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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Drittes Vierteljahr.

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Volksdichtung über unsere gefallenen Helden
R, ZVehrhcrn von

!em aufmerksamen Beobachter ist sicherlich nicht entgangen, daß
^ bald nach Beginn des Krieges der Brauch Aufnahme fand, in die
Anzeige des Verlustes eines Angehörigen im Felde einen Reim
zu setzen. Anfangs wagte sich der Brauch nur schüchtern, hier und
da, hervor; nachdem er aber einmal aufgekommen war, breitete
er sich mit kaum glaublicher Schnelligkeit durch alle Gaue unseres Vaterlandes
aus, und heute ist diese Art der Spruchdichtung ungeheuerlich angeschwollen.

Der Inhalt der Reime ist im Verhältnis zu ihrer außerordentlich großen
Zahl meistens äußerst dürftig. Trotzdem finden wir in ihnen nicht selten in
schöner und treffender Weise den Geist der weitesten Volksklassen enthüllt. Was
uns vor allem immer wieder in ihnen entgegentritt, ist geduldige Ergebung in
Gottes Willen und tiefster Schmerz über den Verlust, die tröstende Hoffnung
auf ein Wiedersehen, eine heiße, über alles gehende Liebe und ein herzliches
Versprechen, das Gedächtnis des Toten zu pflegen und in Ehren zu halten;
aber auch freudiger Stolz auf den Tod fürs Vaterland, den Heldentod, ein
überzeugtes Bewußtsein von der Notwendigkeit des Opfers, wobei in oft rührender,
einfacher und schlichter Weise nur auf die treuerfüllte Pflicht des Soldaten hin¬
gewiesen wird.

Die deutsche Spruchdichtung in Todesanzeigen ist nicht gerade neu, sie
trat auch in Friedenszeiten auf; auch sonst finden wir den Reim im Volksleben bei
vielen feierlichen Gelegenheiten, bei denen die gewöhnliche Rede der gehobenen
Stimmung nicht genügend Rechnung trägt (Hochzeit, Polterabend, Zimmermanns¬
spruch und dergleichen). Der hochdeutsche Reim hat für das Volk etwas
Ernstes, Feierliches und durch und durch Eigenartiges; er sagt ihm sehr viel
mehr, klingt ihm viel würdiger, vollwertiger, weihevoller und stimmungsgemüßer
als das gewöhnliche Wort,

Die Reime in den Todesanzeigen für gefallene Krieger treten in allen
Zeitungen, gleichviel welche religiöse oder politische Stellung diese einnehmen,




Volksdichtung über unsere gefallenen Helden
R, ZVehrhcrn von

!em aufmerksamen Beobachter ist sicherlich nicht entgangen, daß
^ bald nach Beginn des Krieges der Brauch Aufnahme fand, in die
Anzeige des Verlustes eines Angehörigen im Felde einen Reim
zu setzen. Anfangs wagte sich der Brauch nur schüchtern, hier und
da, hervor; nachdem er aber einmal aufgekommen war, breitete
er sich mit kaum glaublicher Schnelligkeit durch alle Gaue unseres Vaterlandes
aus, und heute ist diese Art der Spruchdichtung ungeheuerlich angeschwollen.

Der Inhalt der Reime ist im Verhältnis zu ihrer außerordentlich großen
Zahl meistens äußerst dürftig. Trotzdem finden wir in ihnen nicht selten in
schöner und treffender Weise den Geist der weitesten Volksklassen enthüllt. Was
uns vor allem immer wieder in ihnen entgegentritt, ist geduldige Ergebung in
Gottes Willen und tiefster Schmerz über den Verlust, die tröstende Hoffnung
auf ein Wiedersehen, eine heiße, über alles gehende Liebe und ein herzliches
Versprechen, das Gedächtnis des Toten zu pflegen und in Ehren zu halten;
aber auch freudiger Stolz auf den Tod fürs Vaterland, den Heldentod, ein
überzeugtes Bewußtsein von der Notwendigkeit des Opfers, wobei in oft rührender,
einfacher und schlichter Weise nur auf die treuerfüllte Pflicht des Soldaten hin¬
gewiesen wird.

Die deutsche Spruchdichtung in Todesanzeigen ist nicht gerade neu, sie
trat auch in Friedenszeiten auf; auch sonst finden wir den Reim im Volksleben bei
vielen feierlichen Gelegenheiten, bei denen die gewöhnliche Rede der gehobenen
Stimmung nicht genügend Rechnung trägt (Hochzeit, Polterabend, Zimmermanns¬
spruch und dergleichen). Der hochdeutsche Reim hat für das Volk etwas
Ernstes, Feierliches und durch und durch Eigenartiges; er sagt ihm sehr viel
mehr, klingt ihm viel würdiger, vollwertiger, weihevoller und stimmungsgemüßer
als das gewöhnliche Wort,

Die Reime in den Todesanzeigen für gefallene Krieger treten in allen
Zeitungen, gleichviel welche religiöse oder politische Stellung diese einnehmen,


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[0070] [Abbildung] Volksdichtung über unsere gefallenen Helden R, ZVehrhcrn von !em aufmerksamen Beobachter ist sicherlich nicht entgangen, daß ^ bald nach Beginn des Krieges der Brauch Aufnahme fand, in die Anzeige des Verlustes eines Angehörigen im Felde einen Reim zu setzen. Anfangs wagte sich der Brauch nur schüchtern, hier und da, hervor; nachdem er aber einmal aufgekommen war, breitete er sich mit kaum glaublicher Schnelligkeit durch alle Gaue unseres Vaterlandes aus, und heute ist diese Art der Spruchdichtung ungeheuerlich angeschwollen. Der Inhalt der Reime ist im Verhältnis zu ihrer außerordentlich großen Zahl meistens äußerst dürftig. Trotzdem finden wir in ihnen nicht selten in schöner und treffender Weise den Geist der weitesten Volksklassen enthüllt. Was uns vor allem immer wieder in ihnen entgegentritt, ist geduldige Ergebung in Gottes Willen und tiefster Schmerz über den Verlust, die tröstende Hoffnung auf ein Wiedersehen, eine heiße, über alles gehende Liebe und ein herzliches Versprechen, das Gedächtnis des Toten zu pflegen und in Ehren zu halten; aber auch freudiger Stolz auf den Tod fürs Vaterland, den Heldentod, ein überzeugtes Bewußtsein von der Notwendigkeit des Opfers, wobei in oft rührender, einfacher und schlichter Weise nur auf die treuerfüllte Pflicht des Soldaten hin¬ gewiesen wird. Die deutsche Spruchdichtung in Todesanzeigen ist nicht gerade neu, sie trat auch in Friedenszeiten auf; auch sonst finden wir den Reim im Volksleben bei vielen feierlichen Gelegenheiten, bei denen die gewöhnliche Rede der gehobenen Stimmung nicht genügend Rechnung trägt (Hochzeit, Polterabend, Zimmermanns¬ spruch und dergleichen). Der hochdeutsche Reim hat für das Volk etwas Ernstes, Feierliches und durch und durch Eigenartiges; er sagt ihm sehr viel mehr, klingt ihm viel würdiger, vollwertiger, weihevoller und stimmungsgemüßer als das gewöhnliche Wort, Die Reime in den Todesanzeigen für gefallene Krieger treten in allen Zeitungen, gleichviel welche religiöse oder politische Stellung diese einnehmen,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323972/70>, abgerufen am 26.05.2024.