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Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Zweites Vierteljahr.

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Wirkungen des Krieges auf Gstasien

Wirkungen des Arieaes aus Gstasien*)
Oskar Scholz, Konsul z, D. vonIV. Gstsivirien
1. Russisch-Sibirien, Mandschurei und Mongolei

meer Sibirien verstand mau in Deutschland bisher, allgemein
gesprochen, den asiatischen Teil Rußlands und pflegte ihn politisch
sowohl wie geschäftlich von russischen Gesichtspunkten aus, also als
den am weitesten von Europa abgekehrten, in asiatische Verhält¬
nisse hineinreichenden Teil des russischen Staats- und Wirtschafts¬
gebiets zu betrachten. Als Oststbirien galt uns alles davon, was östlich des
Baikal-Sees lag bis zum Meere im Osten und bis zur japanischen Grenze, also
auch Gebiete, die russischerseits nicht als Sibirien, sondern mit anderen geo¬
graphischen und Verwaltungsbezeichnungen benannt waren, das Priamur-Gebiet,
das Küstengebiet (Primorskij Kraj), Kamtschatka, Sachalin -- meist zusammen¬
gefaßt unter der Bezeichnung "fernöstliche Gebiete". Nur nach Süden, gegen
China, bestand schon vor dem Kriege eine Unklarheit über die Grenzen Ostsibiriens,
namentlich nach der Mandschurei hin, die in eine russische Einflußzone mit der
Hauptstadt Harbin (Nordmandschurei) und eine japanische mit der Hauptstadt
Mukden (Südmandschurei) zerfiel. Die Grundlagen hierfür waren schon Ende
des vorigen Jahrhunderts geschaffen durch die russisch-chinesischen Verträge über
die Fortsetzung der sibirischen Eisenbahn durch chinesisches- Gebiet nach Wladi¬
wostok und nach der Südspitze der Liaotung-Halbinsel (Port Arthur, Dalny), auf
denen die Ostchinesische Eisenbahngesellschaft mit ihrer russischen Verwaltung und
ihren' besonderen Gerechtsamen in den Vahnzonen beruht. Die gleichen Rechte
nahm Japan für die von ihm geschaffene Südmandschmische Eisenbahngesellschaft
in Anspruch, nachdem ihm im Jahre 1905 im Frieden von Portsmouth der süd¬
liche Teil der inzwischen vollendeten mandschurischen Eisenbahn bis zur Station
Changchun abgetreten war. Die nördlich von Chcmgchun gelegene Mandschurei,
namentlich das Gebiet zwischen der ostchinesischen Bahn im Süden und dem
Amur, dein entlang die russische Amurbahn gebaut wurde, stand so sehr unter
russischem Einfluß, daß es vielfach unter "Ostsibirien" mitbegriffen wurde.
Ähnliche Verhältnisse begannen in den letzten Jahren vor dem Kriege
sich auch in den an Russisch-Ostasien grenzenden äußeren Teilen der unter
chinesischer Staatsoberhoheit stehenden Mongolei zu entwickeln, während
andererseits in die innere Mongolei südöstlich der Wüste Gobi immer mehr
die japanische Macht eindrang. Schließlich haben sich seit dem Zusammen¬
bruch des russischen Zarenreichs im alten Ostsibirien neue Staaten und
Herrschaften gebildet, deren Machtbereich recht ungewiß ist und von denen manche
unverkennbar unter japanischem Einfluß stehen. Feste Grenzen zwischen Rußland,
China und Japan gibt es heute dort kaum. Was in diesem "Ostsibirien" jetzt
und in nächster Zukunft für die Weltwirtschaft, insbesondere für die Deutschland
interessierende Weltwirtschaft vom Standpunkt des ostasiatischen Geschäfts aus von
neuer Bedeutung ist. das ist derjenige Teil jenen Gebiets, auf dem sich der



*) Vergl. Grenzboten Hefte 18/19, 23/23, 21.
Wirkungen des Krieges auf Gstasien

Wirkungen des Arieaes aus Gstasien*)
Oskar Scholz, Konsul z, D. vonIV. Gstsivirien
1. Russisch-Sibirien, Mandschurei und Mongolei

meer Sibirien verstand mau in Deutschland bisher, allgemein
gesprochen, den asiatischen Teil Rußlands und pflegte ihn politisch
sowohl wie geschäftlich von russischen Gesichtspunkten aus, also als
den am weitesten von Europa abgekehrten, in asiatische Verhält¬
nisse hineinreichenden Teil des russischen Staats- und Wirtschafts¬
gebiets zu betrachten. Als Oststbirien galt uns alles davon, was östlich des
Baikal-Sees lag bis zum Meere im Osten und bis zur japanischen Grenze, also
auch Gebiete, die russischerseits nicht als Sibirien, sondern mit anderen geo¬
graphischen und Verwaltungsbezeichnungen benannt waren, das Priamur-Gebiet,
das Küstengebiet (Primorskij Kraj), Kamtschatka, Sachalin — meist zusammen¬
gefaßt unter der Bezeichnung „fernöstliche Gebiete". Nur nach Süden, gegen
China, bestand schon vor dem Kriege eine Unklarheit über die Grenzen Ostsibiriens,
namentlich nach der Mandschurei hin, die in eine russische Einflußzone mit der
Hauptstadt Harbin (Nordmandschurei) und eine japanische mit der Hauptstadt
Mukden (Südmandschurei) zerfiel. Die Grundlagen hierfür waren schon Ende
des vorigen Jahrhunderts geschaffen durch die russisch-chinesischen Verträge über
die Fortsetzung der sibirischen Eisenbahn durch chinesisches- Gebiet nach Wladi¬
wostok und nach der Südspitze der Liaotung-Halbinsel (Port Arthur, Dalny), auf
denen die Ostchinesische Eisenbahngesellschaft mit ihrer russischen Verwaltung und
ihren' besonderen Gerechtsamen in den Vahnzonen beruht. Die gleichen Rechte
nahm Japan für die von ihm geschaffene Südmandschmische Eisenbahngesellschaft
in Anspruch, nachdem ihm im Jahre 1905 im Frieden von Portsmouth der süd¬
liche Teil der inzwischen vollendeten mandschurischen Eisenbahn bis zur Station
Changchun abgetreten war. Die nördlich von Chcmgchun gelegene Mandschurei,
namentlich das Gebiet zwischen der ostchinesischen Bahn im Süden und dem
Amur, dein entlang die russische Amurbahn gebaut wurde, stand so sehr unter
russischem Einfluß, daß es vielfach unter „Ostsibirien" mitbegriffen wurde.
Ähnliche Verhältnisse begannen in den letzten Jahren vor dem Kriege
sich auch in den an Russisch-Ostasien grenzenden äußeren Teilen der unter
chinesischer Staatsoberhoheit stehenden Mongolei zu entwickeln, während
andererseits in die innere Mongolei südöstlich der Wüste Gobi immer mehr
die japanische Macht eindrang. Schließlich haben sich seit dem Zusammen¬
bruch des russischen Zarenreichs im alten Ostsibirien neue Staaten und
Herrschaften gebildet, deren Machtbereich recht ungewiß ist und von denen manche
unverkennbar unter japanischem Einfluß stehen. Feste Grenzen zwischen Rußland,
China und Japan gibt es heute dort kaum. Was in diesem „Ostsibirien" jetzt
und in nächster Zukunft für die Weltwirtschaft, insbesondere für die Deutschland
interessierende Weltwirtschaft vom Standpunkt des ostasiatischen Geschäfts aus von
neuer Bedeutung ist. das ist derjenige Teil jenen Gebiets, auf dem sich der



*) Vergl. Grenzboten Hefte 18/19, 23/23, 21.
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[0307] Wirkungen des Krieges auf Gstasien Wirkungen des Arieaes aus Gstasien*) Oskar Scholz, Konsul z, D. vonIV. Gstsivirien 1. Russisch-Sibirien, Mandschurei und Mongolei meer Sibirien verstand mau in Deutschland bisher, allgemein gesprochen, den asiatischen Teil Rußlands und pflegte ihn politisch sowohl wie geschäftlich von russischen Gesichtspunkten aus, also als den am weitesten von Europa abgekehrten, in asiatische Verhält¬ nisse hineinreichenden Teil des russischen Staats- und Wirtschafts¬ gebiets zu betrachten. Als Oststbirien galt uns alles davon, was östlich des Baikal-Sees lag bis zum Meere im Osten und bis zur japanischen Grenze, also auch Gebiete, die russischerseits nicht als Sibirien, sondern mit anderen geo¬ graphischen und Verwaltungsbezeichnungen benannt waren, das Priamur-Gebiet, das Küstengebiet (Primorskij Kraj), Kamtschatka, Sachalin — meist zusammen¬ gefaßt unter der Bezeichnung „fernöstliche Gebiete". Nur nach Süden, gegen China, bestand schon vor dem Kriege eine Unklarheit über die Grenzen Ostsibiriens, namentlich nach der Mandschurei hin, die in eine russische Einflußzone mit der Hauptstadt Harbin (Nordmandschurei) und eine japanische mit der Hauptstadt Mukden (Südmandschurei) zerfiel. Die Grundlagen hierfür waren schon Ende des vorigen Jahrhunderts geschaffen durch die russisch-chinesischen Verträge über die Fortsetzung der sibirischen Eisenbahn durch chinesisches- Gebiet nach Wladi¬ wostok und nach der Südspitze der Liaotung-Halbinsel (Port Arthur, Dalny), auf denen die Ostchinesische Eisenbahngesellschaft mit ihrer russischen Verwaltung und ihren' besonderen Gerechtsamen in den Vahnzonen beruht. Die gleichen Rechte nahm Japan für die von ihm geschaffene Südmandschmische Eisenbahngesellschaft in Anspruch, nachdem ihm im Jahre 1905 im Frieden von Portsmouth der süd¬ liche Teil der inzwischen vollendeten mandschurischen Eisenbahn bis zur Station Changchun abgetreten war. Die nördlich von Chcmgchun gelegene Mandschurei, namentlich das Gebiet zwischen der ostchinesischen Bahn im Süden und dem Amur, dein entlang die russische Amurbahn gebaut wurde, stand so sehr unter russischem Einfluß, daß es vielfach unter „Ostsibirien" mitbegriffen wurde. Ähnliche Verhältnisse begannen in den letzten Jahren vor dem Kriege sich auch in den an Russisch-Ostasien grenzenden äußeren Teilen der unter chinesischer Staatsoberhoheit stehenden Mongolei zu entwickeln, während andererseits in die innere Mongolei südöstlich der Wüste Gobi immer mehr die japanische Macht eindrang. Schließlich haben sich seit dem Zusammen¬ bruch des russischen Zarenreichs im alten Ostsibirien neue Staaten und Herrschaften gebildet, deren Machtbereich recht ungewiß ist und von denen manche unverkennbar unter japanischem Einfluß stehen. Feste Grenzen zwischen Rußland, China und Japan gibt es heute dort kaum. Was in diesem „Ostsibirien" jetzt und in nächster Zukunft für die Weltwirtschaft, insbesondere für die Deutschland interessierende Weltwirtschaft vom Standpunkt des ostasiatischen Geschäfts aus von neuer Bedeutung ist. das ist derjenige Teil jenen Gebiets, auf dem sich der *) Vergl. Grenzboten Hefte 18/19, 23/23, 21.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341913_338800/307>, abgerufen am 28.04.2024.