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Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Viertes Vierteljahr.

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Zum deutschen Roman der Gegenwart

ragender Stelle stehenden Dame zu vollenden, mögen ein Paar kleine Erzählungen
dienen, die bald nach ihrer zweiten Verehelichung in Paris zirkulierten. Als sie
einst die prachtvollen Diamanten der Fürstin Dolgorucki bewunderte und diese
meinte, es würde ihr doch ein Leichtes sein, ihren Gatten zum Ankauf eines ähnlichen
Schmuckes zu bewegen, erhielt sie die Antwort: "Glauben Sie vielleicht, ich hätte
einen Papst geheiratet?" Und den berühmten Kunstkenner und Agyptologen Denon,
der nach einem längeren Aufenthalte im Lande der Pyramiden ein Buch über
dieses geschrieben hatte, fragte sie einst, ob er denn auch seinen treuen Freitag
mitgebracht habe. Sie verwechselte das Werk des Gelehrten mit dem "Robinson
Crusoe". Man kann verstehen, daß es unter solchen Umständen boshaften Leuten
Spaß machte, sich bei der törichten Frau nach ihrer Heimat zu erkundigen, nur
um die Antwort zu vernehmen: ,,^s suis ä'Iaäs". "Vincis" heißt aber bekanntlich
"Pute". Talleyrand hatte bei dieser Beschränktheit seiner Gattin gewiß den
lebhaften Wunsch, sie möge in Gesellschaft den Mund nur zum Essen öffnen, und
sicherlich meinten viele, der interessantere Teil ihrer Unterhaltung sei die Sprache
der schönen Augen. Und doch brachte die geistig vernachlässigte Frau das alte
Sprichwort zu Ehren, nach dem auch eine blinde Henne mal ein Korn findet.
Als der Minister seine junge Gattin bei Hofe vorstellte und der Erste Konsul ihr
gegenüber die Erwartung aussprach, die jetzige Frau Talleyrand würde das
Verhalten der einstigen Madame Grant in Vergessenheit bringen, entgegnete die
Harmlose, völlig unbefangen mitten ins Schwarze treffend, sie werde sich in jeder
Weise die Bürgerin Bonaparte zum Muster nehmen. Möglich, daß es diese Antwort
war, die den Gewalthaber veranlaßte, einst an seinen Minister die Frage zu
richten, ob die von ihm zur Gemahlin Erkorene Esprit habe, worauf der also
Interpellierte weniger boshaft -- er hätte nicht ganz mit Unrecht antworten
können: "Genau so viel wie die Ihre" -- als geistvoll replizierte: "So viel wie
eine Rose".

Wir sehen, die Jahre des Konsulats zeigen gesellschaftliche Typen, die näher
zu betrachten sich Wohl verlohnt.




Zum deutschen Roman der Gegenwart
Joachim Albrecht Fehler, von

uf keinem Gebiete künstlerischen Schaffens lassen sich vielleicht so
innige Verbindungslinien herstellen mit der Gegenwart als gerade
bei dem Roman. Sei es nun der Roman nach der alten guten Auf¬
fassung, dem vor allem ein breiter Untergrund in der Umwelt zu
eigen sein muß, oder sei es der Roman nach der Meinung der
^ung,lxn, der nur einen wirren Abriß von Eindrücken, Stimmungen bietet und
gerade auf diese Art (allerdings unfreiwillig) ein deutliches Bild der Zeit gibt.
Weder in der Malerei, der bildenden Kunst, noch in der Musik liegen die gegen¬
seitigen Abhängigkeiten so klar zutage, wie bei dem Roman, der schon allein durch
sein äußerliches Gewand, die Breite, alle richtigen Möglichkeiten dazu enthält. Und
auch in Bücher, die scheinbar abseits vom Tage zu liegen scheinen, spielt die
Epoche, in der das Werk geschrieben wurde, immer wieder deutlich hinein, äußert


Zum deutschen Roman der Gegenwart

ragender Stelle stehenden Dame zu vollenden, mögen ein Paar kleine Erzählungen
dienen, die bald nach ihrer zweiten Verehelichung in Paris zirkulierten. Als sie
einst die prachtvollen Diamanten der Fürstin Dolgorucki bewunderte und diese
meinte, es würde ihr doch ein Leichtes sein, ihren Gatten zum Ankauf eines ähnlichen
Schmuckes zu bewegen, erhielt sie die Antwort: „Glauben Sie vielleicht, ich hätte
einen Papst geheiratet?" Und den berühmten Kunstkenner und Agyptologen Denon,
der nach einem längeren Aufenthalte im Lande der Pyramiden ein Buch über
dieses geschrieben hatte, fragte sie einst, ob er denn auch seinen treuen Freitag
mitgebracht habe. Sie verwechselte das Werk des Gelehrten mit dem „Robinson
Crusoe". Man kann verstehen, daß es unter solchen Umständen boshaften Leuten
Spaß machte, sich bei der törichten Frau nach ihrer Heimat zu erkundigen, nur
um die Antwort zu vernehmen: ,,^s suis ä'Iaäs". „Vincis" heißt aber bekanntlich
„Pute". Talleyrand hatte bei dieser Beschränktheit seiner Gattin gewiß den
lebhaften Wunsch, sie möge in Gesellschaft den Mund nur zum Essen öffnen, und
sicherlich meinten viele, der interessantere Teil ihrer Unterhaltung sei die Sprache
der schönen Augen. Und doch brachte die geistig vernachlässigte Frau das alte
Sprichwort zu Ehren, nach dem auch eine blinde Henne mal ein Korn findet.
Als der Minister seine junge Gattin bei Hofe vorstellte und der Erste Konsul ihr
gegenüber die Erwartung aussprach, die jetzige Frau Talleyrand würde das
Verhalten der einstigen Madame Grant in Vergessenheit bringen, entgegnete die
Harmlose, völlig unbefangen mitten ins Schwarze treffend, sie werde sich in jeder
Weise die Bürgerin Bonaparte zum Muster nehmen. Möglich, daß es diese Antwort
war, die den Gewalthaber veranlaßte, einst an seinen Minister die Frage zu
richten, ob die von ihm zur Gemahlin Erkorene Esprit habe, worauf der also
Interpellierte weniger boshaft — er hätte nicht ganz mit Unrecht antworten
können: „Genau so viel wie die Ihre" — als geistvoll replizierte: „So viel wie
eine Rose".

Wir sehen, die Jahre des Konsulats zeigen gesellschaftliche Typen, die näher
zu betrachten sich Wohl verlohnt.




Zum deutschen Roman der Gegenwart
Joachim Albrecht Fehler, von

uf keinem Gebiete künstlerischen Schaffens lassen sich vielleicht so
innige Verbindungslinien herstellen mit der Gegenwart als gerade
bei dem Roman. Sei es nun der Roman nach der alten guten Auf¬
fassung, dem vor allem ein breiter Untergrund in der Umwelt zu
eigen sein muß, oder sei es der Roman nach der Meinung der
^ung,lxn, der nur einen wirren Abriß von Eindrücken, Stimmungen bietet und
gerade auf diese Art (allerdings unfreiwillig) ein deutliches Bild der Zeit gibt.
Weder in der Malerei, der bildenden Kunst, noch in der Musik liegen die gegen¬
seitigen Abhängigkeiten so klar zutage, wie bei dem Roman, der schon allein durch
sein äußerliches Gewand, die Breite, alle richtigen Möglichkeiten dazu enthält. Und
auch in Bücher, die scheinbar abseits vom Tage zu liegen scheinen, spielt die
Epoche, in der das Werk geschrieben wurde, immer wieder deutlich hinein, äußert


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341911_338022/303>, abgerufen am 01.05.2024.