Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Neue deutsche Romane

slawischen Osten und Westeuropa. Unendlich viele Beziehungen verknüpfen
Teutschland mit Rußland, Tschechien, Südslawien, Bulgarien, Rumänien. Diese
Beziehungen werden, je mehr sich die Verhältnisse im Osten befestigen, immer
lebhafter werden. Kommt nun der Osteuropäer nach Deutschland, und sieht
in den Schaufenstern der Buchläden, bei den Zeitungsverkäufern überall die
neuesten Erzeugnisse der französischen "eulturs", so wird er daraus den richtigen
Schluß ziehen, daß er baldmöglichst sich nach diesem herrlichen Lande begeben
muß, dessen literarische Erzeugnisse so wertvoll sind, daß die Deutschen sich selbst
durch die raffiniertesten Quälereien und den gemeinsten Hohn nicht abhalten lassen,
sie bei sich einzuführen. Sieht er dagegen nirgends etwas Französisches, so
kommt er gar nicht auf den Gedanken, seine geistigen Bedürfnisse in Frankreich,
statt in dein ihm geistig viel näher stehendem Deutschland zu befriedigen. Der
Osteuropäer soll in den Deutschen das wahre Kulturvolk (das Wort "Kulturvolk"
mag man eigentlich gar nicht mehr für die Deutschen gebrauchen, seit Frankreich,
Polen, Haiti u. tgi. sich Kulturvölker nennen), also dasjenige 'Volk sehen, von
dem er lernen, mit dem er seine eigenen geistigen Güter austauschen kann, nicht
aber in den Franzosen, die ihn ja nie verstehen werden, wie sie überhaupt kein
anderes Volk auch nur annähernd verstehen können. Der Politiker, der Mann der
Presse, der Gelehrte wird sich ja auch ferner mit den französischen Geisteserzeug¬
nissen befassen müssen, das deutsche Volk aber und die deutsche Jugend möge da¬
mit so weit wie irgend möglich verschont bleiben. Wenn französische Sprache
und Literatur aus Deutschland verschwindet, geht sie in der ganzen Welt zurück,
und Frankreich mag dann ein neues Absatzgebiet für sie bei den Senegalesen und
Madagassen, suchen. In der gebildeten europäischen Welt aber mag es sich mit
der bescheidenen Rolle begnügen, die ihm zukommt.




Neue deutsche Romane
Paul Burg Bericht von

>le Buchhändler klagen, daß ihre Lager von neuen Büchern immer
voller, aber ihre Verkaufsräume an Besuchern und Käufern Tag
für Tag leerer und öder werden, denn die Gebildeten in unserm
Vaterlande sind gar arm geworden und vermögen kaum des Leibes
Nahrung und Notdurft zu bestreiten, geschweige noch Geist und
Seele zu erquicken an einem neuen Buche; aber die andern alle, die Abertausende,
Reiche und Reichgewordene, Gedankenlose und Gleichgültige, sie alle laufen dem
lauten, bunten Lärm des Tages nach, wetten, taumeln, tanzen und werfen ihr
Geld dem Teufel der Wüstheit und Wollust in den Nachen. Dennoch wollen wir
unentwegt darauf bedacht sein, den Lesern und den Büchern, den Buchhändlern
Wwie auch den Verfassern dienstbar zu sein, indem wir die üppige Spreu vom
Weizen sondern und wenigstens das Beste, Wohlfeilste von Zeit zu Zeit hier mit
einigen empfehlenden Worten anzeigen.


Neue deutsche Romane

slawischen Osten und Westeuropa. Unendlich viele Beziehungen verknüpfen
Teutschland mit Rußland, Tschechien, Südslawien, Bulgarien, Rumänien. Diese
Beziehungen werden, je mehr sich die Verhältnisse im Osten befestigen, immer
lebhafter werden. Kommt nun der Osteuropäer nach Deutschland, und sieht
in den Schaufenstern der Buchläden, bei den Zeitungsverkäufern überall die
neuesten Erzeugnisse der französischen „eulturs", so wird er daraus den richtigen
Schluß ziehen, daß er baldmöglichst sich nach diesem herrlichen Lande begeben
muß, dessen literarische Erzeugnisse so wertvoll sind, daß die Deutschen sich selbst
durch die raffiniertesten Quälereien und den gemeinsten Hohn nicht abhalten lassen,
sie bei sich einzuführen. Sieht er dagegen nirgends etwas Französisches, so
kommt er gar nicht auf den Gedanken, seine geistigen Bedürfnisse in Frankreich,
statt in dein ihm geistig viel näher stehendem Deutschland zu befriedigen. Der
Osteuropäer soll in den Deutschen das wahre Kulturvolk (das Wort „Kulturvolk"
mag man eigentlich gar nicht mehr für die Deutschen gebrauchen, seit Frankreich,
Polen, Haiti u. tgi. sich Kulturvölker nennen), also dasjenige 'Volk sehen, von
dem er lernen, mit dem er seine eigenen geistigen Güter austauschen kann, nicht
aber in den Franzosen, die ihn ja nie verstehen werden, wie sie überhaupt kein
anderes Volk auch nur annähernd verstehen können. Der Politiker, der Mann der
Presse, der Gelehrte wird sich ja auch ferner mit den französischen Geisteserzeug¬
nissen befassen müssen, das deutsche Volk aber und die deutsche Jugend möge da¬
mit so weit wie irgend möglich verschont bleiben. Wenn französische Sprache
und Literatur aus Deutschland verschwindet, geht sie in der ganzen Welt zurück,
und Frankreich mag dann ein neues Absatzgebiet für sie bei den Senegalesen und
Madagassen, suchen. In der gebildeten europäischen Welt aber mag es sich mit
der bescheidenen Rolle begnügen, die ihm zukommt.




Neue deutsche Romane
Paul Burg Bericht von

>le Buchhändler klagen, daß ihre Lager von neuen Büchern immer
voller, aber ihre Verkaufsräume an Besuchern und Käufern Tag
für Tag leerer und öder werden, denn die Gebildeten in unserm
Vaterlande sind gar arm geworden und vermögen kaum des Leibes
Nahrung und Notdurft zu bestreiten, geschweige noch Geist und
Seele zu erquicken an einem neuen Buche; aber die andern alle, die Abertausende,
Reiche und Reichgewordene, Gedankenlose und Gleichgültige, sie alle laufen dem
lauten, bunten Lärm des Tages nach, wetten, taumeln, tanzen und werfen ihr
Geld dem Teufel der Wüstheit und Wollust in den Nachen. Dennoch wollen wir
unentwegt darauf bedacht sein, den Lesern und den Büchern, den Buchhändlern
Wwie auch den Verfassern dienstbar zu sein, indem wir die üppige Spreu vom
Weizen sondern und wenigstens das Beste, Wohlfeilste von Zeit zu Zeit hier mit
einigen empfehlenden Worten anzeigen.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0061" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/339610"/>
          <fw type="header" place="top"> Neue deutsche Romane</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_210" prev="#ID_209"> slawischen Osten und Westeuropa. Unendlich viele Beziehungen verknüpfen<lb/>
Teutschland mit Rußland, Tschechien, Südslawien, Bulgarien, Rumänien. Diese<lb/>
Beziehungen werden, je mehr sich die Verhältnisse im Osten befestigen, immer<lb/>
lebhafter werden. Kommt nun der Osteuropäer nach Deutschland, und sieht<lb/>
in den Schaufenstern der Buchläden, bei den Zeitungsverkäufern überall die<lb/>
neuesten Erzeugnisse der französischen &#x201E;eulturs", so wird er daraus den richtigen<lb/>
Schluß ziehen, daß er baldmöglichst sich nach diesem herrlichen Lande begeben<lb/>
muß, dessen literarische Erzeugnisse so wertvoll sind, daß die Deutschen sich selbst<lb/>
durch die raffiniertesten Quälereien und den gemeinsten Hohn nicht abhalten lassen,<lb/>
sie bei sich einzuführen. Sieht er dagegen nirgends etwas Französisches, so<lb/>
kommt er gar nicht auf den Gedanken, seine geistigen Bedürfnisse in Frankreich,<lb/>
statt in dein ihm geistig viel näher stehendem Deutschland zu befriedigen. Der<lb/>
Osteuropäer soll in den Deutschen das wahre Kulturvolk (das Wort &#x201E;Kulturvolk"<lb/>
mag man eigentlich gar nicht mehr für die Deutschen gebrauchen, seit Frankreich,<lb/>
Polen, Haiti u. tgi. sich Kulturvölker nennen), also dasjenige 'Volk sehen, von<lb/>
dem er lernen, mit dem er seine eigenen geistigen Güter austauschen kann, nicht<lb/>
aber in den Franzosen, die ihn ja nie verstehen werden, wie sie überhaupt kein<lb/>
anderes Volk auch nur annähernd verstehen können. Der Politiker, der Mann der<lb/>
Presse, der Gelehrte wird sich ja auch ferner mit den französischen Geisteserzeug¬<lb/>
nissen befassen müssen, das deutsche Volk aber und die deutsche Jugend möge da¬<lb/>
mit so weit wie irgend möglich verschont bleiben. Wenn französische Sprache<lb/>
und Literatur aus Deutschland verschwindet, geht sie in der ganzen Welt zurück,<lb/>
und Frankreich mag dann ein neues Absatzgebiet für sie bei den Senegalesen und<lb/>
Madagassen, suchen. In der gebildeten europäischen Welt aber mag es sich mit<lb/>
der bescheidenen Rolle begnügen, die ihm zukommt.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Neue deutsche Romane<lb/><note type="byline"> Paul Burg</note> Bericht von</head><lb/>
          <p xml:id="ID_211"> &gt;le Buchhändler klagen, daß ihre Lager von neuen Büchern immer<lb/>
voller, aber ihre Verkaufsräume an Besuchern und Käufern Tag<lb/>
für Tag leerer und öder werden, denn die Gebildeten in unserm<lb/>
Vaterlande sind gar arm geworden und vermögen kaum des Leibes<lb/>
Nahrung und Notdurft zu bestreiten, geschweige noch Geist und<lb/>
Seele zu erquicken an einem neuen Buche; aber die andern alle, die Abertausende,<lb/>
Reiche und Reichgewordene, Gedankenlose und Gleichgültige, sie alle laufen dem<lb/>
lauten, bunten Lärm des Tages nach, wetten, taumeln, tanzen und werfen ihr<lb/>
Geld dem Teufel der Wüstheit und Wollust in den Nachen. Dennoch wollen wir<lb/>
unentwegt darauf bedacht sein, den Lesern und den Büchern, den Buchhändlern<lb/>
Wwie auch den Verfassern dienstbar zu sein, indem wir die üppige Spreu vom<lb/>
Weizen sondern und wenigstens das Beste, Wohlfeilste von Zeit zu Zeit hier mit<lb/>
einigen empfehlenden Worten anzeigen.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0061] Neue deutsche Romane slawischen Osten und Westeuropa. Unendlich viele Beziehungen verknüpfen Teutschland mit Rußland, Tschechien, Südslawien, Bulgarien, Rumänien. Diese Beziehungen werden, je mehr sich die Verhältnisse im Osten befestigen, immer lebhafter werden. Kommt nun der Osteuropäer nach Deutschland, und sieht in den Schaufenstern der Buchläden, bei den Zeitungsverkäufern überall die neuesten Erzeugnisse der französischen „eulturs", so wird er daraus den richtigen Schluß ziehen, daß er baldmöglichst sich nach diesem herrlichen Lande begeben muß, dessen literarische Erzeugnisse so wertvoll sind, daß die Deutschen sich selbst durch die raffiniertesten Quälereien und den gemeinsten Hohn nicht abhalten lassen, sie bei sich einzuführen. Sieht er dagegen nirgends etwas Französisches, so kommt er gar nicht auf den Gedanken, seine geistigen Bedürfnisse in Frankreich, statt in dein ihm geistig viel näher stehendem Deutschland zu befriedigen. Der Osteuropäer soll in den Deutschen das wahre Kulturvolk (das Wort „Kulturvolk" mag man eigentlich gar nicht mehr für die Deutschen gebrauchen, seit Frankreich, Polen, Haiti u. tgi. sich Kulturvölker nennen), also dasjenige 'Volk sehen, von dem er lernen, mit dem er seine eigenen geistigen Güter austauschen kann, nicht aber in den Franzosen, die ihn ja nie verstehen werden, wie sie überhaupt kein anderes Volk auch nur annähernd verstehen können. Der Politiker, der Mann der Presse, der Gelehrte wird sich ja auch ferner mit den französischen Geisteserzeug¬ nissen befassen müssen, das deutsche Volk aber und die deutsche Jugend möge da¬ mit so weit wie irgend möglich verschont bleiben. Wenn französische Sprache und Literatur aus Deutschland verschwindet, geht sie in der ganzen Welt zurück, und Frankreich mag dann ein neues Absatzgebiet für sie bei den Senegalesen und Madagassen, suchen. In der gebildeten europäischen Welt aber mag es sich mit der bescheidenen Rolle begnügen, die ihm zukommt. Neue deutsche Romane Paul Burg Bericht von >le Buchhändler klagen, daß ihre Lager von neuen Büchern immer voller, aber ihre Verkaufsräume an Besuchern und Käufern Tag für Tag leerer und öder werden, denn die Gebildeten in unserm Vaterlande sind gar arm geworden und vermögen kaum des Leibes Nahrung und Notdurft zu bestreiten, geschweige noch Geist und Seele zu erquicken an einem neuen Buche; aber die andern alle, die Abertausende, Reiche und Reichgewordene, Gedankenlose und Gleichgültige, sie alle laufen dem lauten, bunten Lärm des Tages nach, wetten, taumeln, tanzen und werfen ihr Geld dem Teufel der Wüstheit und Wollust in den Nachen. Dennoch wollen wir unentwegt darauf bedacht sein, den Lesern und den Büchern, den Buchhändlern Wwie auch den Verfassern dienstbar zu sein, indem wir die üppige Spreu vom Weizen sondern und wenigstens das Beste, Wohlfeilste von Zeit zu Zeit hier mit einigen empfehlenden Worten anzeigen.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341913_339548
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341913_339548/61
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341913_339548/61>, abgerufen am 29.04.2024.