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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Viertes Vierteljahr.

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Grundsätzliches zur Aolonialfrage
von Dr. Narstedt

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ör^Än Nummer 38 dieser Zeitschrift hat Herr Dr. Carl Jentsch unter
der Überschrift "Wo liegt unser Kolonialland" Vorschläge ent¬
wickelt, die zweifelsohne sehr beachtenswert sind, auch nicht zuletzt
deshalb, weil sie geeignet erscheinen, die Erörterung darüber,
wie wir uns zur Frage des zukünftigen überseeischen Deutschland
zu verhalten haben, neu zu beleben und neu zu befruchten. Immerhin glaube
ich Verschiedenes nicht unwidersprochen lassen zu dürfen, nicht zuletzt auch des¬
halb, weil das koloniale Problem vielfach bei uns noch nicht genügend oder
überhaupt unzutreffend gewürdigt wird.

Als man am Ausgang der siebziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts in
Deutschland begann, sich unter dem Einfluß namentlich von Dr. Hübbe-Schleiden
mit der Frage: Kolonialpolitik oder nicht? zu beschäftigen, lebten wir in einer
Zeit, die uns zwang, jährlich Hunderttausende von Deutschen an das Ausland
abzugeben, weil wir ihnen nicht Arbeit und damit Brot genug bieten konnten.
Die Frage, ob wir uns Kolonialland in Europa schaffen könnten, trat bei
der damaligen politischen Konstellation völlig zurück, und wenn es auch noch
einige Jahrzehnte dauerte, bis die Überzeugung von der Notwendigkeit eigenen
Kolonialbesitzes Allgemeingut des größeren Teils der Bevölkerung geworden
war, so herrschte doch, abgesehen von einigen politischen Außenseitern, kaum
eine Meinungsverschiedenheit darüber, daß wir ohne eigenen Kolonialbesitz aus
verschiedensten Gründen nicht auskommen könnten. Der auf Übersee gerichtete
Blick hat, wie zugegeben werden muß, dabei im Verein mit anderen Faktoren
leider vielfach das Auge für die nahe liegenden Dinge getrübt, und wir wissen
es alle, wie wenig uns vor dem Krieg die Not der Deutschen in Österreich
und in Nußland gekümmert hat.

Darin hat der Krieg nun mit einmal wieder einen Wandel hervorgerufen
und man möchte sagen, in echt deutscher Weise wird dabei vielfach das Kind


Grenzboten IV 1916 7


Grundsätzliches zur Aolonialfrage
von Dr. Narstedt

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ör^Än Nummer 38 dieser Zeitschrift hat Herr Dr. Carl Jentsch unter
der Überschrift „Wo liegt unser Kolonialland" Vorschläge ent¬
wickelt, die zweifelsohne sehr beachtenswert sind, auch nicht zuletzt
deshalb, weil sie geeignet erscheinen, die Erörterung darüber,
wie wir uns zur Frage des zukünftigen überseeischen Deutschland
zu verhalten haben, neu zu beleben und neu zu befruchten. Immerhin glaube
ich Verschiedenes nicht unwidersprochen lassen zu dürfen, nicht zuletzt auch des¬
halb, weil das koloniale Problem vielfach bei uns noch nicht genügend oder
überhaupt unzutreffend gewürdigt wird.

Als man am Ausgang der siebziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts in
Deutschland begann, sich unter dem Einfluß namentlich von Dr. Hübbe-Schleiden
mit der Frage: Kolonialpolitik oder nicht? zu beschäftigen, lebten wir in einer
Zeit, die uns zwang, jährlich Hunderttausende von Deutschen an das Ausland
abzugeben, weil wir ihnen nicht Arbeit und damit Brot genug bieten konnten.
Die Frage, ob wir uns Kolonialland in Europa schaffen könnten, trat bei
der damaligen politischen Konstellation völlig zurück, und wenn es auch noch
einige Jahrzehnte dauerte, bis die Überzeugung von der Notwendigkeit eigenen
Kolonialbesitzes Allgemeingut des größeren Teils der Bevölkerung geworden
war, so herrschte doch, abgesehen von einigen politischen Außenseitern, kaum
eine Meinungsverschiedenheit darüber, daß wir ohne eigenen Kolonialbesitz aus
verschiedensten Gründen nicht auskommen könnten. Der auf Übersee gerichtete
Blick hat, wie zugegeben werden muß, dabei im Verein mit anderen Faktoren
leider vielfach das Auge für die nahe liegenden Dinge getrübt, und wir wissen
es alle, wie wenig uns vor dem Krieg die Not der Deutschen in Österreich
und in Nußland gekümmert hat.

Darin hat der Krieg nun mit einmal wieder einen Wandel hervorgerufen
und man möchte sagen, in echt deutscher Weise wird dabei vielfach das Kind


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[0109] [Abbildung] Grundsätzliches zur Aolonialfrage von Dr. Narstedt /^MK,^«, -''MW-MMsÄ ki^ ^v^/ ör^Än Nummer 38 dieser Zeitschrift hat Herr Dr. Carl Jentsch unter der Überschrift „Wo liegt unser Kolonialland" Vorschläge ent¬ wickelt, die zweifelsohne sehr beachtenswert sind, auch nicht zuletzt deshalb, weil sie geeignet erscheinen, die Erörterung darüber, wie wir uns zur Frage des zukünftigen überseeischen Deutschland zu verhalten haben, neu zu beleben und neu zu befruchten. Immerhin glaube ich Verschiedenes nicht unwidersprochen lassen zu dürfen, nicht zuletzt auch des¬ halb, weil das koloniale Problem vielfach bei uns noch nicht genügend oder überhaupt unzutreffend gewürdigt wird. Als man am Ausgang der siebziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts in Deutschland begann, sich unter dem Einfluß namentlich von Dr. Hübbe-Schleiden mit der Frage: Kolonialpolitik oder nicht? zu beschäftigen, lebten wir in einer Zeit, die uns zwang, jährlich Hunderttausende von Deutschen an das Ausland abzugeben, weil wir ihnen nicht Arbeit und damit Brot genug bieten konnten. Die Frage, ob wir uns Kolonialland in Europa schaffen könnten, trat bei der damaligen politischen Konstellation völlig zurück, und wenn es auch noch einige Jahrzehnte dauerte, bis die Überzeugung von der Notwendigkeit eigenen Kolonialbesitzes Allgemeingut des größeren Teils der Bevölkerung geworden war, so herrschte doch, abgesehen von einigen politischen Außenseitern, kaum eine Meinungsverschiedenheit darüber, daß wir ohne eigenen Kolonialbesitz aus verschiedensten Gründen nicht auskommen könnten. Der auf Übersee gerichtete Blick hat, wie zugegeben werden muß, dabei im Verein mit anderen Faktoren leider vielfach das Auge für die nahe liegenden Dinge getrübt, und wir wissen es alle, wie wenig uns vor dem Krieg die Not der Deutschen in Österreich und in Nußland gekümmert hat. Darin hat der Krieg nun mit einmal wieder einen Wandel hervorgerufen und man möchte sagen, in echt deutscher Weise wird dabei vielfach das Kind Grenzboten IV 1916 7

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330971/109>, abgerufen am 28.04.2024.