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Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Viertes Vierteljahr.

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Berliner Bühne

Berliner Bühne

[Beginn Spaltensatz]

Es ist noch nicht so lange her, daß
man erklärt hat, der Stil unserer Zeit
sei die Stillosigkeit. Das ist mehr
witzig als wahr. Heute sehen wir immer
deutlicher, daß die Stillosigkeit unserer
Zeit, das heißt die Unfähigkeit, dem
Strom der Zeit mit einem starken, ein¬
heitgebenden Formgefühl die Bahn zu
weisen, die Folge einer chronisch ge¬
wordenen schöpferischen Erstarrung ge¬
wesen ist. Die Ursachen und Zusammen¬
hänge dieser Erstarrung aufzuweisen,
ist eine Aufgabe für sich. Jedenfalls
spricht nicht gegen sie, daß es gleich-
zeitig ein reges geistig-künstlerisches
Leben gab, noch daß auf allen Gebieten
Werke von nicht geringem Rang ge¬
schaffen wurden. Aber vielleicht tragen
alle Schöpfungen jener Zeit dennoch
das Kainszeichen der Zugehörigkeit zu
ihr auf der Stirn, wenn es vielleicht
auch erst spätere Generationen schaudernd
in aller Deutlichkeit erkennen werden.

Henrik Ibsens "Wenn wir Toten
erwachen" gehört gewiß zu diesen ge¬
zeichneten Werken, und der es schuf,
hat das gewiß gewußt. Nach Ibsens
Wort heißt Dichten: Gerichtstag halten
über sein eigenes Ich. Dieses sein
letztes Werk ist vielleicht die furchtbarste
Abrechnung, die je ein Dichter mit
seinem eigenen Schaffen, also seiner
eigenen Existenz, gehalten hat. Ibsen
"sah an alles, was er gemacht hatte",
und siehe da, es war nicht gut. Ein
verzweifelter Kopfsprung ins Nichts,
das ist das Ende des Menschenbildners
Rudel. während draußen das rauschende
Leben dieser "wundersamen, dieser rätsel¬
vollen Welt" weiterströmt. Wie Rubel
halte Ibsen selbst an die Stelle seines
Berufs, Bildner des Göttlichen im
Menschen zu sein, das fragwürdige Amt
auf sich genommen, das Irdische im
Menschen, die gesellschaftlichen .Kon¬
ventionen, ihre Reflexe und Konflikte
darzustellen. Aber er war seiner in die
gesellschaftlichen Konventionen des Ver¬
haltens zum Leben gebannten Menschen
überdrüssig geworden (auch wenn er
heimliche Tierfratzen in ihre Porträts
hineindichtete) und hatte doch kein neues

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aktives Menschentum an ihre Stelle
zu setzen.

In einer uns heute mühselig an¬
mutenden Symbolik umschreibt Ibsen
diese Tragik und erweist sie schärfer
noch, als durch seine Ideologie, durch
die Brüchigkeit seiner künstlerischen
Mittel. Dennoch steckt soviel lebendige
Kraft in dem letzten Schauspiel Ibsens,
daß das Lessingtheater auch heute, in
unseren nach ganz anderen Ufern steuern¬
den Tagen, es mit Erfolg wagen konnte,
den tragischen Epilog aufzuführen. In¬
dem es alle starre Symbolik in bewegte
Menschlichkeit aufzulösen suchte, rang
es erfolgreich mit der größten Schwie¬
rigkeit. An der Lösung der anderen
Schwierigkeit, nämlich die rechten Schau¬
spieler zu finden, mußte es verzweifeln
(die Frage nach den Gründen, das heißt
nach der heutigen allgemeinen künst¬
lerischen und wirtschaftlichen Situation
des Schauspielertums wird hier in an¬
derem Zusammenhang erörtert werden).
Herrn Loos fehlt die seelische Härte und
Breite, um eine so mächtige Figur wie
den Rudel zu tragen. Aber seine noch
in der Erregung sympathische Wärme
und sein sorgfaltig studiertes Vorbild
Bassermann gaben seiner Darstellung
ein zwar nicht sehr einheitliches und
ausdrucksvolles, doch äußerlich würdiges
Gepräge. Frau Durienx dagegen gab
als Irene Wesentliches nur in der
äußeren Haltung. Der erste ergreifende
Eindruck dieser lautlos-siarren, schatten¬
haft, wie abgeschieden wandelnden Frau
war schnell zerstört durch daS kleinlich-
naturalistisch aus Rede und Antwort
sich entwickelnde Nünncenspicl des Ton
falls und der Gebärde. Sie kehrte
zwar immer Sieber zu der Anfangs¬
haltung zurück. Aber diese so wenig
wie ihre Ausdrucksgesten entwuchsen
auch nur einen Augenblick einer inneren
Beziehung zu der Gestalt und ihrem,
Schicksal: was sich besonders deutlich an
den Stellen zeigte, wo sie von ihrer
Vergangenheit nicht aus der Vision,
sondern der Erinnerung, nicht in über¬
wältigten!, sondern in charakterisierendem
Tonfall sprach.

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Es ist noch nicht so lange her, daß
man erklärt hat, der Stil unserer Zeit
sei die Stillosigkeit. Das ist mehr
witzig als wahr. Heute sehen wir immer
deutlicher, daß die Stillosigkeit unserer
Zeit, das heißt die Unfähigkeit, dem
Strom der Zeit mit einem starken, ein¬
heitgebenden Formgefühl die Bahn zu
weisen, die Folge einer chronisch ge¬
wordenen schöpferischen Erstarrung ge¬
wesen ist. Die Ursachen und Zusammen¬
hänge dieser Erstarrung aufzuweisen,
ist eine Aufgabe für sich. Jedenfalls
spricht nicht gegen sie, daß es gleich-
zeitig ein reges geistig-künstlerisches
Leben gab, noch daß auf allen Gebieten
Werke von nicht geringem Rang ge¬
schaffen wurden. Aber vielleicht tragen
alle Schöpfungen jener Zeit dennoch
das Kainszeichen der Zugehörigkeit zu
ihr auf der Stirn, wenn es vielleicht
auch erst spätere Generationen schaudernd
in aller Deutlichkeit erkennen werden.

Henrik Ibsens „Wenn wir Toten
erwachen" gehört gewiß zu diesen ge¬
zeichneten Werken, und der es schuf,
hat das gewiß gewußt. Nach Ibsens
Wort heißt Dichten: Gerichtstag halten
über sein eigenes Ich. Dieses sein
letztes Werk ist vielleicht die furchtbarste
Abrechnung, die je ein Dichter mit
seinem eigenen Schaffen, also seiner
eigenen Existenz, gehalten hat. Ibsen
„sah an alles, was er gemacht hatte",
und siehe da, es war nicht gut. Ein
verzweifelter Kopfsprung ins Nichts,
das ist das Ende des Menschenbildners
Rudel. während draußen das rauschende
Leben dieser „wundersamen, dieser rätsel¬
vollen Welt" weiterströmt. Wie Rubel
halte Ibsen selbst an die Stelle seines
Berufs, Bildner des Göttlichen im
Menschen zu sein, das fragwürdige Amt
auf sich genommen, das Irdische im
Menschen, die gesellschaftlichen .Kon¬
ventionen, ihre Reflexe und Konflikte
darzustellen. Aber er war seiner in die
gesellschaftlichen Konventionen des Ver¬
haltens zum Leben gebannten Menschen
überdrüssig geworden (auch wenn er
heimliche Tierfratzen in ihre Porträts
hineindichtete) und hatte doch kein neues

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aktives Menschentum an ihre Stelle
zu setzen.

In einer uns heute mühselig an¬
mutenden Symbolik umschreibt Ibsen
diese Tragik und erweist sie schärfer
noch, als durch seine Ideologie, durch
die Brüchigkeit seiner künstlerischen
Mittel. Dennoch steckt soviel lebendige
Kraft in dem letzten Schauspiel Ibsens,
daß das Lessingtheater auch heute, in
unseren nach ganz anderen Ufern steuern¬
den Tagen, es mit Erfolg wagen konnte,
den tragischen Epilog aufzuführen. In¬
dem es alle starre Symbolik in bewegte
Menschlichkeit aufzulösen suchte, rang
es erfolgreich mit der größten Schwie¬
rigkeit. An der Lösung der anderen
Schwierigkeit, nämlich die rechten Schau¬
spieler zu finden, mußte es verzweifeln
(die Frage nach den Gründen, das heißt
nach der heutigen allgemeinen künst¬
lerischen und wirtschaftlichen Situation
des Schauspielertums wird hier in an¬
derem Zusammenhang erörtert werden).
Herrn Loos fehlt die seelische Härte und
Breite, um eine so mächtige Figur wie
den Rudel zu tragen. Aber seine noch
in der Erregung sympathische Wärme
und sein sorgfaltig studiertes Vorbild
Bassermann gaben seiner Darstellung
ein zwar nicht sehr einheitliches und
ausdrucksvolles, doch äußerlich würdiges
Gepräge. Frau Durienx dagegen gab
als Irene Wesentliches nur in der
äußeren Haltung. Der erste ergreifende
Eindruck dieser lautlos-siarren, schatten¬
haft, wie abgeschieden wandelnden Frau
war schnell zerstört durch daS kleinlich-
naturalistisch aus Rede und Antwort
sich entwickelnde Nünncenspicl des Ton
falls und der Gebärde. Sie kehrte
zwar immer Sieber zu der Anfangs¬
haltung zurück. Aber diese so wenig
wie ihre Ausdrucksgesten entwuchsen
auch nur einen Augenblick einer inneren
Beziehung zu der Gestalt und ihrem,
Schicksal: was sich besonders deutlich an
den Stellen zeigte, wo sie von ihrer
Vergangenheit nicht aus der Vision,
sondern der Erinnerung, nicht in über¬
wältigten!, sondern in charakterisierendem
Tonfall sprach.

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[0434] Berliner Bühne Berliner Bühne Es ist noch nicht so lange her, daß man erklärt hat, der Stil unserer Zeit sei die Stillosigkeit. Das ist mehr witzig als wahr. Heute sehen wir immer deutlicher, daß die Stillosigkeit unserer Zeit, das heißt die Unfähigkeit, dem Strom der Zeit mit einem starken, ein¬ heitgebenden Formgefühl die Bahn zu weisen, die Folge einer chronisch ge¬ wordenen schöpferischen Erstarrung ge¬ wesen ist. Die Ursachen und Zusammen¬ hänge dieser Erstarrung aufzuweisen, ist eine Aufgabe für sich. Jedenfalls spricht nicht gegen sie, daß es gleich- zeitig ein reges geistig-künstlerisches Leben gab, noch daß auf allen Gebieten Werke von nicht geringem Rang ge¬ schaffen wurden. Aber vielleicht tragen alle Schöpfungen jener Zeit dennoch das Kainszeichen der Zugehörigkeit zu ihr auf der Stirn, wenn es vielleicht auch erst spätere Generationen schaudernd in aller Deutlichkeit erkennen werden. Henrik Ibsens „Wenn wir Toten erwachen" gehört gewiß zu diesen ge¬ zeichneten Werken, und der es schuf, hat das gewiß gewußt. Nach Ibsens Wort heißt Dichten: Gerichtstag halten über sein eigenes Ich. Dieses sein letztes Werk ist vielleicht die furchtbarste Abrechnung, die je ein Dichter mit seinem eigenen Schaffen, also seiner eigenen Existenz, gehalten hat. Ibsen „sah an alles, was er gemacht hatte", und siehe da, es war nicht gut. Ein verzweifelter Kopfsprung ins Nichts, das ist das Ende des Menschenbildners Rudel. während draußen das rauschende Leben dieser „wundersamen, dieser rätsel¬ vollen Welt" weiterströmt. Wie Rubel halte Ibsen selbst an die Stelle seines Berufs, Bildner des Göttlichen im Menschen zu sein, das fragwürdige Amt auf sich genommen, das Irdische im Menschen, die gesellschaftlichen .Kon¬ ventionen, ihre Reflexe und Konflikte darzustellen. Aber er war seiner in die gesellschaftlichen Konventionen des Ver¬ haltens zum Leben gebannten Menschen überdrüssig geworden (auch wenn er heimliche Tierfratzen in ihre Porträts hineindichtete) und hatte doch kein neues aktives Menschentum an ihre Stelle zu setzen. In einer uns heute mühselig an¬ mutenden Symbolik umschreibt Ibsen diese Tragik und erweist sie schärfer noch, als durch seine Ideologie, durch die Brüchigkeit seiner künstlerischen Mittel. Dennoch steckt soviel lebendige Kraft in dem letzten Schauspiel Ibsens, daß das Lessingtheater auch heute, in unseren nach ganz anderen Ufern steuern¬ den Tagen, es mit Erfolg wagen konnte, den tragischen Epilog aufzuführen. In¬ dem es alle starre Symbolik in bewegte Menschlichkeit aufzulösen suchte, rang es erfolgreich mit der größten Schwie¬ rigkeit. An der Lösung der anderen Schwierigkeit, nämlich die rechten Schau¬ spieler zu finden, mußte es verzweifeln (die Frage nach den Gründen, das heißt nach der heutigen allgemeinen künst¬ lerischen und wirtschaftlichen Situation des Schauspielertums wird hier in an¬ derem Zusammenhang erörtert werden). Herrn Loos fehlt die seelische Härte und Breite, um eine so mächtige Figur wie den Rudel zu tragen. Aber seine noch in der Erregung sympathische Wärme und sein sorgfaltig studiertes Vorbild Bassermann gaben seiner Darstellung ein zwar nicht sehr einheitliches und ausdrucksvolles, doch äußerlich würdiges Gepräge. Frau Durienx dagegen gab als Irene Wesentliches nur in der äußeren Haltung. Der erste ergreifende Eindruck dieser lautlos-siarren, schatten¬ haft, wie abgeschieden wandelnden Frau war schnell zerstört durch daS kleinlich- naturalistisch aus Rede und Antwort sich entwickelnde Nünncenspicl des Ton falls und der Gebärde. Sie kehrte zwar immer Sieber zu der Anfangs¬ haltung zurück. Aber diese so wenig wie ihre Ausdrucksgesten entwuchsen auch nur einen Augenblick einer inneren Beziehung zu der Gestalt und ihrem, Schicksal: was sich besonders deutlich an den Stellen zeigte, wo sie von ihrer Vergangenheit nicht aus der Vision, sondern der Erinnerung, nicht in über¬ wältigten!, sondern in charakterisierendem Tonfall sprach.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341913_339548/434>, abgerufen am 29.04.2024.