Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Abriß meiner Hciager Berichterstattung

Abriß meiner Haager Berichterstattung
Lin Beitrag zur Geschichte des letzten Ariegsjahres Wilhelm von Schiveinitz von
(vom gerbst 595? bis Rriegsschluß Militär-Attachü im ^aag)
(Fortsetzung aus Heft 48)

on ineinen fortlaufenden Berichten über die Lage in England will
ich als ersten den vom 23. November 1917 ausziehen, weil er
die Anfänge der politischen Hochspannung schildert, die bei der
Entente nach unseren russischen und italienischen Erfolgen ein¬
setzte und sich bis zu unserem Zusammenbruch dauernd steigerte.
Lrescit sub xonäere! "Die englische Tagespresse bis zum 19. November ein¬
schließlich liegt vor. Sie bietet ausreichende Unterlagen für ein Urteil über die
Wirkung der Rede, die Lloyd George am 12. November in Paris gehalten hat.
Sie veranlaßte in England zunächst eine fast hysterische Erregung. Man fühlte
sich bloßgestellt und ließ die pädagogische Absicht nicht gelten. Auch von den sach¬
lichen Ausführungen des Redners wollte man nichts wissen. Asquith fand sich
bereit, zu interpellieren. Eine Ministerkrisis schien unvermeidlich. Diese
Wirkung der Rede erklärt sich weniger ans ihr selbst, als aus der Nervosität des
englischen Publikums. In normalem Zustand hätte man aus ihr uur den Ent¬
schluß herausgehört, die Entcntefront zu vereinheitlichen. Der Übergang vom
Bluff zur Wahrheit war, aber zu plötzlich. Die Rede wirkte deshalb wie ein kaltes
Sturzbad auf einen Fieberkranken. Einen Augenblick schien es, als habe die
Gewaltkur die Nerven des Patienten zerrüttet. Aber auch nur einen Augenblick.
Dank seiner kräftigen Konstitution kam der Engländer bald wieder zu sich. Das
Mittel hat fürs Erste gewirkt, und der Arzt wird beibehalten.
'

Der Zwischenfall ist so beigelegt,wie es dem Interesse der Entente entspricht.
Sie 'kann sich nur behaupten, wenn ste mit Äußerster Energie weiterkämpft. 'Dem
hat Poincare durch die Berufung von Clemenceau Rechnung getragen. Asquith,
nicht weniger klug, hat begriffen, daß er nicht der Mann der Stunde ist. Er
hat daher eine rein sachliche Besprechung der Pariser Rede ermöglicht. Sie mußte
ergeben, daß man mit den Pariser Abmachungen des Premierministers
einverstanden ist. Diese haben das Ideal eines gemeinsamen Oberbefehls noch
nicht verwirklicht, aber immerhin einen wesentlichen Fortschritt gezeitigt. Der
heilige Egoismus der Regierungen, insbesondere der englischen, läßt sich nicht ganz
ausschalten, wird aber mehr Konzessionen machen müssen als bisher. Energie und
Einheitlichkeit der Kriegführung werden zunehmen. Auf England hat die italie¬
nische Niederlage als Peitschenhieb gewirkt. Die Aufregung über die Pariser
Rede bleibt Episode. Mit unterirdisch sich fortpflanzenden Wirkungen ist aber zu
rechnen. Die Behauptung, daß es auch ohne Lloyd George geht, wurde zum
ersten Male, wenn auch nicht lange, in breiter Öffentlichkeit erörtert. Die Vor¬
gänge, die hierzu führten, haben manchen Engländern die AuLen geöffnet. Wie
bald sich das politisch fühlbar macht, wird vom Kriegsverlauf abhängen."

Am 26. November 1917 schrieb ich einen Militärbericht über unsere englisch¬
amerikanische Propaganda im Anschluß an den Bericht vom 6.'November. "Unsere


Abriß meiner Hciager Berichterstattung

Abriß meiner Haager Berichterstattung
Lin Beitrag zur Geschichte des letzten Ariegsjahres Wilhelm von Schiveinitz von
(vom gerbst 595? bis Rriegsschluß Militär-Attachü im ^aag)
(Fortsetzung aus Heft 48)

on ineinen fortlaufenden Berichten über die Lage in England will
ich als ersten den vom 23. November 1917 ausziehen, weil er
die Anfänge der politischen Hochspannung schildert, die bei der
Entente nach unseren russischen und italienischen Erfolgen ein¬
setzte und sich bis zu unserem Zusammenbruch dauernd steigerte.
Lrescit sub xonäere! „Die englische Tagespresse bis zum 19. November ein¬
schließlich liegt vor. Sie bietet ausreichende Unterlagen für ein Urteil über die
Wirkung der Rede, die Lloyd George am 12. November in Paris gehalten hat.
Sie veranlaßte in England zunächst eine fast hysterische Erregung. Man fühlte
sich bloßgestellt und ließ die pädagogische Absicht nicht gelten. Auch von den sach¬
lichen Ausführungen des Redners wollte man nichts wissen. Asquith fand sich
bereit, zu interpellieren. Eine Ministerkrisis schien unvermeidlich. Diese
Wirkung der Rede erklärt sich weniger ans ihr selbst, als aus der Nervosität des
englischen Publikums. In normalem Zustand hätte man aus ihr uur den Ent¬
schluß herausgehört, die Entcntefront zu vereinheitlichen. Der Übergang vom
Bluff zur Wahrheit war, aber zu plötzlich. Die Rede wirkte deshalb wie ein kaltes
Sturzbad auf einen Fieberkranken. Einen Augenblick schien es, als habe die
Gewaltkur die Nerven des Patienten zerrüttet. Aber auch nur einen Augenblick.
Dank seiner kräftigen Konstitution kam der Engländer bald wieder zu sich. Das
Mittel hat fürs Erste gewirkt, und der Arzt wird beibehalten.
'

Der Zwischenfall ist so beigelegt,wie es dem Interesse der Entente entspricht.
Sie 'kann sich nur behaupten, wenn ste mit Äußerster Energie weiterkämpft. 'Dem
hat Poincare durch die Berufung von Clemenceau Rechnung getragen. Asquith,
nicht weniger klug, hat begriffen, daß er nicht der Mann der Stunde ist. Er
hat daher eine rein sachliche Besprechung der Pariser Rede ermöglicht. Sie mußte
ergeben, daß man mit den Pariser Abmachungen des Premierministers
einverstanden ist. Diese haben das Ideal eines gemeinsamen Oberbefehls noch
nicht verwirklicht, aber immerhin einen wesentlichen Fortschritt gezeitigt. Der
heilige Egoismus der Regierungen, insbesondere der englischen, läßt sich nicht ganz
ausschalten, wird aber mehr Konzessionen machen müssen als bisher. Energie und
Einheitlichkeit der Kriegführung werden zunehmen. Auf England hat die italie¬
nische Niederlage als Peitschenhieb gewirkt. Die Aufregung über die Pariser
Rede bleibt Episode. Mit unterirdisch sich fortpflanzenden Wirkungen ist aber zu
rechnen. Die Behauptung, daß es auch ohne Lloyd George geht, wurde zum
ersten Male, wenn auch nicht lange, in breiter Öffentlichkeit erörtert. Die Vor¬
gänge, die hierzu führten, haben manchen Engländern die AuLen geöffnet. Wie
bald sich das politisch fühlbar macht, wird vom Kriegsverlauf abhängen."

Am 26. November 1917 schrieb ich einen Militärbericht über unsere englisch¬
amerikanische Propaganda im Anschluß an den Bericht vom 6.'November. „Unsere


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0302" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/339851"/>
          <fw type="header" place="top"> Abriß meiner Hciager Berichterstattung</fw><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Abriß meiner Haager Berichterstattung<lb/>
Lin Beitrag zur Geschichte des letzten Ariegsjahres <note type="byline"> Wilhelm von Schiveinitz</note> von<lb/>
(vom gerbst 595? bis Rriegsschluß Militär-Attachü im ^aag)<lb/>
(Fortsetzung aus Heft 48)</head><lb/>
          <p xml:id="ID_1225"> on ineinen fortlaufenden Berichten über die Lage in England will<lb/>
ich als ersten den vom 23. November 1917 ausziehen, weil er<lb/>
die Anfänge der politischen Hochspannung schildert, die bei der<lb/>
Entente nach unseren russischen und italienischen Erfolgen ein¬<lb/>
setzte und sich bis zu unserem Zusammenbruch dauernd steigerte.<lb/>
Lrescit sub xonäere! &#x201E;Die englische Tagespresse bis zum 19. November ein¬<lb/>
schließlich liegt vor. Sie bietet ausreichende Unterlagen für ein Urteil über die<lb/>
Wirkung der Rede, die Lloyd George am 12. November in Paris gehalten hat.<lb/>
Sie veranlaßte in England zunächst eine fast hysterische Erregung. Man fühlte<lb/>
sich bloßgestellt und ließ die pädagogische Absicht nicht gelten. Auch von den sach¬<lb/>
lichen Ausführungen des Redners wollte man nichts wissen. Asquith fand sich<lb/>
bereit, zu interpellieren. Eine Ministerkrisis schien unvermeidlich. Diese<lb/>
Wirkung der Rede erklärt sich weniger ans ihr selbst, als aus der Nervosität des<lb/>
englischen Publikums. In normalem Zustand hätte man aus ihr uur den Ent¬<lb/>
schluß herausgehört, die Entcntefront zu vereinheitlichen. Der Übergang vom<lb/>
Bluff zur Wahrheit war, aber zu plötzlich. Die Rede wirkte deshalb wie ein kaltes<lb/>
Sturzbad auf einen Fieberkranken. Einen Augenblick schien es, als habe die<lb/>
Gewaltkur die Nerven des Patienten zerrüttet. Aber auch nur einen Augenblick.<lb/>
Dank seiner kräftigen Konstitution kam der Engländer bald wieder zu sich. Das<lb/>
Mittel hat fürs Erste gewirkt, und der Arzt wird beibehalten.<lb/>
'</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1226"> Der Zwischenfall ist so beigelegt,wie es dem Interesse der Entente entspricht.<lb/>
Sie 'kann sich nur behaupten, wenn ste mit Äußerster Energie weiterkämpft. 'Dem<lb/>
hat Poincare durch die Berufung von Clemenceau Rechnung getragen. Asquith,<lb/>
nicht weniger klug, hat begriffen, daß er nicht der Mann der Stunde ist. Er<lb/>
hat daher eine rein sachliche Besprechung der Pariser Rede ermöglicht. Sie mußte<lb/>
ergeben, daß man mit den Pariser Abmachungen des Premierministers<lb/>
einverstanden ist. Diese haben das Ideal eines gemeinsamen Oberbefehls noch<lb/>
nicht verwirklicht, aber immerhin einen wesentlichen Fortschritt gezeitigt. Der<lb/>
heilige Egoismus der Regierungen, insbesondere der englischen, läßt sich nicht ganz<lb/>
ausschalten, wird aber mehr Konzessionen machen müssen als bisher. Energie und<lb/>
Einheitlichkeit der Kriegführung werden zunehmen. Auf England hat die italie¬<lb/>
nische Niederlage als Peitschenhieb gewirkt. Die Aufregung über die Pariser<lb/>
Rede bleibt Episode. Mit unterirdisch sich fortpflanzenden Wirkungen ist aber zu<lb/>
rechnen. Die Behauptung, daß es auch ohne Lloyd George geht, wurde zum<lb/>
ersten Male, wenn auch nicht lange, in breiter Öffentlichkeit erörtert. Die Vor¬<lb/>
gänge, die hierzu führten, haben manchen Engländern die AuLen geöffnet. Wie<lb/>
bald sich das politisch fühlbar macht, wird vom Kriegsverlauf abhängen."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1227" next="#ID_1228"> Am 26. November 1917 schrieb ich einen Militärbericht über unsere englisch¬<lb/>
amerikanische Propaganda im Anschluß an den Bericht vom 6.'November. &#x201E;Unsere</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0302] Abriß meiner Hciager Berichterstattung Abriß meiner Haager Berichterstattung Lin Beitrag zur Geschichte des letzten Ariegsjahres Wilhelm von Schiveinitz von (vom gerbst 595? bis Rriegsschluß Militär-Attachü im ^aag) (Fortsetzung aus Heft 48) on ineinen fortlaufenden Berichten über die Lage in England will ich als ersten den vom 23. November 1917 ausziehen, weil er die Anfänge der politischen Hochspannung schildert, die bei der Entente nach unseren russischen und italienischen Erfolgen ein¬ setzte und sich bis zu unserem Zusammenbruch dauernd steigerte. Lrescit sub xonäere! „Die englische Tagespresse bis zum 19. November ein¬ schließlich liegt vor. Sie bietet ausreichende Unterlagen für ein Urteil über die Wirkung der Rede, die Lloyd George am 12. November in Paris gehalten hat. Sie veranlaßte in England zunächst eine fast hysterische Erregung. Man fühlte sich bloßgestellt und ließ die pädagogische Absicht nicht gelten. Auch von den sach¬ lichen Ausführungen des Redners wollte man nichts wissen. Asquith fand sich bereit, zu interpellieren. Eine Ministerkrisis schien unvermeidlich. Diese Wirkung der Rede erklärt sich weniger ans ihr selbst, als aus der Nervosität des englischen Publikums. In normalem Zustand hätte man aus ihr uur den Ent¬ schluß herausgehört, die Entcntefront zu vereinheitlichen. Der Übergang vom Bluff zur Wahrheit war, aber zu plötzlich. Die Rede wirkte deshalb wie ein kaltes Sturzbad auf einen Fieberkranken. Einen Augenblick schien es, als habe die Gewaltkur die Nerven des Patienten zerrüttet. Aber auch nur einen Augenblick. Dank seiner kräftigen Konstitution kam der Engländer bald wieder zu sich. Das Mittel hat fürs Erste gewirkt, und der Arzt wird beibehalten. ' Der Zwischenfall ist so beigelegt,wie es dem Interesse der Entente entspricht. Sie 'kann sich nur behaupten, wenn ste mit Äußerster Energie weiterkämpft. 'Dem hat Poincare durch die Berufung von Clemenceau Rechnung getragen. Asquith, nicht weniger klug, hat begriffen, daß er nicht der Mann der Stunde ist. Er hat daher eine rein sachliche Besprechung der Pariser Rede ermöglicht. Sie mußte ergeben, daß man mit den Pariser Abmachungen des Premierministers einverstanden ist. Diese haben das Ideal eines gemeinsamen Oberbefehls noch nicht verwirklicht, aber immerhin einen wesentlichen Fortschritt gezeitigt. Der heilige Egoismus der Regierungen, insbesondere der englischen, läßt sich nicht ganz ausschalten, wird aber mehr Konzessionen machen müssen als bisher. Energie und Einheitlichkeit der Kriegführung werden zunehmen. Auf England hat die italie¬ nische Niederlage als Peitschenhieb gewirkt. Die Aufregung über die Pariser Rede bleibt Episode. Mit unterirdisch sich fortpflanzenden Wirkungen ist aber zu rechnen. Die Behauptung, daß es auch ohne Lloyd George geht, wurde zum ersten Male, wenn auch nicht lange, in breiter Öffentlichkeit erörtert. Die Vor¬ gänge, die hierzu führten, haben manchen Engländern die AuLen geöffnet. Wie bald sich das politisch fühlbar macht, wird vom Kriegsverlauf abhängen." Am 26. November 1917 schrieb ich einen Militärbericht über unsere englisch¬ amerikanische Propaganda im Anschluß an den Bericht vom 6.'November. „Unsere

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341913_339548
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341913_339548/302
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341913_339548/302>, abgerufen am 29.04.2024.