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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Erstes Vierteljahr.

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Heinrich Heino über Lnglnnd

als geistreichen oft allzu pikanten Spaßmacher in Erinnerung habt, zu dessen
Bekanntschaft man sich "in ordentlich bürgerlicher Gesellschaft nur mit Vorsicht
bekennt oder aus serviler Angst verleugnet"*). Und Ihr, die Ihr in Heinrich
Heine nur den Vaterlandsverleugner, den spöttelnden, französierenden Ab¬
trünnigen sehen wolltet, gerade Ihr sollt ihn zur Hand nehmen. Jetzt werdet
Ihr Euch eins fühlen mit ihm in seiner Verachtung, seinem Ekel, seinem Grauen
vor dem "perfiden Albion", "dem widerwärtigsten Volke, das Gott in seinem
Zorn erschaffen".

Gewähren Heines politische Aufsätze und der Nachtrag zu den Reisebildern,
vom ästhetischen Standpunkt betrachtet, einen hohen Genuß durch ihren unver¬
gleichlich glänzenden Stil und immer zutreffenden Witz, so sind sie eine wahre
Fundgrube von Erkenntnissen über die folgerichtige Entwicklung der europäischen
Lage bis auf den heutigen Tag. An der Hand von Heines Beobachtungen
und Urteilen, die über die damaligen Konstellationen der Politik und die
Machenschaften der Diplomatie eine klare Übersicht gestatten, überkommt uns
oft ein eigenes Gefühl: so als ob die Welt seit 1832 stehen geblieben wäre.
Überall hatte England auch damals seine Hand im Spiele; aus Habgier,
Herrschsucht, Neid, schließt es zweideutige Bündnisse mir anderen Mächten,
heuchelt es Freundschaft, wenn es ihren diplomatischen, militärischen Beistand
und ihr Geld braucht, um ohne großes Risiko für sich etwas auf dem Länder¬
markte zu erschachern. Im Jahre 1832 schon hatte der schlaue John Bull
Frankreich dieselbe Rolle zugedacht, wie heute in dem von ihm inszenierten
Kriegsdrama. Hierüber äußert sich Heine folgendermaßen: "Ja die Engländer
werden den gallischen Hahn noch besonders anspornen zum Kampfe mit den
absoluten Adlern und sie werden schaubegierig mit ihren langen Hälsen über
den Kanal herüberschauen und applaudieren wie im Cock-pit, und ob des Aus¬
gangs des Kampfes viele tausend Guineen verwelken." Und bei einer anderen
Gelegenheit: "Woher aber kommt es, daß solche Eineute aller aristokratischen
Interessen immer im englischen Volke so viel Anklang fand? -- weil immer
im Herzen der Engländer eine geheime Eifersucht wie ein böses Geschwür juckt
und eitert, sobald in Frankreich ein behaglicher Wohlstand emporblüht, sobald
die französische Industrie durch den Frieden gedeiht und die französische Marine
sich bedeutend ausbildet. Namentlich in bezug auf die Marine wird den Eng¬
ländern die gehässigste Mißgunst zugeschrieben". . . . Unbegreiflich ist es nur,
wie Frankreich nun wieder auf den Leim gehen konnte, nachdem es solche
Erfahrungen gemacht hatte.

Englands damaliger Weltruf als Vorbild, "is Schule für Politiker, beirrte
Heine nicht in seinem Urteil, welches er sich durch eigene Anschauung und tief¬
gehende Studien gebildet hatte. Er sagt: "Die Politik des Landes ist bei
den Engländern nichts anderes als eine Masse von Ansichten über die made-



*) Vnrnhagon von Ense,
Heinrich Heino über Lnglnnd

als geistreichen oft allzu pikanten Spaßmacher in Erinnerung habt, zu dessen
Bekanntschaft man sich „in ordentlich bürgerlicher Gesellschaft nur mit Vorsicht
bekennt oder aus serviler Angst verleugnet"*). Und Ihr, die Ihr in Heinrich
Heine nur den Vaterlandsverleugner, den spöttelnden, französierenden Ab¬
trünnigen sehen wolltet, gerade Ihr sollt ihn zur Hand nehmen. Jetzt werdet
Ihr Euch eins fühlen mit ihm in seiner Verachtung, seinem Ekel, seinem Grauen
vor dem „perfiden Albion", „dem widerwärtigsten Volke, das Gott in seinem
Zorn erschaffen".

Gewähren Heines politische Aufsätze und der Nachtrag zu den Reisebildern,
vom ästhetischen Standpunkt betrachtet, einen hohen Genuß durch ihren unver¬
gleichlich glänzenden Stil und immer zutreffenden Witz, so sind sie eine wahre
Fundgrube von Erkenntnissen über die folgerichtige Entwicklung der europäischen
Lage bis auf den heutigen Tag. An der Hand von Heines Beobachtungen
und Urteilen, die über die damaligen Konstellationen der Politik und die
Machenschaften der Diplomatie eine klare Übersicht gestatten, überkommt uns
oft ein eigenes Gefühl: so als ob die Welt seit 1832 stehen geblieben wäre.
Überall hatte England auch damals seine Hand im Spiele; aus Habgier,
Herrschsucht, Neid, schließt es zweideutige Bündnisse mir anderen Mächten,
heuchelt es Freundschaft, wenn es ihren diplomatischen, militärischen Beistand
und ihr Geld braucht, um ohne großes Risiko für sich etwas auf dem Länder¬
markte zu erschachern. Im Jahre 1832 schon hatte der schlaue John Bull
Frankreich dieselbe Rolle zugedacht, wie heute in dem von ihm inszenierten
Kriegsdrama. Hierüber äußert sich Heine folgendermaßen: „Ja die Engländer
werden den gallischen Hahn noch besonders anspornen zum Kampfe mit den
absoluten Adlern und sie werden schaubegierig mit ihren langen Hälsen über
den Kanal herüberschauen und applaudieren wie im Cock-pit, und ob des Aus¬
gangs des Kampfes viele tausend Guineen verwelken." Und bei einer anderen
Gelegenheit: „Woher aber kommt es, daß solche Eineute aller aristokratischen
Interessen immer im englischen Volke so viel Anklang fand? — weil immer
im Herzen der Engländer eine geheime Eifersucht wie ein böses Geschwür juckt
und eitert, sobald in Frankreich ein behaglicher Wohlstand emporblüht, sobald
die französische Industrie durch den Frieden gedeiht und die französische Marine
sich bedeutend ausbildet. Namentlich in bezug auf die Marine wird den Eng¬
ländern die gehässigste Mißgunst zugeschrieben". . . . Unbegreiflich ist es nur,
wie Frankreich nun wieder auf den Leim gehen konnte, nachdem es solche
Erfahrungen gemacht hatte.

Englands damaliger Weltruf als Vorbild, «is Schule für Politiker, beirrte
Heine nicht in seinem Urteil, welches er sich durch eigene Anschauung und tief¬
gehende Studien gebildet hatte. Er sagt: „Die Politik des Landes ist bei
den Engländern nichts anderes als eine Masse von Ansichten über die made-



*) Vnrnhagon von Ense,
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[0070] Heinrich Heino über Lnglnnd als geistreichen oft allzu pikanten Spaßmacher in Erinnerung habt, zu dessen Bekanntschaft man sich „in ordentlich bürgerlicher Gesellschaft nur mit Vorsicht bekennt oder aus serviler Angst verleugnet"*). Und Ihr, die Ihr in Heinrich Heine nur den Vaterlandsverleugner, den spöttelnden, französierenden Ab¬ trünnigen sehen wolltet, gerade Ihr sollt ihn zur Hand nehmen. Jetzt werdet Ihr Euch eins fühlen mit ihm in seiner Verachtung, seinem Ekel, seinem Grauen vor dem „perfiden Albion", „dem widerwärtigsten Volke, das Gott in seinem Zorn erschaffen". Gewähren Heines politische Aufsätze und der Nachtrag zu den Reisebildern, vom ästhetischen Standpunkt betrachtet, einen hohen Genuß durch ihren unver¬ gleichlich glänzenden Stil und immer zutreffenden Witz, so sind sie eine wahre Fundgrube von Erkenntnissen über die folgerichtige Entwicklung der europäischen Lage bis auf den heutigen Tag. An der Hand von Heines Beobachtungen und Urteilen, die über die damaligen Konstellationen der Politik und die Machenschaften der Diplomatie eine klare Übersicht gestatten, überkommt uns oft ein eigenes Gefühl: so als ob die Welt seit 1832 stehen geblieben wäre. Überall hatte England auch damals seine Hand im Spiele; aus Habgier, Herrschsucht, Neid, schließt es zweideutige Bündnisse mir anderen Mächten, heuchelt es Freundschaft, wenn es ihren diplomatischen, militärischen Beistand und ihr Geld braucht, um ohne großes Risiko für sich etwas auf dem Länder¬ markte zu erschachern. Im Jahre 1832 schon hatte der schlaue John Bull Frankreich dieselbe Rolle zugedacht, wie heute in dem von ihm inszenierten Kriegsdrama. Hierüber äußert sich Heine folgendermaßen: „Ja die Engländer werden den gallischen Hahn noch besonders anspornen zum Kampfe mit den absoluten Adlern und sie werden schaubegierig mit ihren langen Hälsen über den Kanal herüberschauen und applaudieren wie im Cock-pit, und ob des Aus¬ gangs des Kampfes viele tausend Guineen verwelken." Und bei einer anderen Gelegenheit: „Woher aber kommt es, daß solche Eineute aller aristokratischen Interessen immer im englischen Volke so viel Anklang fand? — weil immer im Herzen der Engländer eine geheime Eifersucht wie ein böses Geschwür juckt und eitert, sobald in Frankreich ein behaglicher Wohlstand emporblüht, sobald die französische Industrie durch den Frieden gedeiht und die französische Marine sich bedeutend ausbildet. Namentlich in bezug auf die Marine wird den Eng¬ ländern die gehässigste Mißgunst zugeschrieben". . . . Unbegreiflich ist es nur, wie Frankreich nun wieder auf den Leim gehen konnte, nachdem es solche Erfahrungen gemacht hatte. Englands damaliger Weltruf als Vorbild, «is Schule für Politiker, beirrte Heine nicht in seinem Urteil, welches er sich durch eigene Anschauung und tief¬ gehende Studien gebildet hatte. Er sagt: „Die Politik des Landes ist bei den Engländern nichts anderes als eine Masse von Ansichten über die made- *) Vnrnhagon von Ense,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323097/70>, abgerufen am 14.05.2024.