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Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Drittes Vierteljahr.

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Aus Geheimberichten an den Grafen Hertling

fischer Imperialisten in territorialer Beziehung wird, um so ungünstiger ge¬
stalten sich die nationalen Verhältnisse.

Ich weiß Nicht, ob diese Zahlen und ihre Bedeutung den Staatsmännern
der Entente wirklich voll zum Bewußtsein gekommen sind. Jedenfalls muß ein
solcher Staat, auf dessen Gebiet jeder der Nachbarn -- Deutschland, Litauen,
Rußland, Ukraine -- nach dem Kjellenschen Ausdruck eine "Hypothek" zu haben
glaubt, den größten außen- und innerpolitischen Schwierigkeiten entgegengehen.




Aus Geheimberichten an den Grafen Hertling
et9I5--
Franz von Stockhammern, Ministerialdirektor im Reichsfinanzininisterium vonVIII.

Bern, den 2. Januar 1917

Ich habe Gelegenheit gehabt, mich über den Eindruck zu informieren, den
man in neutralen diplomatischen Kreisen von der Note der Entente hat. Es
scheint, daß das neutrale Ausland sich über die Vergeblichkeit des deutschen
Schrittes keine besonderen Illusionen gemacht hatte, daß man aber über die
Schroffheit des Tones der Note immerhin erstaunt ist. Man sieht mit begreif¬
licher Spannung der Antwort entgegen, die Wilson aus Paris erhalten werde.
Es fehlt selbstverständlich an jedem Anhaltspunkt dafür, wie sie gehalten sein
wird, doch wiegt die Befürchtung vor, daß sie, wenn auch in höflicher Form, eine
Ablehnung darstellen wird.

Ich bin in diesem Zusammenhang der Auffassung begegnet, daß Deutschland
mit Herrn v. Bethmann-Hollweg schwer zum Frieden gelangen wird, da seine
Stellung durch die Ereignisse der Tage vom 23. Juli bis etwa 5. August 1914
eine zu schwierige und belastete sei. Die brüske Art, mit der die Note der
Entente seine Äußerungen zur Verletzung der belgischen Neutralität und zur
Bedeutung internationaler Verträge (ebilkon as papier, Unterredung mit Goschen)
festnagle, lasse es als unwahrscheinlich erscheinen, daß Herr v. Bethmann-Hollweg
bei einer neuen Aktion mehr Glück haben werde. Die Staatsmänner Englands,
Rußlands, Italiens, Frankreichs und Österreich-Ungarns, die in den Tagen des
Ausbruchs des Krieges im Amt gestanden, seien sämtlich inzwischen durch neue
ersetzt worden, und die Beharrlichkeit, mit der der deutsche Kanzler, aller in seiner
Person liegenden Hindemisse ungeachtet, der Welt den Frieden geben zu können
glaube



Bern, den 3. Januar 1917

(Telegramm.) Ich erfahre verlässig: Nach dem ursprünglichen Entwurf
Briands sollten in die Note der Entente außer Belgien auch das serbische,
montenegrinische, polnische und rumänische Problem einbezogen werden. Da jedoch
Rußland außerdem die Erwähnung von Konstantinopel, und Italien jene der


Aus Geheimberichten an den Grafen Hertling

fischer Imperialisten in territorialer Beziehung wird, um so ungünstiger ge¬
stalten sich die nationalen Verhältnisse.

Ich weiß Nicht, ob diese Zahlen und ihre Bedeutung den Staatsmännern
der Entente wirklich voll zum Bewußtsein gekommen sind. Jedenfalls muß ein
solcher Staat, auf dessen Gebiet jeder der Nachbarn — Deutschland, Litauen,
Rußland, Ukraine — nach dem Kjellenschen Ausdruck eine „Hypothek" zu haben
glaubt, den größten außen- und innerpolitischen Schwierigkeiten entgegengehen.




Aus Geheimberichten an den Grafen Hertling
et9I5—
Franz von Stockhammern, Ministerialdirektor im Reichsfinanzininisterium vonVIII.

Bern, den 2. Januar 1917

Ich habe Gelegenheit gehabt, mich über den Eindruck zu informieren, den
man in neutralen diplomatischen Kreisen von der Note der Entente hat. Es
scheint, daß das neutrale Ausland sich über die Vergeblichkeit des deutschen
Schrittes keine besonderen Illusionen gemacht hatte, daß man aber über die
Schroffheit des Tones der Note immerhin erstaunt ist. Man sieht mit begreif¬
licher Spannung der Antwort entgegen, die Wilson aus Paris erhalten werde.
Es fehlt selbstverständlich an jedem Anhaltspunkt dafür, wie sie gehalten sein
wird, doch wiegt die Befürchtung vor, daß sie, wenn auch in höflicher Form, eine
Ablehnung darstellen wird.

Ich bin in diesem Zusammenhang der Auffassung begegnet, daß Deutschland
mit Herrn v. Bethmann-Hollweg schwer zum Frieden gelangen wird, da seine
Stellung durch die Ereignisse der Tage vom 23. Juli bis etwa 5. August 1914
eine zu schwierige und belastete sei. Die brüske Art, mit der die Note der
Entente seine Äußerungen zur Verletzung der belgischen Neutralität und zur
Bedeutung internationaler Verträge (ebilkon as papier, Unterredung mit Goschen)
festnagle, lasse es als unwahrscheinlich erscheinen, daß Herr v. Bethmann-Hollweg
bei einer neuen Aktion mehr Glück haben werde. Die Staatsmänner Englands,
Rußlands, Italiens, Frankreichs und Österreich-Ungarns, die in den Tagen des
Ausbruchs des Krieges im Amt gestanden, seien sämtlich inzwischen durch neue
ersetzt worden, und die Beharrlichkeit, mit der der deutsche Kanzler, aller in seiner
Person liegenden Hindemisse ungeachtet, der Welt den Frieden geben zu können
glaube



Bern, den 3. Januar 1917

(Telegramm.) Ich erfahre verlässig: Nach dem ursprünglichen Entwurf
Briands sollten in die Note der Entente außer Belgien auch das serbische,
montenegrinische, polnische und rumänische Problem einbezogen werden. Da jedoch
Rußland außerdem die Erwähnung von Konstantinopel, und Italien jene der


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[0184] Aus Geheimberichten an den Grafen Hertling fischer Imperialisten in territorialer Beziehung wird, um so ungünstiger ge¬ stalten sich die nationalen Verhältnisse. Ich weiß Nicht, ob diese Zahlen und ihre Bedeutung den Staatsmännern der Entente wirklich voll zum Bewußtsein gekommen sind. Jedenfalls muß ein solcher Staat, auf dessen Gebiet jeder der Nachbarn — Deutschland, Litauen, Rußland, Ukraine — nach dem Kjellenschen Ausdruck eine „Hypothek" zu haben glaubt, den größten außen- und innerpolitischen Schwierigkeiten entgegengehen. Aus Geheimberichten an den Grafen Hertling et9I5— Franz von Stockhammern, Ministerialdirektor im Reichsfinanzininisterium vonVIII. Bern, den 2. Januar 1917 Ich habe Gelegenheit gehabt, mich über den Eindruck zu informieren, den man in neutralen diplomatischen Kreisen von der Note der Entente hat. Es scheint, daß das neutrale Ausland sich über die Vergeblichkeit des deutschen Schrittes keine besonderen Illusionen gemacht hatte, daß man aber über die Schroffheit des Tones der Note immerhin erstaunt ist. Man sieht mit begreif¬ licher Spannung der Antwort entgegen, die Wilson aus Paris erhalten werde. Es fehlt selbstverständlich an jedem Anhaltspunkt dafür, wie sie gehalten sein wird, doch wiegt die Befürchtung vor, daß sie, wenn auch in höflicher Form, eine Ablehnung darstellen wird. Ich bin in diesem Zusammenhang der Auffassung begegnet, daß Deutschland mit Herrn v. Bethmann-Hollweg schwer zum Frieden gelangen wird, da seine Stellung durch die Ereignisse der Tage vom 23. Juli bis etwa 5. August 1914 eine zu schwierige und belastete sei. Die brüske Art, mit der die Note der Entente seine Äußerungen zur Verletzung der belgischen Neutralität und zur Bedeutung internationaler Verträge (ebilkon as papier, Unterredung mit Goschen) festnagle, lasse es als unwahrscheinlich erscheinen, daß Herr v. Bethmann-Hollweg bei einer neuen Aktion mehr Glück haben werde. Die Staatsmänner Englands, Rußlands, Italiens, Frankreichs und Österreich-Ungarns, die in den Tagen des Ausbruchs des Krieges im Amt gestanden, seien sämtlich inzwischen durch neue ersetzt worden, und die Beharrlichkeit, mit der der deutsche Kanzler, aller in seiner Person liegenden Hindemisse ungeachtet, der Welt den Frieden geben zu können glaube Bern, den 3. Januar 1917 (Telegramm.) Ich erfahre verlässig: Nach dem ursprünglichen Entwurf Briands sollten in die Note der Entente außer Belgien auch das serbische, montenegrinische, polnische und rumänische Problem einbezogen werden. Da jedoch Rußland außerdem die Erwähnung von Konstantinopel, und Italien jene der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341911_337640/184>, abgerufen am 05.05.2024.