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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Erstes Vierteljahr.

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Vie neuen Männer in Frankreich
von Professor Dr. Max s. Wolfs

or einem Vierteljahr habe ich an dieser Stelle den nahen Sturz
des Ministeriums Viviani-Millerand-Delcassö vorausgesagt. Es
gehörte keine besondere Prophetengabe dazu, und das Ereignis
wäre noch rascher eingetreten, wenn der Versuch einer durch¬
brechenden Offensive nicht durch teilweise Erfolge die Hoffnungen
der Franzosen neu gestärkt hätte. Als diese schwanden, bedürfte es nicht einmal
mehr des erfolgreichen deutschen Vorstoßes auf dem Balkan, um den drei
Männern den Rest zu geben. Delcassö wußte sich einen guten Abgang zu
verschaffen, er schied als Warner vor einem Unternehmen, das seine Unklugheit
heraufbeschworen hatte, für das seine Klugheit aber die Verantwortung ab¬
lehnte. Viviani dagegen und Millerand klammerten sich an die Planken ihres
geborstenen Schiffes; in immer wiederholten Abstimmungen ließen sie sich das
Vertrauen der Kammer bestätigen, von dem Geber wie Empfänger wußten, daß
es seit Monaten nicht mehr vorhanden war.

Es gehörte Mut dazu, ihre Erbschaft Anzutreten und es dauerte lange,
ehe Briand seine Ministerliste vollzählig beisammen hatte. Sie enthält zahl¬
reiche Talente, aber abgesehen von ihrem Schöpfer keine selbständige Persönlich¬
keit, außer dem Kriegsminister GaMni und dem Marineminister Lacaze, einen
tüchtigen, aber unpolitischen Fachmann, der der Flotte nach dem völlig unfähigen
Augagneur dringend not tut. Die andern Mitglieder, mögen sie mit oder ohne
Portefeuille in dem Ministerium sitzen, find Zugeständnisse all die verschiedenen
Kammergruppen, Agenten Briands, die in den Kommissionen und in den
Wandelgängen des Palais Bourbon dafür sorgen sollen, daß die Regie der
öffentlichen Tagungen klappt, daß sich bei den Abstimmungen stets eine statt¬
liche Majorität, wenn möglich das Parlament in Einmütigkeit zusammenfindet.
Es kann nicht als ein Zeichen von Vertrauen in die eigene Kraft gelten, daß


M"NKbote" I 191" s


Vie neuen Männer in Frankreich
von Professor Dr. Max s. Wolfs

or einem Vierteljahr habe ich an dieser Stelle den nahen Sturz
des Ministeriums Viviani-Millerand-Delcassö vorausgesagt. Es
gehörte keine besondere Prophetengabe dazu, und das Ereignis
wäre noch rascher eingetreten, wenn der Versuch einer durch¬
brechenden Offensive nicht durch teilweise Erfolge die Hoffnungen
der Franzosen neu gestärkt hätte. Als diese schwanden, bedürfte es nicht einmal
mehr des erfolgreichen deutschen Vorstoßes auf dem Balkan, um den drei
Männern den Rest zu geben. Delcassö wußte sich einen guten Abgang zu
verschaffen, er schied als Warner vor einem Unternehmen, das seine Unklugheit
heraufbeschworen hatte, für das seine Klugheit aber die Verantwortung ab¬
lehnte. Viviani dagegen und Millerand klammerten sich an die Planken ihres
geborstenen Schiffes; in immer wiederholten Abstimmungen ließen sie sich das
Vertrauen der Kammer bestätigen, von dem Geber wie Empfänger wußten, daß
es seit Monaten nicht mehr vorhanden war.

Es gehörte Mut dazu, ihre Erbschaft Anzutreten und es dauerte lange,
ehe Briand seine Ministerliste vollzählig beisammen hatte. Sie enthält zahl¬
reiche Talente, aber abgesehen von ihrem Schöpfer keine selbständige Persönlich¬
keit, außer dem Kriegsminister GaMni und dem Marineminister Lacaze, einen
tüchtigen, aber unpolitischen Fachmann, der der Flotte nach dem völlig unfähigen
Augagneur dringend not tut. Die andern Mitglieder, mögen sie mit oder ohne
Portefeuille in dem Ministerium sitzen, find Zugeständnisse all die verschiedenen
Kammergruppen, Agenten Briands, die in den Kommissionen und in den
Wandelgängen des Palais Bourbon dafür sorgen sollen, daß die Regie der
öffentlichen Tagungen klappt, daß sich bei den Abstimmungen stets eine statt¬
liche Majorität, wenn möglich das Parlament in Einmütigkeit zusammenfindet.
Es kann nicht als ein Zeichen von Vertrauen in die eigene Kraft gelten, daß


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[0045] [Abbildung] Vie neuen Männer in Frankreich von Professor Dr. Max s. Wolfs or einem Vierteljahr habe ich an dieser Stelle den nahen Sturz des Ministeriums Viviani-Millerand-Delcassö vorausgesagt. Es gehörte keine besondere Prophetengabe dazu, und das Ereignis wäre noch rascher eingetreten, wenn der Versuch einer durch¬ brechenden Offensive nicht durch teilweise Erfolge die Hoffnungen der Franzosen neu gestärkt hätte. Als diese schwanden, bedürfte es nicht einmal mehr des erfolgreichen deutschen Vorstoßes auf dem Balkan, um den drei Männern den Rest zu geben. Delcassö wußte sich einen guten Abgang zu verschaffen, er schied als Warner vor einem Unternehmen, das seine Unklugheit heraufbeschworen hatte, für das seine Klugheit aber die Verantwortung ab¬ lehnte. Viviani dagegen und Millerand klammerten sich an die Planken ihres geborstenen Schiffes; in immer wiederholten Abstimmungen ließen sie sich das Vertrauen der Kammer bestätigen, von dem Geber wie Empfänger wußten, daß es seit Monaten nicht mehr vorhanden war. Es gehörte Mut dazu, ihre Erbschaft Anzutreten und es dauerte lange, ehe Briand seine Ministerliste vollzählig beisammen hatte. Sie enthält zahl¬ reiche Talente, aber abgesehen von ihrem Schöpfer keine selbständige Persönlich¬ keit, außer dem Kriegsminister GaMni und dem Marineminister Lacaze, einen tüchtigen, aber unpolitischen Fachmann, der der Flotte nach dem völlig unfähigen Augagneur dringend not tut. Die andern Mitglieder, mögen sie mit oder ohne Portefeuille in dem Ministerium sitzen, find Zugeständnisse all die verschiedenen Kammergruppen, Agenten Briands, die in den Kommissionen und in den Wandelgängen des Palais Bourbon dafür sorgen sollen, daß die Regie der öffentlichen Tagungen klappt, daß sich bei den Abstimmungen stets eine statt¬ liche Majorität, wenn möglich das Parlament in Einmütigkeit zusammenfindet. Es kann nicht als ein Zeichen von Vertrauen in die eigene Kraft gelten, daß M«NKbote» I 191« s

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_329665/45>, abgerufen am 30.04.2024.