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Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Viertes Vierteljahr.

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Schöpferische Entwicklung

sehr zum Staunen des braven Bürgers. Erst die Auflösung bringt die Ent-
Rüstung über die ungenügende Sorge für den Soldaten zum lauten Ausbruch
und schafft -- von der Gegenrevolution geschürt -- jene Atmosphäre der Kapp,
diimmerung!

So herrscht bei Reichswehr und Freikorps, Offizier und Soldat jene un¬
natürliche Spannung, die den Kapp-Pulses möglich werden läßet




schöpferische Entwicklung
Bruchstück einer Spsngler-Aritik*)
Gencraloberarzt a. D. Vr. Froehlich von

jie hat ein Buch mich so im Innersten erregt, mich angezogen und
doch immer von neuem auf die Folter gespannt in der Bedrohung
meiner tiefsten Überzeugungen, wie S p englers "Untergang
des Abendlandes". Auf der einen Seite eine Fülle fesseln¬
den Inhalts, voll überraschender Aufschlüsse, auf der anderen eine
grundsätzliche Leugnung aller ewigen Werte und Wahrheiten, die dem Buch einen.
dem Tatsächlichen nicht recht begründeten pessimistischen Charakter aufprägt,
^lese zwiespältige Wirkuug wurde aber mehr und mehr zu dem, von Spengler
^wiß nicht beabsichtigten Eindruck: daß mir uoch niemals ein Buch in seiner Über-
NUle ein so gewaltiges Bild einer, die ganze geistige kulturelle Geschichte der
Menschheit einheitlich verbindenden Entwicklung im Zeichen eines zeitlosen Ge¬
ldes enthüllt hat.

Das kann nur in ungelösten inneren Gegensätzen in Spengler selbst seinen
7"und haben, wie sie in der Tat zwischen seinem ausgesprochen intuitio-kunst-
^rischem Sinne und seinem mathematisch-logisch gerichteten Denken bestehen.
<lus diesem letzteren gerade fließen gewisse Urhemmungen, die, in Anschauung
und Urteil schwer zu überwinden, in ihrer starren Unbiegsamkeit leicht in lies-
s^isige Abwege führen. So ist es Spengler bei dem wichtigsten Problem des
Gebens, dem Problem des Werdens ergangen. Dabei aber ist ihm die tiefste und
eglückendste Bedeutung des Werdens, das es bei ihm nie zu einem wahren, d. i.
unendlichen Ziele, sondern immer nur Lur toten Starrheit des Gewordenen bringt,
^Uig entgangen. Die kaum aufsteigende "Seligkeit des Werdens" geht ünmittcl-
^ in 'das "Urgefühl" der Weltangst vor dem Unwiderruflichen, Endgültigen, vor
dein Erstarren über. In der Weltangst aber sieht Spengler das schöpferischste
^^U^fühle, ans dein er die höchsten Formen und Gestaltungen aller Kul-



. *) Spenglers "Untergang des Abendlandes und die Kultur der Erfüllung aus
deutschem Wesen" (Manuskript).
Grenzboten IV 1921 6
Schöpferische Entwicklung

sehr zum Staunen des braven Bürgers. Erst die Auflösung bringt die Ent-
Rüstung über die ungenügende Sorge für den Soldaten zum lauten Ausbruch
und schafft — von der Gegenrevolution geschürt — jene Atmosphäre der Kapp,
diimmerung!

So herrscht bei Reichswehr und Freikorps, Offizier und Soldat jene un¬
natürliche Spannung, die den Kapp-Pulses möglich werden läßet




schöpferische Entwicklung
Bruchstück einer Spsngler-Aritik*)
Gencraloberarzt a. D. Vr. Froehlich von

jie hat ein Buch mich so im Innersten erregt, mich angezogen und
doch immer von neuem auf die Folter gespannt in der Bedrohung
meiner tiefsten Überzeugungen, wie S p englers „Untergang
des Abendlandes". Auf der einen Seite eine Fülle fesseln¬
den Inhalts, voll überraschender Aufschlüsse, auf der anderen eine
grundsätzliche Leugnung aller ewigen Werte und Wahrheiten, die dem Buch einen.
dem Tatsächlichen nicht recht begründeten pessimistischen Charakter aufprägt,
^lese zwiespältige Wirkuug wurde aber mehr und mehr zu dem, von Spengler
^wiß nicht beabsichtigten Eindruck: daß mir uoch niemals ein Buch in seiner Über-
NUle ein so gewaltiges Bild einer, die ganze geistige kulturelle Geschichte der
Menschheit einheitlich verbindenden Entwicklung im Zeichen eines zeitlosen Ge¬
ldes enthüllt hat.

Das kann nur in ungelösten inneren Gegensätzen in Spengler selbst seinen
7"und haben, wie sie in der Tat zwischen seinem ausgesprochen intuitio-kunst-
^rischem Sinne und seinem mathematisch-logisch gerichteten Denken bestehen.
<lus diesem letzteren gerade fließen gewisse Urhemmungen, die, in Anschauung
und Urteil schwer zu überwinden, in ihrer starren Unbiegsamkeit leicht in lies-
s^isige Abwege führen. So ist es Spengler bei dem wichtigsten Problem des
Gebens, dem Problem des Werdens ergangen. Dabei aber ist ihm die tiefste und
eglückendste Bedeutung des Werdens, das es bei ihm nie zu einem wahren, d. i.
unendlichen Ziele, sondern immer nur Lur toten Starrheit des Gewordenen bringt,
^Uig entgangen. Die kaum aufsteigende „Seligkeit des Werdens" geht ünmittcl-
^ in 'das „Urgefühl" der Weltangst vor dem Unwiderruflichen, Endgültigen, vor
dein Erstarren über. In der Weltangst aber sieht Spengler das schöpferischste
^^U^fühle, ans dein er die höchsten Formen und Gestaltungen aller Kul-



. *) Spenglers „Untergang des Abendlandes und die Kultur der Erfüllung aus
deutschem Wesen" (Manuskript).
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[0089] Schöpferische Entwicklung sehr zum Staunen des braven Bürgers. Erst die Auflösung bringt die Ent- Rüstung über die ungenügende Sorge für den Soldaten zum lauten Ausbruch und schafft — von der Gegenrevolution geschürt — jene Atmosphäre der Kapp, diimmerung! So herrscht bei Reichswehr und Freikorps, Offizier und Soldat jene un¬ natürliche Spannung, die den Kapp-Pulses möglich werden läßet schöpferische Entwicklung Bruchstück einer Spsngler-Aritik*) Gencraloberarzt a. D. Vr. Froehlich von jie hat ein Buch mich so im Innersten erregt, mich angezogen und doch immer von neuem auf die Folter gespannt in der Bedrohung meiner tiefsten Überzeugungen, wie S p englers „Untergang des Abendlandes". Auf der einen Seite eine Fülle fesseln¬ den Inhalts, voll überraschender Aufschlüsse, auf der anderen eine grundsätzliche Leugnung aller ewigen Werte und Wahrheiten, die dem Buch einen. dem Tatsächlichen nicht recht begründeten pessimistischen Charakter aufprägt, ^lese zwiespältige Wirkuug wurde aber mehr und mehr zu dem, von Spengler ^wiß nicht beabsichtigten Eindruck: daß mir uoch niemals ein Buch in seiner Über- NUle ein so gewaltiges Bild einer, die ganze geistige kulturelle Geschichte der Menschheit einheitlich verbindenden Entwicklung im Zeichen eines zeitlosen Ge¬ ldes enthüllt hat. Das kann nur in ungelösten inneren Gegensätzen in Spengler selbst seinen 7"und haben, wie sie in der Tat zwischen seinem ausgesprochen intuitio-kunst- ^rischem Sinne und seinem mathematisch-logisch gerichteten Denken bestehen. <lus diesem letzteren gerade fließen gewisse Urhemmungen, die, in Anschauung und Urteil schwer zu überwinden, in ihrer starren Unbiegsamkeit leicht in lies- s^isige Abwege führen. So ist es Spengler bei dem wichtigsten Problem des Gebens, dem Problem des Werdens ergangen. Dabei aber ist ihm die tiefste und eglückendste Bedeutung des Werdens, das es bei ihm nie zu einem wahren, d. i. unendlichen Ziele, sondern immer nur Lur toten Starrheit des Gewordenen bringt, ^Uig entgangen. Die kaum aufsteigende „Seligkeit des Werdens" geht ünmittcl- ^ in 'das „Urgefühl" der Weltangst vor dem Unwiderruflichen, Endgültigen, vor dein Erstarren über. In der Weltangst aber sieht Spengler das schöpferischste ^^U^fühle, ans dein er die höchsten Formen und Gestaltungen aller Kul- . *) Spenglers „Untergang des Abendlandes und die Kultur der Erfüllung aus deutschem Wesen" (Manuskript). Grenzboten IV 1921 6

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341913_339548/89>, abgerufen am 29.04.2024.