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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Drittes Vierteljahr.

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Die Freimaurer und der Weltkrieg
Professor Hesse i Vonn

eit Bestehen der Freimaurerei hat es keine Zeit gegeben, in der
sich die deutsche Tagespresse so intensiv mit den Freimaurern
beschäftigt hätte, als in der gegenwärtigen. Es lag auch kein
Grund dazu vor; denn die deutschen Freimaurer lebten ihr
beschauliches Dasein in der Abgeschiedenheit ihrer Logenhäuser
dahin. Sie taten niemandem etwas zuleide, und wurden deshalb auch von
ihren Mitmenschen kaum beachtet. Es mußte schon ein Schwindler vom Schlage
jenes Franzosen, der unter dem Namen Leo Taxil sein Wesen trieb, das
sensationsbedürftige Philistertum mit seinen "Enthüllungen" unterhalten, wenn
auch in Deutschland die Freimaurer einmal in der Tagespresse erwähnt werden
sollten. Grundsätzliche oder künstlich erregte Gegner erhoben freilich zu allen
Zeiten auch in ihrer Parteipresse unbegründete Anklagen gegen die Freimaurer.
Die wenigsten Menschen aber kümmerten sich darum. Das ist in der jüngsten
Zeit anders geworden. Große und kleine Zeitungen aller politischen Parteien
brachten ausführliche Auseinandersetzungen über angebliche politische Treibereien
der Freimaurer überhaupt. Ja, man beschuldigt wenigstens einen Teil dieser
Gesellschaft, daß er bei der Entzündung des gegenwärtigen Weltbrandes mit
großem Eifer und Erfolge tätig mitgewirkt habe. Ob mit Recht oder Unrecht,
das darzulegen soll die Aufgabe der folgenden Betrachtungen sein.

Am 24. Juni 1917 werden zweihundert Jahre vergangen sein seit dem
Tage, da in England die Gründung der sogenannten "symbolischen Freimaurerei"
erfolgte. Die vier letzten Bauhütten der alten Werkmaurergilden in London
wandelte man am Johannistage von 1717 zu "geistigen Bauhütten" um, zu
Werkstätten, wo in Zukunft der freimaurerische Gedanke in stillem, vom Welt¬
getriebe abgeschiedenen, Kultus gepflegt werden sollte. Zweck dieses Kultus war
die Erziehung gleichgestnnter und gleichgestimmter Männer zu sittlichen Persönlich¬
keiten durch symbolische Schulung. Die alten Symbole und Rituale der Werk¬
maurer übernahm man, und legte ihnen zum neuen Zwecke neue Bedeutung
und neue Werte unter. Die also erzogenen Einzelwesen sollten in gleichem
Sinne auf die Mitwelt erziehend wirkende Kräfte schaffen. Noch heute sind
sich die freimaurerischen Geschichtsforscher nicht darüber einig, ob die tieferen
Wurzeln des freimaurerischen Gedankens nicht viel weiter reichen, als bis zu




Die Freimaurer und der Weltkrieg
Professor Hesse i Vonn

eit Bestehen der Freimaurerei hat es keine Zeit gegeben, in der
sich die deutsche Tagespresse so intensiv mit den Freimaurern
beschäftigt hätte, als in der gegenwärtigen. Es lag auch kein
Grund dazu vor; denn die deutschen Freimaurer lebten ihr
beschauliches Dasein in der Abgeschiedenheit ihrer Logenhäuser
dahin. Sie taten niemandem etwas zuleide, und wurden deshalb auch von
ihren Mitmenschen kaum beachtet. Es mußte schon ein Schwindler vom Schlage
jenes Franzosen, der unter dem Namen Leo Taxil sein Wesen trieb, das
sensationsbedürftige Philistertum mit seinen „Enthüllungen" unterhalten, wenn
auch in Deutschland die Freimaurer einmal in der Tagespresse erwähnt werden
sollten. Grundsätzliche oder künstlich erregte Gegner erhoben freilich zu allen
Zeiten auch in ihrer Parteipresse unbegründete Anklagen gegen die Freimaurer.
Die wenigsten Menschen aber kümmerten sich darum. Das ist in der jüngsten
Zeit anders geworden. Große und kleine Zeitungen aller politischen Parteien
brachten ausführliche Auseinandersetzungen über angebliche politische Treibereien
der Freimaurer überhaupt. Ja, man beschuldigt wenigstens einen Teil dieser
Gesellschaft, daß er bei der Entzündung des gegenwärtigen Weltbrandes mit
großem Eifer und Erfolge tätig mitgewirkt habe. Ob mit Recht oder Unrecht,
das darzulegen soll die Aufgabe der folgenden Betrachtungen sein.

Am 24. Juni 1917 werden zweihundert Jahre vergangen sein seit dem
Tage, da in England die Gründung der sogenannten „symbolischen Freimaurerei"
erfolgte. Die vier letzten Bauhütten der alten Werkmaurergilden in London
wandelte man am Johannistage von 1717 zu „geistigen Bauhütten" um, zu
Werkstätten, wo in Zukunft der freimaurerische Gedanke in stillem, vom Welt¬
getriebe abgeschiedenen, Kultus gepflegt werden sollte. Zweck dieses Kultus war
die Erziehung gleichgestnnter und gleichgestimmter Männer zu sittlichen Persönlich¬
keiten durch symbolische Schulung. Die alten Symbole und Rituale der Werk¬
maurer übernahm man, und legte ihnen zum neuen Zwecke neue Bedeutung
und neue Werte unter. Die also erzogenen Einzelwesen sollten in gleichem
Sinne auf die Mitwelt erziehend wirkende Kräfte schaffen. Noch heute sind
sich die freimaurerischen Geschichtsforscher nicht darüber einig, ob die tieferen
Wurzeln des freimaurerischen Gedankens nicht viel weiter reichen, als bis zu


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[0346] [Abbildung] Die Freimaurer und der Weltkrieg Professor Hesse i Vonn eit Bestehen der Freimaurerei hat es keine Zeit gegeben, in der sich die deutsche Tagespresse so intensiv mit den Freimaurern beschäftigt hätte, als in der gegenwärtigen. Es lag auch kein Grund dazu vor; denn die deutschen Freimaurer lebten ihr beschauliches Dasein in der Abgeschiedenheit ihrer Logenhäuser dahin. Sie taten niemandem etwas zuleide, und wurden deshalb auch von ihren Mitmenschen kaum beachtet. Es mußte schon ein Schwindler vom Schlage jenes Franzosen, der unter dem Namen Leo Taxil sein Wesen trieb, das sensationsbedürftige Philistertum mit seinen „Enthüllungen" unterhalten, wenn auch in Deutschland die Freimaurer einmal in der Tagespresse erwähnt werden sollten. Grundsätzliche oder künstlich erregte Gegner erhoben freilich zu allen Zeiten auch in ihrer Parteipresse unbegründete Anklagen gegen die Freimaurer. Die wenigsten Menschen aber kümmerten sich darum. Das ist in der jüngsten Zeit anders geworden. Große und kleine Zeitungen aller politischen Parteien brachten ausführliche Auseinandersetzungen über angebliche politische Treibereien der Freimaurer überhaupt. Ja, man beschuldigt wenigstens einen Teil dieser Gesellschaft, daß er bei der Entzündung des gegenwärtigen Weltbrandes mit großem Eifer und Erfolge tätig mitgewirkt habe. Ob mit Recht oder Unrecht, das darzulegen soll die Aufgabe der folgenden Betrachtungen sein. Am 24. Juni 1917 werden zweihundert Jahre vergangen sein seit dem Tage, da in England die Gründung der sogenannten „symbolischen Freimaurerei" erfolgte. Die vier letzten Bauhütten der alten Werkmaurergilden in London wandelte man am Johannistage von 1717 zu „geistigen Bauhütten" um, zu Werkstätten, wo in Zukunft der freimaurerische Gedanke in stillem, vom Welt¬ getriebe abgeschiedenen, Kultus gepflegt werden sollte. Zweck dieses Kultus war die Erziehung gleichgestnnter und gleichgestimmter Männer zu sittlichen Persönlich¬ keiten durch symbolische Schulung. Die alten Symbole und Rituale der Werk¬ maurer übernahm man, und legte ihnen zum neuen Zwecke neue Bedeutung und neue Werte unter. Die also erzogenen Einzelwesen sollten in gleichem Sinne auf die Mitwelt erziehend wirkende Kräfte schaffen. Noch heute sind sich die freimaurerischen Geschichtsforscher nicht darüber einig, ob die tieferen Wurzeln des freimaurerischen Gedankens nicht viel weiter reichen, als bis zu

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323972/346>, abgerufen am 26.05.2024.