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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Viertes Vierteljahr.

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Die deutschen Einwanderungen in Siebenbürgen
von Pfarrer R. Honigberger-
III.

Kamen die Ansiedler einzeln oder gruppenweise ins Land? Die Frage
erledigt sich wohl unschwer. Da es sich um die Kolonisierung und Verteidigung
weiter Landstrecken handelte, so muß zweifellos angenommen werden, daß die
Einwanderungen massenweise erfolgten. Einzelne dieser Gruppen sind heute noch
nachweisbar. So werden die Bewohner der Dörfer Karako, Chrappendorf und
Raus als "erste Gäste des Königs" bezeichnet; auch die Orte Winz und
Borberek scheinen eine ähnliche Einheit gebildet zu haben, ebenso der sogenannte
"Unterwald" westlich von Hermannstadt, sodann die Gebiete Schäßburg-Reps,
Mediasch-Schelk, die Gemeinden des Komitatsbodens usw. Im wesentlichen
mögen diese Gruppen den heutigen kirchlichen "Kapiteln" entsprochen haben.
Auch aus der alten urkundlichen Unterscheidung zwischen "frühern" und
"spätern" Flanderern geht hervor, daß die Niederlassungen nacheinander in
einzelnen größeren Komplexen erfolgten. Innerhalb der einzelnen Gruppen
hat dann zweifellos auch eine weitere Jnnenkolonisation stattgefunden. So
berichtet uns die Sage, daß Neustadt im Großkokler Komitat von Neithausen
aus begründet wurde. Infolge eines Streites hätte ein Teil der Bevölkerung
eines Tages erklärt: "Wir wollen ausziehen aus der Stadt des Neides und
uns eine neue Stadt gründen". Daher habe auch Neustadt seinen Namen
erhalten. Auch von Neustadt im Burzenlande heißt es in der Tradition, es
sei eine Tochtergemeinde von Rosenau.

Die meisten Ansiedlungen lagen nicht auf dem Komitatsboden, sondern
auf dem "Königsboten", d. h. auf dem den Einwanderern zur Verfügung
gestellten Gebiete, das diese frei verwalten sollten und über dem außer dem
König niemand Oberhoheitsrechte ausüben sollte. Die Grenzen des Königs-
bodens waren nicht klar umschrieben, denn es war ja Land genug zur Ver¬
fügung, diesseits wie jenseits der Karpathen. Tatsächlich sind schon frühzeitig
viele Auswanderer sogar bis über die "Schneeberge", ins Gebiet der heutigen
Moldau und Walachei ausgeschwärmt.

Der Kampf mit den benachbarten Völkerschaften machte es von vornherein
nötig, die einzelnen Gehöfte möglichst nahe aneinander zu rücken, weil auf
diese Weise die Verteidigung gegen feindliche Überfälle leichter durchzuführen
war. So entstanden in geschützten Waldtälern, dort wo Wasser war, wo
sonnige Höhen den Weinbau ermöglichten und der Boden für den Ackerbau




Die deutschen Einwanderungen in Siebenbürgen
von Pfarrer R. Honigberger-
III.

Kamen die Ansiedler einzeln oder gruppenweise ins Land? Die Frage
erledigt sich wohl unschwer. Da es sich um die Kolonisierung und Verteidigung
weiter Landstrecken handelte, so muß zweifellos angenommen werden, daß die
Einwanderungen massenweise erfolgten. Einzelne dieser Gruppen sind heute noch
nachweisbar. So werden die Bewohner der Dörfer Karako, Chrappendorf und
Raus als „erste Gäste des Königs" bezeichnet; auch die Orte Winz und
Borberek scheinen eine ähnliche Einheit gebildet zu haben, ebenso der sogenannte
„Unterwald" westlich von Hermannstadt, sodann die Gebiete Schäßburg-Reps,
Mediasch-Schelk, die Gemeinden des Komitatsbodens usw. Im wesentlichen
mögen diese Gruppen den heutigen kirchlichen „Kapiteln" entsprochen haben.
Auch aus der alten urkundlichen Unterscheidung zwischen „frühern" und
„spätern" Flanderern geht hervor, daß die Niederlassungen nacheinander in
einzelnen größeren Komplexen erfolgten. Innerhalb der einzelnen Gruppen
hat dann zweifellos auch eine weitere Jnnenkolonisation stattgefunden. So
berichtet uns die Sage, daß Neustadt im Großkokler Komitat von Neithausen
aus begründet wurde. Infolge eines Streites hätte ein Teil der Bevölkerung
eines Tages erklärt: „Wir wollen ausziehen aus der Stadt des Neides und
uns eine neue Stadt gründen". Daher habe auch Neustadt seinen Namen
erhalten. Auch von Neustadt im Burzenlande heißt es in der Tradition, es
sei eine Tochtergemeinde von Rosenau.

Die meisten Ansiedlungen lagen nicht auf dem Komitatsboden, sondern
auf dem „Königsboten", d. h. auf dem den Einwanderern zur Verfügung
gestellten Gebiete, das diese frei verwalten sollten und über dem außer dem
König niemand Oberhoheitsrechte ausüben sollte. Die Grenzen des Königs-
bodens waren nicht klar umschrieben, denn es war ja Land genug zur Ver¬
fügung, diesseits wie jenseits der Karpathen. Tatsächlich sind schon frühzeitig
viele Auswanderer sogar bis über die „Schneeberge", ins Gebiet der heutigen
Moldau und Walachei ausgeschwärmt.

Der Kampf mit den benachbarten Völkerschaften machte es von vornherein
nötig, die einzelnen Gehöfte möglichst nahe aneinander zu rücken, weil auf
diese Weise die Verteidigung gegen feindliche Überfälle leichter durchzuführen
war. So entstanden in geschützten Waldtälern, dort wo Wasser war, wo
sonnige Höhen den Weinbau ermöglichten und der Boden für den Ackerbau


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[0315] [Abbildung] Die deutschen Einwanderungen in Siebenbürgen von Pfarrer R. Honigberger- III. Kamen die Ansiedler einzeln oder gruppenweise ins Land? Die Frage erledigt sich wohl unschwer. Da es sich um die Kolonisierung und Verteidigung weiter Landstrecken handelte, so muß zweifellos angenommen werden, daß die Einwanderungen massenweise erfolgten. Einzelne dieser Gruppen sind heute noch nachweisbar. So werden die Bewohner der Dörfer Karako, Chrappendorf und Raus als „erste Gäste des Königs" bezeichnet; auch die Orte Winz und Borberek scheinen eine ähnliche Einheit gebildet zu haben, ebenso der sogenannte „Unterwald" westlich von Hermannstadt, sodann die Gebiete Schäßburg-Reps, Mediasch-Schelk, die Gemeinden des Komitatsbodens usw. Im wesentlichen mögen diese Gruppen den heutigen kirchlichen „Kapiteln" entsprochen haben. Auch aus der alten urkundlichen Unterscheidung zwischen „frühern" und „spätern" Flanderern geht hervor, daß die Niederlassungen nacheinander in einzelnen größeren Komplexen erfolgten. Innerhalb der einzelnen Gruppen hat dann zweifellos auch eine weitere Jnnenkolonisation stattgefunden. So berichtet uns die Sage, daß Neustadt im Großkokler Komitat von Neithausen aus begründet wurde. Infolge eines Streites hätte ein Teil der Bevölkerung eines Tages erklärt: „Wir wollen ausziehen aus der Stadt des Neides und uns eine neue Stadt gründen". Daher habe auch Neustadt seinen Namen erhalten. Auch von Neustadt im Burzenlande heißt es in der Tradition, es sei eine Tochtergemeinde von Rosenau. Die meisten Ansiedlungen lagen nicht auf dem Komitatsboden, sondern auf dem „Königsboten", d. h. auf dem den Einwanderern zur Verfügung gestellten Gebiete, das diese frei verwalten sollten und über dem außer dem König niemand Oberhoheitsrechte ausüben sollte. Die Grenzen des Königs- bodens waren nicht klar umschrieben, denn es war ja Land genug zur Ver¬ fügung, diesseits wie jenseits der Karpathen. Tatsächlich sind schon frühzeitig viele Auswanderer sogar bis über die „Schneeberge", ins Gebiet der heutigen Moldau und Walachei ausgeschwärmt. Der Kampf mit den benachbarten Völkerschaften machte es von vornherein nötig, die einzelnen Gehöfte möglichst nahe aneinander zu rücken, weil auf diese Weise die Verteidigung gegen feindliche Überfälle leichter durchzuführen war. So entstanden in geschützten Waldtälern, dort wo Wasser war, wo sonnige Höhen den Weinbau ermöglichten und der Boden für den Ackerbau

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330971/315>, abgerufen am 28.04.2024.