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Grimm, Jacob: Über den altdeutschen Meistergesang. Göttingen, 1811.

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nete sich der Künstlichkeit ein weiterer Platz, doch immer in
äußerlich sehr engen Kreisen. Durchaus nothwendig mußte
fast alle Künstlichkeit in der Scaldenpoesie augenblicklich in
leere Gesuchtheit übergehen, während in unsern Minneliedern
die Kunst so frei und fließend bleibt, daß sie ganz übersehen
werden kann.

5) In der Terminologie der Scaldenkunst verglichen mit
unserm Meistergesang findet sich beinahe gar keine Berührung.
So wie wir den Namen Scalde, oder einen gleichlautenden
nicht kennen 189), weiß man dort nichts von unsern Meistern.
Von den drei Rimmärker heißt der erste Hofudstafur, die zwei
andern Studlar (Stützen). Das erinnert freilich an unsere
Stollen, aber auch an das lateinische Wort pes, denn im
Gang 190) aller Terminologie ist eine gewisse Verwandtschaft
nicht zu verkennen Allein eine unmittelbare zwischen unserm
Stoll und dem scandinavischen Studull ist schon um deswillen

189) D. h. als characteristisch in unserm altdeutschen Gesang. Uebri-
gens verdient es bemerkt zu werden, daß Frauenlob in einem
Preisgedicht (Docens Mise. 2. 283.) ganz eigentlich das Zeit-
wort schallen activ für: lobsingen braucht. Bloß etymolo-
gisch ist die Uebereinstimmung der häufigen Redensart: "die
Vöglein erhuben Schall und Bracht" mit dem nordischen
skald und bragd. Ich sehe, daß auch Rumelant CCLXXXV.)
in der wichtigen, noch von niemand bemerkten Stelle, woraus
sich zu ergeben scheint, daß Marner in seinem Alter, und er-
blindet, gemordet worden -- das Zeitwort scallen eben so
wie Frauenlob gebraucht. Bei Wizlau (CCCCL.) kommt es
zwar activ vor, aber mehr im Sinn des Rufens als Singens.
Aus einem anderen Ort bei Gervelyn (CXCIV) "Neider, ohne
Kunst, schallen vor den Herrn" ist wenigstens zu nehmen, daß
die jenen entgegengesetzten Meister den Ausdruck nicht characte-
ristisch für ihre Kunst gemacht hatten, wie so viel anderes.
190) Wenn wir die Stafur, Studlar, Bialkar u. a. zusammenneh-
men, so tritt in der scandinavischen eine bedeutende Consa-
quenz hervor.

nete ſich der Kuͤnſtlichkeit ein weiterer Platz, doch immer in
aͤußerlich ſehr engen Kreiſen. Durchaus nothwendig mußte
faſt alle Kuͤnſtlichkeit in der Scaldenpoeſie augenblicklich in
leere Geſuchtheit uͤbergehen, waͤhrend in unſern Minneliedern
die Kunſt ſo frei und fließend bleibt, daß ſie ganz uͤberſehen
werden kann.

5) In der Terminologie der Scaldenkunſt verglichen mit
unſerm Meiſtergeſang findet ſich beinahe gar keine Beruͤhrung.
So wie wir den Namen Scalde, oder einen gleichlautenden
nicht kennen 189), weiß man dort nichts von unſern Meiſtern.
Von den drei Rimmaͤrker heißt der erſte Hofudſtafur, die zwei
andern Studlar (Stuͤtzen). Das erinnert freilich an unſere
Stollen, aber auch an das lateiniſche Wort pes, denn im
Gang 190) aller Terminologie iſt eine gewiſſe Verwandtſchaft
nicht zu verkennen Allein eine unmittelbare zwiſchen unſerm
Stoll und dem ſcandinaviſchen Studull iſt ſchon um deswillen

189) D. h. als characteriſtiſch in unſerm altdeutſchen Geſang. Uebri-
gens verdient es bemerkt zu werden, daß Frauenlob in einem
Preisgedicht (Docens Miſe. 2. 283.) ganz eigentlich das Zeit-
wort ſchallen activ fuͤr: lobſingen braucht. Bloß etymolo-
giſch iſt die Uebereinſtimmung der haͤufigen Redensart: „die
Voͤglein erhuben Schall und Bracht“ mit dem nordiſchen
skald und bragd. Ich ſehe, daß auch Rumelant CCLXXXV.)
in der wichtigen, noch von niemand bemerkten Stelle, woraus
ſich zu ergeben ſcheint, daß Marner in ſeinem Alter, und er-
blindet, gemordet worden — das Zeitwort ſcallen eben ſo
wie Frauenlob gebraucht. Bei Wizlau (CCCCL.) kommt es
zwar activ vor, aber mehr im Sinn des Rufens als Singens.
Aus einem anderen Ort bei Gervelyn (CXCIV) „Neider, ohne
Kunſt, ſchallen vor den Herrn“ iſt wenigſtens zu nehmen, daß
die jenen entgegengeſetzten Meiſter den Ausdruck nicht characte-
riſtiſch fuͤr ihre Kunſt gemacht hatten, wie ſo viel anderes.
190) Wenn wir die Stafur, Studlar, Bialkar u. a. zuſammenneh-
men, ſo tritt in der ſcandinaviſchen eine bedeutende Conſa-
quenz hervor.
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[164/0174] nete ſich der Kuͤnſtlichkeit ein weiterer Platz, doch immer in aͤußerlich ſehr engen Kreiſen. Durchaus nothwendig mußte faſt alle Kuͤnſtlichkeit in der Scaldenpoeſie augenblicklich in leere Geſuchtheit uͤbergehen, waͤhrend in unſern Minneliedern die Kunſt ſo frei und fließend bleibt, daß ſie ganz uͤberſehen werden kann. 5) In der Terminologie der Scaldenkunſt verglichen mit unſerm Meiſtergeſang findet ſich beinahe gar keine Beruͤhrung. So wie wir den Namen Scalde, oder einen gleichlautenden nicht kennen 189), weiß man dort nichts von unſern Meiſtern. Von den drei Rimmaͤrker heißt der erſte Hofudſtafur, die zwei andern Studlar (Stuͤtzen). Das erinnert freilich an unſere Stollen, aber auch an das lateiniſche Wort pes, denn im Gang 190) aller Terminologie iſt eine gewiſſe Verwandtſchaft nicht zu verkennen Allein eine unmittelbare zwiſchen unſerm Stoll und dem ſcandinaviſchen Studull iſt ſchon um deswillen 189) D. h. als characteriſtiſch in unſerm altdeutſchen Geſang. Uebri- gens verdient es bemerkt zu werden, daß Frauenlob in einem Preisgedicht (Docens Miſe. 2. 283.) ganz eigentlich das Zeit- wort ſchallen activ fuͤr: lobſingen braucht. Bloß etymolo- giſch iſt die Uebereinſtimmung der haͤufigen Redensart: „die Voͤglein erhuben Schall und Bracht“ mit dem nordiſchen skald und bragd. Ich ſehe, daß auch Rumelant CCLXXXV.) in der wichtigen, noch von niemand bemerkten Stelle, woraus ſich zu ergeben ſcheint, daß Marner in ſeinem Alter, und er- blindet, gemordet worden — das Zeitwort ſcallen eben ſo wie Frauenlob gebraucht. Bei Wizlau (CCCCL.) kommt es zwar activ vor, aber mehr im Sinn des Rufens als Singens. Aus einem anderen Ort bei Gervelyn (CXCIV) „Neider, ohne Kunſt, ſchallen vor den Herrn“ iſt wenigſtens zu nehmen, daß die jenen entgegengeſetzten Meiſter den Ausdruck nicht characte- riſtiſch fuͤr ihre Kunſt gemacht hatten, wie ſo viel anderes. 190) Wenn wir die Stafur, Studlar, Bialkar u. a. zuſammenneh- men, ſo tritt in der ſcandinaviſchen eine bedeutende Conſa- quenz hervor.

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Zitationshilfe: Grimm, Jacob: Über den altdeutschen Meistergesang. Göttingen, 1811, S. 164. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_meistergesang_1811/174>, abgerufen am 27.04.2024.