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Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Viertes Vierteljahr.

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Die Erkenntnis der Tendenzen geschichtlicher Entwicklung

gelangen, daß es dem deutschen Volke gelingen muß, die ihm auferlegten Fesseln
zu sprengen.

Eine weise deutsche Staatskunst im Sinne der Rankeschen Worte wird sich
darüber klar sein müssen, daß in Versailles kein dauernder Zustand geschaffen
wurde, und daß sie zu dessen Beseitigung der Förderung nationaler Regungen
berief, umgekehrt aber durch Aufgehen in einem verschwommenen Internationa¬
lismus sie niemals erreichen wird. Daß eine Festigung unserer internationalen
Beziehungen mit Klugheit anzustreben bleibt, ist eine Selbstverständlichkeit. Sie
werden aber um so eher zu gewinnen sein, je mehr Rückhalt unsere Außenpolitik
an einem geschlossenen nationalen Willen findet. Ein solcher wird aus dem Boden
des Parlamentarismus, wie er jetzt beschaffen ist, sich nicht verwirklichen lassen.
Er gehört in seiner augenblicklichen Form unbedingt zu dem "Vorübergehenden, dem
Wechsel Unterworfenen" und ist reif durch berufsständische Vertretungen ersetzt zu
werden. Auch in solchen werden stets Gegensätze vorhanden sein, das ist
Menschenlos. aber sie werden, weil auf sachliches bezogen, sachlicher ausgefochten
werden und nicht in gleichem Maße imstande sein, zersetzend auf unser Volks¬
leben einzuwirken und dieses zu vergiften.

Als das wahrhaft "Bleibende", im eigentlichen Sinne Wertvolle aber gilt
es die sittlichen und geistigen Elrungenschaften unserer Vergangenheit, darunter
die Erinnerung an die Großtat unseres Volkes, die der Weltkrieg, obwohl wir
ihn verloren haben, darstellt, festzuhalten. Nur wenn es uns glückt, die reichen
Werte, die unserem Volke als ein Erbe der Vergangenheit zugefallen sind, un¬
versehrt durch alle Leidenschaft und alle Schmach der Gegenwart hindurch zu retten,
dürfen wir hoffen dereinst wieder den uns gebührenden Platz unter den Nationen
der Welt zurückzugewinnen.




Männer der Tat scheinen ja überhaupt nicht an ihrem Platze zu sein in
diesen Versammlungen (den Parlamenten), welche so eifrig daran gearbeitet haben,
das Ansehen und die Geltung des Parlamentarismus in den Augen der Völker
abzuschwächen oder ganz zu ruinieren. Jammerselig, kleinliches Parteigezänke,
leichtfertige Gesetzesfabrikation und uferlose Reimerei haben diese Anstalten so
herabgebracht, daß es begreiflich wird, wenn Leute, welche weder zu den Dummen,
noch zu den Rückwärtigen gehören, nachgerade zu der Meinung gekommen sind,
es wäre für die Völker kein Unglück, so diese Paradeplatze der Zungenvirtuosität,
der Grundsätzeverlotterung, der Eitelkeit, der Strohdrescherei und des Ränkespiels
für eine Weile zugesperrt würden, falls eben nur der ungeheure Dampfkessel,
19. Jahrhundert geheißen, des Schwatzventils entbehren könnte.


Johannes Scherr (Garibaldi ^SS2)


In dem Meere der Stimmen der großen Masse geht die dünne Oberschicht
gereifterer, staatlicher und sozialer Einsicht und jener patriotischen Staatsgefinnung,
die ihre dauernde Kraft nicht aus hochgemuten Augenblicksstimmungen, sondern
aus der durch Reflektion und Erfahrung gewonnenen Überzeugung von dem
von Savigny Werte des Staates entnimmt, völlig unter!


Grenzboten IV 192126
Die Erkenntnis der Tendenzen geschichtlicher Entwicklung

gelangen, daß es dem deutschen Volke gelingen muß, die ihm auferlegten Fesseln
zu sprengen.

Eine weise deutsche Staatskunst im Sinne der Rankeschen Worte wird sich
darüber klar sein müssen, daß in Versailles kein dauernder Zustand geschaffen
wurde, und daß sie zu dessen Beseitigung der Förderung nationaler Regungen
berief, umgekehrt aber durch Aufgehen in einem verschwommenen Internationa¬
lismus sie niemals erreichen wird. Daß eine Festigung unserer internationalen
Beziehungen mit Klugheit anzustreben bleibt, ist eine Selbstverständlichkeit. Sie
werden aber um so eher zu gewinnen sein, je mehr Rückhalt unsere Außenpolitik
an einem geschlossenen nationalen Willen findet. Ein solcher wird aus dem Boden
des Parlamentarismus, wie er jetzt beschaffen ist, sich nicht verwirklichen lassen.
Er gehört in seiner augenblicklichen Form unbedingt zu dem „Vorübergehenden, dem
Wechsel Unterworfenen" und ist reif durch berufsständische Vertretungen ersetzt zu
werden. Auch in solchen werden stets Gegensätze vorhanden sein, das ist
Menschenlos. aber sie werden, weil auf sachliches bezogen, sachlicher ausgefochten
werden und nicht in gleichem Maße imstande sein, zersetzend auf unser Volks¬
leben einzuwirken und dieses zu vergiften.

Als das wahrhaft „Bleibende", im eigentlichen Sinne Wertvolle aber gilt
es die sittlichen und geistigen Elrungenschaften unserer Vergangenheit, darunter
die Erinnerung an die Großtat unseres Volkes, die der Weltkrieg, obwohl wir
ihn verloren haben, darstellt, festzuhalten. Nur wenn es uns glückt, die reichen
Werte, die unserem Volke als ein Erbe der Vergangenheit zugefallen sind, un¬
versehrt durch alle Leidenschaft und alle Schmach der Gegenwart hindurch zu retten,
dürfen wir hoffen dereinst wieder den uns gebührenden Platz unter den Nationen
der Welt zurückzugewinnen.




Männer der Tat scheinen ja überhaupt nicht an ihrem Platze zu sein in
diesen Versammlungen (den Parlamenten), welche so eifrig daran gearbeitet haben,
das Ansehen und die Geltung des Parlamentarismus in den Augen der Völker
abzuschwächen oder ganz zu ruinieren. Jammerselig, kleinliches Parteigezänke,
leichtfertige Gesetzesfabrikation und uferlose Reimerei haben diese Anstalten so
herabgebracht, daß es begreiflich wird, wenn Leute, welche weder zu den Dummen,
noch zu den Rückwärtigen gehören, nachgerade zu der Meinung gekommen sind,
es wäre für die Völker kein Unglück, so diese Paradeplatze der Zungenvirtuosität,
der Grundsätzeverlotterung, der Eitelkeit, der Strohdrescherei und des Ränkespiels
für eine Weile zugesperrt würden, falls eben nur der ungeheure Dampfkessel,
19. Jahrhundert geheißen, des Schwatzventils entbehren könnte.


Johannes Scherr (Garibaldi ^SS2)


In dem Meere der Stimmen der großen Masse geht die dünne Oberschicht
gereifterer, staatlicher und sozialer Einsicht und jener patriotischen Staatsgefinnung,
die ihre dauernde Kraft nicht aus hochgemuten Augenblicksstimmungen, sondern
aus der durch Reflektion und Erfahrung gewonnenen Überzeugung von dem
von Savigny Werte des Staates entnimmt, völlig unter!


Grenzboten IV 192126
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[0421] Die Erkenntnis der Tendenzen geschichtlicher Entwicklung gelangen, daß es dem deutschen Volke gelingen muß, die ihm auferlegten Fesseln zu sprengen. Eine weise deutsche Staatskunst im Sinne der Rankeschen Worte wird sich darüber klar sein müssen, daß in Versailles kein dauernder Zustand geschaffen wurde, und daß sie zu dessen Beseitigung der Förderung nationaler Regungen berief, umgekehrt aber durch Aufgehen in einem verschwommenen Internationa¬ lismus sie niemals erreichen wird. Daß eine Festigung unserer internationalen Beziehungen mit Klugheit anzustreben bleibt, ist eine Selbstverständlichkeit. Sie werden aber um so eher zu gewinnen sein, je mehr Rückhalt unsere Außenpolitik an einem geschlossenen nationalen Willen findet. Ein solcher wird aus dem Boden des Parlamentarismus, wie er jetzt beschaffen ist, sich nicht verwirklichen lassen. Er gehört in seiner augenblicklichen Form unbedingt zu dem „Vorübergehenden, dem Wechsel Unterworfenen" und ist reif durch berufsständische Vertretungen ersetzt zu werden. Auch in solchen werden stets Gegensätze vorhanden sein, das ist Menschenlos. aber sie werden, weil auf sachliches bezogen, sachlicher ausgefochten werden und nicht in gleichem Maße imstande sein, zersetzend auf unser Volks¬ leben einzuwirken und dieses zu vergiften. Als das wahrhaft „Bleibende", im eigentlichen Sinne Wertvolle aber gilt es die sittlichen und geistigen Elrungenschaften unserer Vergangenheit, darunter die Erinnerung an die Großtat unseres Volkes, die der Weltkrieg, obwohl wir ihn verloren haben, darstellt, festzuhalten. Nur wenn es uns glückt, die reichen Werte, die unserem Volke als ein Erbe der Vergangenheit zugefallen sind, un¬ versehrt durch alle Leidenschaft und alle Schmach der Gegenwart hindurch zu retten, dürfen wir hoffen dereinst wieder den uns gebührenden Platz unter den Nationen der Welt zurückzugewinnen. Männer der Tat scheinen ja überhaupt nicht an ihrem Platze zu sein in diesen Versammlungen (den Parlamenten), welche so eifrig daran gearbeitet haben, das Ansehen und die Geltung des Parlamentarismus in den Augen der Völker abzuschwächen oder ganz zu ruinieren. Jammerselig, kleinliches Parteigezänke, leichtfertige Gesetzesfabrikation und uferlose Reimerei haben diese Anstalten so herabgebracht, daß es begreiflich wird, wenn Leute, welche weder zu den Dummen, noch zu den Rückwärtigen gehören, nachgerade zu der Meinung gekommen sind, es wäre für die Völker kein Unglück, so diese Paradeplatze der Zungenvirtuosität, der Grundsätzeverlotterung, der Eitelkeit, der Strohdrescherei und des Ränkespiels für eine Weile zugesperrt würden, falls eben nur der ungeheure Dampfkessel, 19. Jahrhundert geheißen, des Schwatzventils entbehren könnte. Johannes Scherr (Garibaldi ^SS2) In dem Meere der Stimmen der großen Masse geht die dünne Oberschicht gereifterer, staatlicher und sozialer Einsicht und jener patriotischen Staatsgefinnung, die ihre dauernde Kraft nicht aus hochgemuten Augenblicksstimmungen, sondern aus der durch Reflektion und Erfahrung gewonnenen Überzeugung von dem von Savigny Werte des Staates entnimmt, völlig unter! Grenzboten IV 192126

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341913_339548/421>, abgerufen am 15.05.2024.