Ihr ihn nur




Heinrich Heine über England
H. Behrendsen von

Motto: Denk' ich an Deutschland in der Nacht,
Dann bin ich um den Schlaf gebracht,
Ich kann nicht mehr die Augen schließen,
Und meine heißen Tränen fließen.

<M',M!V>^rmer Heinrich! Du Märtyrer der unglücklichen Liebe zu Deinem
Vaterlande! Du stiller Held unaussprechlicher Leiden, der Du
Undank, Schmähungen, Verfolgungen von denen erfuhrst, die es
nicht begreifen wollten, daß Du dem Lande Deiner Liebe, Deiner
steten Sehnsucht spottend den Spiegel vorhieltest, um seinen „ein¬
geschüchterten Freiheitsmut aufzurütteln", daß Dein großes, heißes Herz sich in
Schmerzen wand, wenn die Rutenhiebe Deines Spottes das matt und schläfrig
gewordene Deutschland empfindlich trafen! Groß, anbetungswürdig wie zur
Zeit seiner Erhebung 1813 lebte es in Deiner Seele, sahst Du es in Deinen
Träumen! In Wirklichkeit aber gab es dort nichts als „Eulen, Zensurenedikte,
Kerkerduft, Entsagungsromane, Wachtparaden, Frömmelei, Blödsinn — eine
niedergedrückte, arretierte Zeit".

Armer Heinrich! Die Luft wurde Dir schwül, als im deutschen Vater¬
lande Dein zweiter Band Reisebilder einen wahren Sturm der Entrüstung hervor¬
rief. Was wunder, daß Du da nach England zu pilgern begehrtest, dem Lande
der Freiheit, dem heil'gen Hort reinen Menschtums, in dem Du alles zu finden
gedachtest, worin spießbürgerliche Enge des vormärzlichen Deutschland Dich
getäuscht hatte. — Aber ach! Die ideale Gestalt der Freiheit, die Heine im jungen
Busen trug, die allgemein menschliche Freiheit, deren Wesen aus den Gesetzen
erhöhter Sittlichkeit, aus einer durchdringenden Volkserziehung hervorblüht, fand
er in dem grauen Nebellande jenseits des Kanals als Zerrbild „eine englisch-
historische Freiheit, die entweder den königlich großbritannischen Untertanen
patentiert wird, oder auf ein altes Gesetz, etwa ans der Zeit der Königin
Anna basiert ist".

Lese ihn jetzt selbst, die Ihr den Dichter des Buchs der Lieder und der
Harzreise längst mit Euren Jugendträumen begraben, und Ihr, die Ihr ihn nur


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[0069] [Abbildung] Heinrich Heine über England H. Behrendsen von Motto: Denk' ich an Deutschland in der Nacht, Dann bin ich um den Schlaf gebracht, Ich kann nicht mehr die Augen schließen, Und meine heißen Tränen fließen. <M',M!V>^rmer Heinrich! Du Märtyrer der unglücklichen Liebe zu Deinem Vaterlande! Du stiller Held unaussprechlicher Leiden, der Du Undank, Schmähungen, Verfolgungen von denen erfuhrst, die es nicht begreifen wollten, daß Du dem Lande Deiner Liebe, Deiner steten Sehnsucht spottend den Spiegel vorhieltest, um seinen „ein¬ geschüchterten Freiheitsmut aufzurütteln", daß Dein großes, heißes Herz sich in Schmerzen wand, wenn die Rutenhiebe Deines Spottes das matt und schläfrig gewordene Deutschland empfindlich trafen! Groß, anbetungswürdig wie zur Zeit seiner Erhebung 1813 lebte es in Deiner Seele, sahst Du es in Deinen Träumen! In Wirklichkeit aber gab es dort nichts als „Eulen, Zensurenedikte, Kerkerduft, Entsagungsromane, Wachtparaden, Frömmelei, Blödsinn — eine niedergedrückte, arretierte Zeit". Armer Heinrich! Die Luft wurde Dir schwül, als im deutschen Vater¬ lande Dein zweiter Band Reisebilder einen wahren Sturm der Entrüstung hervor¬ rief. Was wunder, daß Du da nach England zu pilgern begehrtest, dem Lande der Freiheit, dem heil'gen Hort reinen Menschtums, in dem Du alles zu finden gedachtest, worin spießbürgerliche Enge des vormärzlichen Deutschland Dich getäuscht hatte. — Aber ach! Die ideale Gestalt der Freiheit, die Heine im jungen Busen trug, die allgemein menschliche Freiheit, deren Wesen aus den Gesetzen erhöhter Sittlichkeit, aus einer durchdringenden Volkserziehung hervorblüht, fand er in dem grauen Nebellande jenseits des Kanals als Zerrbild „eine englisch- historische Freiheit, die entweder den königlich großbritannischen Untertanen patentiert wird, oder auf ein altes Gesetz, etwa ans der Zeit der Königin Anna basiert ist". Lese ihn jetzt selbst, die Ihr den Dichter des Buchs der Lieder und der Harzreise längst mit Euren Jugendträumen begraben, und Ihr, die Ihr ihn nur

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323097/69>, abgerufen am 28.04.2024.