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Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Viertes Vierteljahr.

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Das Schicksal des Zweiparteiensystems in England

Das Schicksal des Zweiparteiensystems in England
Dr. Alphons nobel von

ir sind alle zu leicht geneigt, über den außenpolitischen Folgen des
Weltkrieges seine innerpolitischen zu übersehen, wenn sie nicht
gerade uns persönlich betreffen. Damit steht es im Zusammen¬
hang, daß man in Deutschland so oft die Meinung hört, als habe
sich nur bei uns das innerstaatliche Leben seit 1914 umgestaltet
Die folgenden Ausführungen sollen zeigen, daß die Kriegs- und Nachkriegsjahre
auch in England den Aufbau der Parteien völlig ungeschichtet haben.

Das Zweiparteisystem, der "Laueus", in England bestand bekanntlich
darin, daß die liberale und die unionistische Partei sich einander in der Führung
der Regierungsgeschäfte fast periodisch ablösten. Diese Ablösung war niemals
"me Unterwerfung oder gar Vernichtung der Gegenpartei und sollte es auch nicht
seim Im Gegenteil, es gehört zum Wesen des Zweiparteisystems, wie es England
in jahrhundertelanger Entwicklung zu einer gewissen Vollkommenheit ausgebildet
hatte, daß die Opposition von der Regierungspartei nicht als notwendiges Übel,
sondern als Bestandteil und Faktor in der Politik gewertet wurde und daß
andererseits auch'die Opposition selbst niemals zu einer nur illusionistischen Kritik
sich hinreißen ließ, wenn sie nur einigermaßen gut geführt war, schon deshalb
nicht, weil sie ja sicher mit einem Wiedereintritt in die Negierung rechnete.

Die Voraussetzung für dieses System war das Vorhandensein zweier großer,
einander im Laufe der Jahrzehnte ungefähr die Wage haltender Parteien, der
liberalen und der konservativen, heute meist unionistisch genannten Partei.
Es lag von vornherein in der Logik der Tatsachen begründet, daß, wenn dieses
^Verhältnis sich einmal gründlich änderte, wenn zum Beispiel eine dritte Partei
in einer beachtenswerten Stärke heranwachsen würde, daß es dann mit dem Zwei¬
parteiensystem zu Ende sei. Dieses ist im Laufe der Kriegsjahre eingetroffen, eZ
ist eine neue Partei herangewachsen, die Labour Party. Ihr Vorhandensein
ist der Grund dafür, daß die Koalition der beiden bürgerlichen Parteien auch
nach dem Kriege nicht wieder in ihre Bestandteile auseinander gefallen ist.

Die Koalition bildete sich sofort mit Beginn des Krieges, indem das
liberale Kabinett As quitt) auch Konservative in das Ministerium
nahm. Damit war die Forderung des Burgfriedens, der Einheitsfront verwirk¬
licht; aber man war sich im allgemeinen klar darüber, daß man, so bald
nur erst der Krieg vorbei sei, sich wieder trennen würde. Bekanntlich hat dann
Lloyd George das Kabinett im Jahre 1916 übernommen und er ist seitdem
ununterbrochen Ministerpräsident geblieben. Mau wird sagen können, daß seine
Persönlichkeit es gewesen ist, welche die Koalition, die oft genug in die Brüche
SU gehen drohte, auch in den Nachkriegsjahren hielt. Vor allem dadurch, daß
°r und w i e er im November 1918 die Wahlen machte. Es sind die berüchtigten
Khaki-Wahlen, die unter dem frischen Eindruck des gewonnenen Krieges
vorgenommen wurden und bei welchen nicht Liberale den Unionisten gegenüber-
standen, sondern die Koalition gemeinsame Kandidaten aufstellte. Lloyd George
machte große innerpolitische Versprechungen (die er bekanntlich nicht gehalten hat)
und malte die Zukunft in den rosigsten Farben (es kam aber Wirtschaftskrise und


Das Schicksal des Zweiparteiensystems in England

Das Schicksal des Zweiparteiensystems in England
Dr. Alphons nobel von

ir sind alle zu leicht geneigt, über den außenpolitischen Folgen des
Weltkrieges seine innerpolitischen zu übersehen, wenn sie nicht
gerade uns persönlich betreffen. Damit steht es im Zusammen¬
hang, daß man in Deutschland so oft die Meinung hört, als habe
sich nur bei uns das innerstaatliche Leben seit 1914 umgestaltet
Die folgenden Ausführungen sollen zeigen, daß die Kriegs- und Nachkriegsjahre
auch in England den Aufbau der Parteien völlig ungeschichtet haben.

Das Zweiparteisystem, der „Laueus", in England bestand bekanntlich
darin, daß die liberale und die unionistische Partei sich einander in der Führung
der Regierungsgeschäfte fast periodisch ablösten. Diese Ablösung war niemals
«me Unterwerfung oder gar Vernichtung der Gegenpartei und sollte es auch nicht
seim Im Gegenteil, es gehört zum Wesen des Zweiparteisystems, wie es England
in jahrhundertelanger Entwicklung zu einer gewissen Vollkommenheit ausgebildet
hatte, daß die Opposition von der Regierungspartei nicht als notwendiges Übel,
sondern als Bestandteil und Faktor in der Politik gewertet wurde und daß
andererseits auch'die Opposition selbst niemals zu einer nur illusionistischen Kritik
sich hinreißen ließ, wenn sie nur einigermaßen gut geführt war, schon deshalb
nicht, weil sie ja sicher mit einem Wiedereintritt in die Negierung rechnete.

Die Voraussetzung für dieses System war das Vorhandensein zweier großer,
einander im Laufe der Jahrzehnte ungefähr die Wage haltender Parteien, der
liberalen und der konservativen, heute meist unionistisch genannten Partei.
Es lag von vornherein in der Logik der Tatsachen begründet, daß, wenn dieses
^Verhältnis sich einmal gründlich änderte, wenn zum Beispiel eine dritte Partei
in einer beachtenswerten Stärke heranwachsen würde, daß es dann mit dem Zwei¬
parteiensystem zu Ende sei. Dieses ist im Laufe der Kriegsjahre eingetroffen, eZ
ist eine neue Partei herangewachsen, die Labour Party. Ihr Vorhandensein
ist der Grund dafür, daß die Koalition der beiden bürgerlichen Parteien auch
nach dem Kriege nicht wieder in ihre Bestandteile auseinander gefallen ist.

Die Koalition bildete sich sofort mit Beginn des Krieges, indem das
liberale Kabinett As quitt) auch Konservative in das Ministerium
nahm. Damit war die Forderung des Burgfriedens, der Einheitsfront verwirk¬
licht; aber man war sich im allgemeinen klar darüber, daß man, so bald
nur erst der Krieg vorbei sei, sich wieder trennen würde. Bekanntlich hat dann
Lloyd George das Kabinett im Jahre 1916 übernommen und er ist seitdem
ununterbrochen Ministerpräsident geblieben. Mau wird sagen können, daß seine
Persönlichkeit es gewesen ist, welche die Koalition, die oft genug in die Brüche
SU gehen drohte, auch in den Nachkriegsjahren hielt. Vor allem dadurch, daß
°r und w i e er im November 1918 die Wahlen machte. Es sind die berüchtigten
Khaki-Wahlen, die unter dem frischen Eindruck des gewonnenen Krieges
vorgenommen wurden und bei welchen nicht Liberale den Unionisten gegenüber-
standen, sondern die Koalition gemeinsame Kandidaten aufstellte. Lloyd George
machte große innerpolitische Versprechungen (die er bekanntlich nicht gehalten hat)
und malte die Zukunft in den rosigsten Farben (es kam aber Wirtschaftskrise und


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[0285] Das Schicksal des Zweiparteiensystems in England Das Schicksal des Zweiparteiensystems in England Dr. Alphons nobel von ir sind alle zu leicht geneigt, über den außenpolitischen Folgen des Weltkrieges seine innerpolitischen zu übersehen, wenn sie nicht gerade uns persönlich betreffen. Damit steht es im Zusammen¬ hang, daß man in Deutschland so oft die Meinung hört, als habe sich nur bei uns das innerstaatliche Leben seit 1914 umgestaltet Die folgenden Ausführungen sollen zeigen, daß die Kriegs- und Nachkriegsjahre auch in England den Aufbau der Parteien völlig ungeschichtet haben. Das Zweiparteisystem, der „Laueus", in England bestand bekanntlich darin, daß die liberale und die unionistische Partei sich einander in der Führung der Regierungsgeschäfte fast periodisch ablösten. Diese Ablösung war niemals «me Unterwerfung oder gar Vernichtung der Gegenpartei und sollte es auch nicht seim Im Gegenteil, es gehört zum Wesen des Zweiparteisystems, wie es England in jahrhundertelanger Entwicklung zu einer gewissen Vollkommenheit ausgebildet hatte, daß die Opposition von der Regierungspartei nicht als notwendiges Übel, sondern als Bestandteil und Faktor in der Politik gewertet wurde und daß andererseits auch'die Opposition selbst niemals zu einer nur illusionistischen Kritik sich hinreißen ließ, wenn sie nur einigermaßen gut geführt war, schon deshalb nicht, weil sie ja sicher mit einem Wiedereintritt in die Negierung rechnete. Die Voraussetzung für dieses System war das Vorhandensein zweier großer, einander im Laufe der Jahrzehnte ungefähr die Wage haltender Parteien, der liberalen und der konservativen, heute meist unionistisch genannten Partei. Es lag von vornherein in der Logik der Tatsachen begründet, daß, wenn dieses ^Verhältnis sich einmal gründlich änderte, wenn zum Beispiel eine dritte Partei in einer beachtenswerten Stärke heranwachsen würde, daß es dann mit dem Zwei¬ parteiensystem zu Ende sei. Dieses ist im Laufe der Kriegsjahre eingetroffen, eZ ist eine neue Partei herangewachsen, die Labour Party. Ihr Vorhandensein ist der Grund dafür, daß die Koalition der beiden bürgerlichen Parteien auch nach dem Kriege nicht wieder in ihre Bestandteile auseinander gefallen ist. Die Koalition bildete sich sofort mit Beginn des Krieges, indem das liberale Kabinett As quitt) auch Konservative in das Ministerium nahm. Damit war die Forderung des Burgfriedens, der Einheitsfront verwirk¬ licht; aber man war sich im allgemeinen klar darüber, daß man, so bald nur erst der Krieg vorbei sei, sich wieder trennen würde. Bekanntlich hat dann Lloyd George das Kabinett im Jahre 1916 übernommen und er ist seitdem ununterbrochen Ministerpräsident geblieben. Mau wird sagen können, daß seine Persönlichkeit es gewesen ist, welche die Koalition, die oft genug in die Brüche SU gehen drohte, auch in den Nachkriegsjahren hielt. Vor allem dadurch, daß °r und w i e er im November 1918 die Wahlen machte. Es sind die berüchtigten Khaki-Wahlen, die unter dem frischen Eindruck des gewonnenen Krieges vorgenommen wurden und bei welchen nicht Liberale den Unionisten gegenüber- standen, sondern die Koalition gemeinsame Kandidaten aufstellte. Lloyd George machte große innerpolitische Versprechungen (die er bekanntlich nicht gehalten hat) und malte die Zukunft in den rosigsten Farben (es kam aber Wirtschaftskrise und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341913_339548/285>, abgerufen am 29.04.2024.