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Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Viertes Vierteljahr.

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Abriß meiner l^iager Berichterstattung

Abriß meiner Haager Berichterstattung
Ein Beitrag zur Geschichte des letzten Ariegsjahres
Wilhelm von Schweinitz von
(vom Leibst 59^7 bis Rriegsschluß Militair-Atlachü im ^aag)
(Schluß aus Heft öl)

om 8. bis 14. August 1918 machte ich eine Dienstreise ins Große
Hauptquartier, die ich der allgemeinen Lage wegen beantragt hatte.
Sie schien mir einen ganzen Entschluß zu verlangen, der keinesfalls
hinausgeschoben werden durfte. Die traurige" Erfahrungen
des 8.' August, von denen ich uuterwe'gs erfuhr, bestätigen
mir dies, aber ohne mich hoffnungslos zu stimmen. Daß
wir den Krieg nicht zu verlieren brauchten, habe ich mich bei meinem Besuch im
Großen Hauptquartier mit Bestimmtheit und, wie ich noch heute glaube, berechtig¬
terweise angenommen. Am 12. August machte ich in der vorgeschobenen Befehls¬
stelle Avesnes nachstehende Ausarbeitung für General Ludendorff. "Der Ver¬
such, deu Krieg durch einen militärischen Sieg zu beendigen, ist mißglückt. . Seine
Wiederholung kommt auch für später nicht in Frage. Unsere Aufgabe ist nun-"
mehr, unseren Verteidigungskrieg in der Abwehrschlacht zu gewinnen. Hierauf
muß sich Deutschland umstellen. Der Schwächepunkt unserer Stellung liegt nicht
in der äußeren, sondern an der inneren Front. Um sie zu versteifen, bedarf es
einer neuen Mobilmachung. Sie läßt sich nnr von einer Regierung durchführen,
die wirklich regiert. Dies geht heutzutage nur durch, nicht gegen das Volk. Die
neue Regierung muß deshalb nicht nur stark, sondern auch modern sein. , Ist
sie's, wird unser Volk zweckentsprechend reagieren. Aufgabe unserer Politik ist
es, dem Feind die Verständigung zu erleichtern. Das Programm für die nächste
Zukunft denke ich mir wie folgt:

1. Meldung der O. H. L. an Seine Majestät und den Reichskanzler über die
militärische Lage und die sich aus ihr ergebenden militärischen Konsequenzen.
2. Einigung über die Person eines neuen Reichskanzlers (Prinz Max von Baden).
^ Festlegung der Ziele unseres Verteidigungskrieges im Benehmen mit den Ver¬
bündeten.
4. Ausarbeitung eines Programms für die neue Mobilmachung. Praktische
Reform auf politischem, wirtschaftlichen! und sozialem Gebiet unter Initia¬
tive der Krone.
5. Einstellung von Parlament und deutscher öffentlicher Meinung auf die neue
Linie. Bearbeitung von Vaterlandspartei und Schwerindustrie.
(.>. Organisation der Propaganda.
7. Inanspruchnahme holländischer Vermittlung, um Fühlung mit England zu
gewinnen.

Der Umstand, daß ich den Prinzen Max von Baden zum Kanzler vorschlug, hat
mich beinahe dazu veranlaßt, dies Buch ungeschrieben zu lassen. Das Richtig^
wäre damals gewesen, den Fürsten Bülow mit der Abwicklung des Krieges zu be¬
auftragen. Zwei Persönlichkeiten, die im Glück und Unglück klarer sahen als
wohl irgend einer Ihrer deutschen Zeitgenossen, Ihre Majestät die Kaiserin und
der Hausminister Graf Eulenburg, haben den ganzen Krieg hindurch an der
Kanzlerkandidatur des Fürsten festgehalten. Noch kurz vor seinem Tode hat der


Abriß meiner l^iager Berichterstattung

Abriß meiner Haager Berichterstattung
Ein Beitrag zur Geschichte des letzten Ariegsjahres
Wilhelm von Schweinitz von
(vom Leibst 59^7 bis Rriegsschluß Militair-Atlachü im ^aag)
(Schluß aus Heft öl)

om 8. bis 14. August 1918 machte ich eine Dienstreise ins Große
Hauptquartier, die ich der allgemeinen Lage wegen beantragt hatte.
Sie schien mir einen ganzen Entschluß zu verlangen, der keinesfalls
hinausgeschoben werden durfte. Die traurige» Erfahrungen
des 8.' August, von denen ich uuterwe'gs erfuhr, bestätigen
mir dies, aber ohne mich hoffnungslos zu stimmen. Daß
wir den Krieg nicht zu verlieren brauchten, habe ich mich bei meinem Besuch im
Großen Hauptquartier mit Bestimmtheit und, wie ich noch heute glaube, berechtig¬
terweise angenommen. Am 12. August machte ich in der vorgeschobenen Befehls¬
stelle Avesnes nachstehende Ausarbeitung für General Ludendorff. „Der Ver¬
such, deu Krieg durch einen militärischen Sieg zu beendigen, ist mißglückt. . Seine
Wiederholung kommt auch für später nicht in Frage. Unsere Aufgabe ist nun-"
mehr, unseren Verteidigungskrieg in der Abwehrschlacht zu gewinnen. Hierauf
muß sich Deutschland umstellen. Der Schwächepunkt unserer Stellung liegt nicht
in der äußeren, sondern an der inneren Front. Um sie zu versteifen, bedarf es
einer neuen Mobilmachung. Sie läßt sich nnr von einer Regierung durchführen,
die wirklich regiert. Dies geht heutzutage nur durch, nicht gegen das Volk. Die
neue Regierung muß deshalb nicht nur stark, sondern auch modern sein. , Ist
sie's, wird unser Volk zweckentsprechend reagieren. Aufgabe unserer Politik ist
es, dem Feind die Verständigung zu erleichtern. Das Programm für die nächste
Zukunft denke ich mir wie folgt:

1. Meldung der O. H. L. an Seine Majestät und den Reichskanzler über die
militärische Lage und die sich aus ihr ergebenden militärischen Konsequenzen.
2. Einigung über die Person eines neuen Reichskanzlers (Prinz Max von Baden).
^ Festlegung der Ziele unseres Verteidigungskrieges im Benehmen mit den Ver¬
bündeten.
4. Ausarbeitung eines Programms für die neue Mobilmachung. Praktische
Reform auf politischem, wirtschaftlichen! und sozialem Gebiet unter Initia¬
tive der Krone.
5. Einstellung von Parlament und deutscher öffentlicher Meinung auf die neue
Linie. Bearbeitung von Vaterlandspartei und Schwerindustrie.
(.>. Organisation der Propaganda.
7. Inanspruchnahme holländischer Vermittlung, um Fühlung mit England zu
gewinnen.

Der Umstand, daß ich den Prinzen Max von Baden zum Kanzler vorschlug, hat
mich beinahe dazu veranlaßt, dies Buch ungeschrieben zu lassen. Das Richtig^
wäre damals gewesen, den Fürsten Bülow mit der Abwicklung des Krieges zu be¬
auftragen. Zwei Persönlichkeiten, die im Glück und Unglück klarer sahen als
wohl irgend einer Ihrer deutschen Zeitgenossen, Ihre Majestät die Kaiserin und
der Hausminister Graf Eulenburg, haben den ganzen Krieg hindurch an der
Kanzlerkandidatur des Fürsten festgehalten. Noch kurz vor seinem Tode hat der


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[0422] Abriß meiner l^iager Berichterstattung Abriß meiner Haager Berichterstattung Ein Beitrag zur Geschichte des letzten Ariegsjahres Wilhelm von Schweinitz von (vom Leibst 59^7 bis Rriegsschluß Militair-Atlachü im ^aag) (Schluß aus Heft öl) om 8. bis 14. August 1918 machte ich eine Dienstreise ins Große Hauptquartier, die ich der allgemeinen Lage wegen beantragt hatte. Sie schien mir einen ganzen Entschluß zu verlangen, der keinesfalls hinausgeschoben werden durfte. Die traurige» Erfahrungen des 8.' August, von denen ich uuterwe'gs erfuhr, bestätigen mir dies, aber ohne mich hoffnungslos zu stimmen. Daß wir den Krieg nicht zu verlieren brauchten, habe ich mich bei meinem Besuch im Großen Hauptquartier mit Bestimmtheit und, wie ich noch heute glaube, berechtig¬ terweise angenommen. Am 12. August machte ich in der vorgeschobenen Befehls¬ stelle Avesnes nachstehende Ausarbeitung für General Ludendorff. „Der Ver¬ such, deu Krieg durch einen militärischen Sieg zu beendigen, ist mißglückt. . Seine Wiederholung kommt auch für später nicht in Frage. Unsere Aufgabe ist nun-" mehr, unseren Verteidigungskrieg in der Abwehrschlacht zu gewinnen. Hierauf muß sich Deutschland umstellen. Der Schwächepunkt unserer Stellung liegt nicht in der äußeren, sondern an der inneren Front. Um sie zu versteifen, bedarf es einer neuen Mobilmachung. Sie läßt sich nnr von einer Regierung durchführen, die wirklich regiert. Dies geht heutzutage nur durch, nicht gegen das Volk. Die neue Regierung muß deshalb nicht nur stark, sondern auch modern sein. , Ist sie's, wird unser Volk zweckentsprechend reagieren. Aufgabe unserer Politik ist es, dem Feind die Verständigung zu erleichtern. Das Programm für die nächste Zukunft denke ich mir wie folgt: 1. Meldung der O. H. L. an Seine Majestät und den Reichskanzler über die militärische Lage und die sich aus ihr ergebenden militärischen Konsequenzen. 2. Einigung über die Person eines neuen Reichskanzlers (Prinz Max von Baden). ^ Festlegung der Ziele unseres Verteidigungskrieges im Benehmen mit den Ver¬ bündeten. 4. Ausarbeitung eines Programms für die neue Mobilmachung. Praktische Reform auf politischem, wirtschaftlichen! und sozialem Gebiet unter Initia¬ tive der Krone. 5. Einstellung von Parlament und deutscher öffentlicher Meinung auf die neue Linie. Bearbeitung von Vaterlandspartei und Schwerindustrie. (.>. Organisation der Propaganda. 7. Inanspruchnahme holländischer Vermittlung, um Fühlung mit England zu gewinnen. Der Umstand, daß ich den Prinzen Max von Baden zum Kanzler vorschlug, hat mich beinahe dazu veranlaßt, dies Buch ungeschrieben zu lassen. Das Richtig^ wäre damals gewesen, den Fürsten Bülow mit der Abwicklung des Krieges zu be¬ auftragen. Zwei Persönlichkeiten, die im Glück und Unglück klarer sahen als wohl irgend einer Ihrer deutschen Zeitgenossen, Ihre Majestät die Kaiserin und der Hausminister Graf Eulenburg, haben den ganzen Krieg hindurch an der Kanzlerkandidatur des Fürsten festgehalten. Noch kurz vor seinem Tode hat der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341913_339548/422>, abgerufen am 29.04.2024.