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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Drittes Vierteljahr.

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Warum bekämpft uns Rußland?

England dies getan hätte der Neutralität Belgiens wegen. In beiden Fällen
handelt es sich um Scheingründe, die als solche recht gute Dienste geleistet
haben. Als Hilfsgrund kommt der Panslawismus insofern in Frage, als er
die kleine Zahl aufrichtiger, allslawischer Schwärmer unter den Russen zu
einem Kriege gegen Deutschland angespornt haben mag.


b) Die Ausbeutung Rußlands durch Deutschland
und die Deutschen

Seit Jahren hörte und las man in Rußland oft von der wirtschaftlichen
Ausbeutung des Landes durch Deutschland und die Deutschen. Die in Frage
kommenden Verhältnisse lagen ungefähr wie folgt: Rußland fühlte, daß seine
großen, natürlichen Schätze ohne Hilfe ausländischen Kapitals und ausländischer
Intelligenz nicht zu heben waren. Schon Katharina die Zweite berief deutsche
Kolonisten, die ungemein viel geleistet haben und noch heute deutsch geblieben
sind. Ebenso bemühten sich ihre Nachfolger Handwerker, Weber und Bauern,
meist aus Deutschland, heranzuziehen. Der Zweck wurde vollkommen erreicht.
Die ganze polnische und russische Industrie geht in ihren Uranfängen auf
Ausländer, meist Deutsche, zurück. Allmählich nun wurden aus den kleinen
Auswanderern große Leute, sie leisteten für das Land unendlich viel und
kamen dabei selbst zu Wohlstand. Ihre Nationalität behielten sie vielfach bei,
besonders auf dem Lande. Hier setzt nun die russische Scheelsucht ein. Ein
Nüsse, der in eine Industriestadt kommt, sieht, daß die größten und schönsten
Fabriken Nichtrussen gehören, die als die wohlhabendste:: Leute des Ortes einen
gewissen Einfluß haben, mit dem man rechnen muß. Das verletzte den russischen
Nationalstolz; man empfand diese Lage der Dinge als unberechtigte Aneignung
russischen Vermögens, vergaß dabei aber ganz, daß es sich meist um neu
geschaffene Werte handelte, welche die Russen aus eigener Kraft nie hervor¬
gebracht hätten. Bis in die allerletzte Zeit ruft die russische Regierung ständig
nach der, Hilfe ausländischer Kapitalien, möchte aber am liebsten gar keine
Ausländer in Rußland haben. Ist ein solcher absolut unentbehrlich in einer
neu zu gründenden Industrie, so würde man ihn am liebsten auf der bekannten
Pomotschnik-Stellung (Gehilfe) fehen, die ersten Stellen aber sollen Russen
einnehmen, die weder das Kapital noch die Fähigkeiten haben, solche auszufüllen.
Dafür sind natürlich wieder die ausländischen Kapitalien nicht zu haben.
Rußland befindet sich hier in der Lage eines Menschen, der ein Bad nehmen
wollte, ohne dabei naß zu werden: Industrie, Handel und Steuern sollen sein,
dazu braucht man ausländische Intelligenz und Kapital, aber die Ausländer
selbst möchte man nicht -- ein Ding der Unmöglichkeit. Als nun aus tieferen,
politischen Gründen gegen alles Deutsche mobil gemacht wurde, kam auch dieser
Grund an das Tageslicht; von Franzosen, Engländern und Belgiern, die ebenfalls
sehr stark in der russischen Industrie vertreten sind, sprach man nicht, obwohl
man sie auch nicht gerne sieht.


Warum bekämpft uns Rußland?

England dies getan hätte der Neutralität Belgiens wegen. In beiden Fällen
handelt es sich um Scheingründe, die als solche recht gute Dienste geleistet
haben. Als Hilfsgrund kommt der Panslawismus insofern in Frage, als er
die kleine Zahl aufrichtiger, allslawischer Schwärmer unter den Russen zu
einem Kriege gegen Deutschland angespornt haben mag.


b) Die Ausbeutung Rußlands durch Deutschland
und die Deutschen

Seit Jahren hörte und las man in Rußland oft von der wirtschaftlichen
Ausbeutung des Landes durch Deutschland und die Deutschen. Die in Frage
kommenden Verhältnisse lagen ungefähr wie folgt: Rußland fühlte, daß seine
großen, natürlichen Schätze ohne Hilfe ausländischen Kapitals und ausländischer
Intelligenz nicht zu heben waren. Schon Katharina die Zweite berief deutsche
Kolonisten, die ungemein viel geleistet haben und noch heute deutsch geblieben
sind. Ebenso bemühten sich ihre Nachfolger Handwerker, Weber und Bauern,
meist aus Deutschland, heranzuziehen. Der Zweck wurde vollkommen erreicht.
Die ganze polnische und russische Industrie geht in ihren Uranfängen auf
Ausländer, meist Deutsche, zurück. Allmählich nun wurden aus den kleinen
Auswanderern große Leute, sie leisteten für das Land unendlich viel und
kamen dabei selbst zu Wohlstand. Ihre Nationalität behielten sie vielfach bei,
besonders auf dem Lande. Hier setzt nun die russische Scheelsucht ein. Ein
Nüsse, der in eine Industriestadt kommt, sieht, daß die größten und schönsten
Fabriken Nichtrussen gehören, die als die wohlhabendste:: Leute des Ortes einen
gewissen Einfluß haben, mit dem man rechnen muß. Das verletzte den russischen
Nationalstolz; man empfand diese Lage der Dinge als unberechtigte Aneignung
russischen Vermögens, vergaß dabei aber ganz, daß es sich meist um neu
geschaffene Werte handelte, welche die Russen aus eigener Kraft nie hervor¬
gebracht hätten. Bis in die allerletzte Zeit ruft die russische Regierung ständig
nach der, Hilfe ausländischer Kapitalien, möchte aber am liebsten gar keine
Ausländer in Rußland haben. Ist ein solcher absolut unentbehrlich in einer
neu zu gründenden Industrie, so würde man ihn am liebsten auf der bekannten
Pomotschnik-Stellung (Gehilfe) fehen, die ersten Stellen aber sollen Russen
einnehmen, die weder das Kapital noch die Fähigkeiten haben, solche auszufüllen.
Dafür sind natürlich wieder die ausländischen Kapitalien nicht zu haben.
Rußland befindet sich hier in der Lage eines Menschen, der ein Bad nehmen
wollte, ohne dabei naß zu werden: Industrie, Handel und Steuern sollen sein,
dazu braucht man ausländische Intelligenz und Kapital, aber die Ausländer
selbst möchte man nicht — ein Ding der Unmöglichkeit. Als nun aus tieferen,
politischen Gründen gegen alles Deutsche mobil gemacht wurde, kam auch dieser
Grund an das Tageslicht; von Franzosen, Engländern und Belgiern, die ebenfalls
sehr stark in der russischen Industrie vertreten sind, sprach man nicht, obwohl
man sie auch nicht gerne sieht.


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[0275] Warum bekämpft uns Rußland? England dies getan hätte der Neutralität Belgiens wegen. In beiden Fällen handelt es sich um Scheingründe, die als solche recht gute Dienste geleistet haben. Als Hilfsgrund kommt der Panslawismus insofern in Frage, als er die kleine Zahl aufrichtiger, allslawischer Schwärmer unter den Russen zu einem Kriege gegen Deutschland angespornt haben mag. b) Die Ausbeutung Rußlands durch Deutschland und die Deutschen Seit Jahren hörte und las man in Rußland oft von der wirtschaftlichen Ausbeutung des Landes durch Deutschland und die Deutschen. Die in Frage kommenden Verhältnisse lagen ungefähr wie folgt: Rußland fühlte, daß seine großen, natürlichen Schätze ohne Hilfe ausländischen Kapitals und ausländischer Intelligenz nicht zu heben waren. Schon Katharina die Zweite berief deutsche Kolonisten, die ungemein viel geleistet haben und noch heute deutsch geblieben sind. Ebenso bemühten sich ihre Nachfolger Handwerker, Weber und Bauern, meist aus Deutschland, heranzuziehen. Der Zweck wurde vollkommen erreicht. Die ganze polnische und russische Industrie geht in ihren Uranfängen auf Ausländer, meist Deutsche, zurück. Allmählich nun wurden aus den kleinen Auswanderern große Leute, sie leisteten für das Land unendlich viel und kamen dabei selbst zu Wohlstand. Ihre Nationalität behielten sie vielfach bei, besonders auf dem Lande. Hier setzt nun die russische Scheelsucht ein. Ein Nüsse, der in eine Industriestadt kommt, sieht, daß die größten und schönsten Fabriken Nichtrussen gehören, die als die wohlhabendste:: Leute des Ortes einen gewissen Einfluß haben, mit dem man rechnen muß. Das verletzte den russischen Nationalstolz; man empfand diese Lage der Dinge als unberechtigte Aneignung russischen Vermögens, vergaß dabei aber ganz, daß es sich meist um neu geschaffene Werte handelte, welche die Russen aus eigener Kraft nie hervor¬ gebracht hätten. Bis in die allerletzte Zeit ruft die russische Regierung ständig nach der, Hilfe ausländischer Kapitalien, möchte aber am liebsten gar keine Ausländer in Rußland haben. Ist ein solcher absolut unentbehrlich in einer neu zu gründenden Industrie, so würde man ihn am liebsten auf der bekannten Pomotschnik-Stellung (Gehilfe) fehen, die ersten Stellen aber sollen Russen einnehmen, die weder das Kapital noch die Fähigkeiten haben, solche auszufüllen. Dafür sind natürlich wieder die ausländischen Kapitalien nicht zu haben. Rußland befindet sich hier in der Lage eines Menschen, der ein Bad nehmen wollte, ohne dabei naß zu werden: Industrie, Handel und Steuern sollen sein, dazu braucht man ausländische Intelligenz und Kapital, aber die Ausländer selbst möchte man nicht — ein Ding der Unmöglichkeit. Als nun aus tieferen, politischen Gründen gegen alles Deutsche mobil gemacht wurde, kam auch dieser Grund an das Tageslicht; von Franzosen, Engländern und Belgiern, die ebenfalls sehr stark in der russischen Industrie vertreten sind, sprach man nicht, obwohl man sie auch nicht gerne sieht.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323972/275>, abgerufen am 26.05.2024.