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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Drittes Vierteljahr.

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Der religiöse Geist in deutschen ^oldatenbriefen
Dr. Fritz Roepke von

"Wir können nicht lediglich und allein der arohen
Sache dienen, ohne eine höhere Macht anzuerkennen und
Rudolf Eucken ihr Walten in uns zu verspüren."

o viele Tausende, die sonst selten eine Feder angerührt haben
oder ihre innersten Gefühle vor anderen ängstlich verbargen, haben
fern von der Heimat in der Nöte des Krieges gelernt, ihr Herz
zu öffnen und ihre Empfindungen mitzuteilen. Mit Hilfe der
Soldatenbriefe können wir in die Stimmungen und Gedanken
der draußen Kämpfenden hineindringen.

Ich möchte an dieser Stelle meinen Aufsatz "Deutsche Soldatenbriefe" in
Nummer 14 der Grenzboten nach der religiösen Seite hin ergänzen. Herr
Stadtpfarrer Binder aus Geislingen a. Se. hatte die Freundlichkeit, mir zu
diesem Zwecke Originalbriefe zur Verfügung zu stellen und mir einige Nummern
der tätigen und lebendigen Zeitschrift "Die Dorfkirche" (Verlag der Deutschen
Landbuchhandlung in Berlin) zu verschaffen, deren Kriegsnummern eine ganze
Reihe wertvoller Feldpostbriefe enthalten. Außerdem beziehen sich meine Zitate
auf eine gedruckte Sammlung: "Gottesbegegnungen im großen Kriege", heraus¬
gegeben von Neuberg und Stange (Dresden 1915, C. Ludwig Ungelenk; Heft 1).
Natürlich darf man die an die Geistlichen gerichteten Briefe nicht zu vertrauens¬
voll benutzen; in ihnen wird das Religiöse absichtlich in den Vordergrund
gerückt. Ich habe mich daher in der Hauptsache mit Briefen an Angehörige
begnügt.

Eine wie einheitliche Masse der Krieg auch aus dem Heere gemacht haben
mag: gerade bei den Offenbarungen des innersten Menschen haben wir es doch
nicht mit den unmittelbaren Produkten des Krieges tun; die psychischen Eigen¬
heiten der Persönlichkeit bewirken hier eine deutliche Abstufung der Gefühle
und Gefühlsäußerungen von der einfachsten und einfältigsten bis zur feinsten
und innerlichsten religiösen Empfindung. In Wirklichkeit finden sich die ver¬
schiedensten Empfindungen oft in einer Person vereinigt oder die Grenzen
zwischen ihnen sind stark verwischt. Um einen planmäßigen, klaren Überblick
zu gewinnen, habe ich versucht, die Gesamtsumme der religiösen Äußerungen
in drei Hauptgruppen zu teilen.
"

"Not lehrt beten, liest man so häufig in den Soldatenbriefen. Und
unsere Geistlichen erzählen gern von Leuten, die "sonst nie gebetet haben" und
draußen "beten gelernt haben". Die Todesgefahr, in der jeder Soldat täglich
schwebt, führt unwillkürlich die Hände zusammen; Kindheitserinnerungen drängen
sich auf, Gewohnheiten der Jugend, der Glaube an Schutzengel und an die
Kraft des Gebets: "Und siehe da, der liebe Vater im Himmel hat uns nicht
verlassen, er sandte Nebel herab zur Erde, und in dessen Schutz gelang es uns,
umsaust von den Kugeln der Turkos, zu entkommen und unsere Truppe zu




Der religiöse Geist in deutschen ^oldatenbriefen
Dr. Fritz Roepke von

„Wir können nicht lediglich und allein der arohen
Sache dienen, ohne eine höhere Macht anzuerkennen und
Rudolf Eucken ihr Walten in uns zu verspüren."

o viele Tausende, die sonst selten eine Feder angerührt haben
oder ihre innersten Gefühle vor anderen ängstlich verbargen, haben
fern von der Heimat in der Nöte des Krieges gelernt, ihr Herz
zu öffnen und ihre Empfindungen mitzuteilen. Mit Hilfe der
Soldatenbriefe können wir in die Stimmungen und Gedanken
der draußen Kämpfenden hineindringen.

Ich möchte an dieser Stelle meinen Aufsatz „Deutsche Soldatenbriefe" in
Nummer 14 der Grenzboten nach der religiösen Seite hin ergänzen. Herr
Stadtpfarrer Binder aus Geislingen a. Se. hatte die Freundlichkeit, mir zu
diesem Zwecke Originalbriefe zur Verfügung zu stellen und mir einige Nummern
der tätigen und lebendigen Zeitschrift „Die Dorfkirche" (Verlag der Deutschen
Landbuchhandlung in Berlin) zu verschaffen, deren Kriegsnummern eine ganze
Reihe wertvoller Feldpostbriefe enthalten. Außerdem beziehen sich meine Zitate
auf eine gedruckte Sammlung: „Gottesbegegnungen im großen Kriege", heraus¬
gegeben von Neuberg und Stange (Dresden 1915, C. Ludwig Ungelenk; Heft 1).
Natürlich darf man die an die Geistlichen gerichteten Briefe nicht zu vertrauens¬
voll benutzen; in ihnen wird das Religiöse absichtlich in den Vordergrund
gerückt. Ich habe mich daher in der Hauptsache mit Briefen an Angehörige
begnügt.

Eine wie einheitliche Masse der Krieg auch aus dem Heere gemacht haben
mag: gerade bei den Offenbarungen des innersten Menschen haben wir es doch
nicht mit den unmittelbaren Produkten des Krieges tun; die psychischen Eigen¬
heiten der Persönlichkeit bewirken hier eine deutliche Abstufung der Gefühle
und Gefühlsäußerungen von der einfachsten und einfältigsten bis zur feinsten
und innerlichsten religiösen Empfindung. In Wirklichkeit finden sich die ver¬
schiedensten Empfindungen oft in einer Person vereinigt oder die Grenzen
zwischen ihnen sind stark verwischt. Um einen planmäßigen, klaren Überblick
zu gewinnen, habe ich versucht, die Gesamtsumme der religiösen Äußerungen
in drei Hauptgruppen zu teilen.
"

„Not lehrt beten, liest man so häufig in den Soldatenbriefen. Und
unsere Geistlichen erzählen gern von Leuten, die „sonst nie gebetet haben" und
draußen „beten gelernt haben". Die Todesgefahr, in der jeder Soldat täglich
schwebt, führt unwillkürlich die Hände zusammen; Kindheitserinnerungen drängen
sich auf, Gewohnheiten der Jugend, der Glaube an Schutzengel und an die
Kraft des Gebets: „Und siehe da, der liebe Vater im Himmel hat uns nicht
verlassen, er sandte Nebel herab zur Erde, und in dessen Schutz gelang es uns,
umsaust von den Kugeln der Turkos, zu entkommen und unsere Truppe zu


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323972/136>, abgerufen am 19.05.2024.