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Günther, Karl Gottlob: Europäisches Völkerrecht in Friedenszeiten nach Vernunft, Verträgen und Herkommen, mit Anwendung auf die teutschen Reichsstände. Bd. 1. Altenburg, 1787.

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Von der ursprünglichen Gleichheit
demienigen nachgehn müsse, dem die Ungleichheit zum
Vorteil gereicht b]. Der Vasall soll also seinen lehns-
herrn, der Schutzverwandte seinem Schutzherrn und der
zinsende Staat, zumal wenn er durch Eroberung im
Kriege dazu ist gemacht worden, dem Zinsherrn wei-
chen c]. Es ist allerdings nicht zu läugnen, daß der
Vasall in Ansehung seines Lehns in gewissen Stücken
nicht ganz so freie Hände hat, als ein Regent, dessen
Staat nicht lehnbar, und daß die Annahme fremden
Schutzes und Zahlung des Zinses ein Geständnis von
Schwäche sind. Da aber alle diese Verbindungen, wie
oben gezeigt worden, der Unabhängigkeit nicht nachthei-
lig sind und im übrigen die Gleichheit der Rechte nicht
aufheben, so folgt die Einräumung des Vorranges daraus
keinesweges unmittelbar. Sie können nicht weiter er-
streckt werden, als die deshalb errichteten Verträge aus-
drücklich es erlauben.

a] Crusius, c. VI. §. 73. p. 70.
b] Is eo ipso alterius dignitatem eminentiorem fatetur
sagt Puffendorf L, VIII. c. 5. §. 15. seq. Man vergl.
Real T. V. c. 4. p. 976.
c] Stiev, S. 56. u. f.
§. 13.
I]. Unvollkommenheit der Souverainetät.

Der natürlichste und triftigste Grund des Vorzugs
wird wohl von der Unabhängigkeit eines Staats herge-
nommen und der Rang von Rechtswegen demienigen
Staate, welcher die völlige Souverainetät besitzt, vor
den sogenanten Halbsouverainen eingeräumt, die auser
Gott und dem Degen noch ein würkliches Oberhaupt ha-
ben. Doch ist auch diese Regel nicht ohne Ausnahme,
und die volkomne Unabhängigkeit giebt nicht allemal einen

untrüg-

Von der urſpruͤnglichen Gleichheit
demienigen nachgehn muͤſſe, dem die Ungleichheit zum
Vorteil gereicht b]. Der Vaſall ſoll alſo ſeinen lehns-
herrn, der Schutzverwandte ſeinem Schutzherrn und der
zinſende Staat, zumal wenn er durch Eroberung im
Kriege dazu iſt gemacht worden, dem Zinsherrn wei-
chen c]. Es iſt allerdings nicht zu laͤugnen, daß der
Vaſall in Anſehung ſeines Lehns in gewiſſen Stuͤcken
nicht ganz ſo freie Haͤnde hat, als ein Regent, deſſen
Staat nicht lehnbar, und daß die Annahme fremden
Schutzes und Zahlung des Zinſes ein Geſtaͤndnis von
Schwaͤche ſind. Da aber alle dieſe Verbindungen, wie
oben gezeigt worden, der Unabhaͤngigkeit nicht nachthei-
lig ſind und im uͤbrigen die Gleichheit der Rechte nicht
aufheben, ſo folgt die Einraͤumung des Vorranges daraus
keinesweges unmittelbar. Sie koͤnnen nicht weiter er-
ſtreckt werden, als die deshalb errichteten Vertraͤge aus-
druͤcklich es erlauben.

a] Cruſius, c. VI. §. 73. p. 70.
b] Is eo ipſo alterius dignitatem eminentiorem fatetur
ſagt Puffendorf L, VIII. c. 5. §. 15. ſeq. Man vergl.
Real T. V. c. 4. p. 976.
c] Stiev, S. 56. u. f.
§. 13.
I]. Unvollkommenheit der Souverainetaͤt.

Der natuͤrlichſte und triftigſte Grund des Vorzugs
wird wohl von der Unabhaͤngigkeit eines Staats herge-
nommen und der Rang von Rechtswegen demienigen
Staate, welcher die voͤllige Souverainetaͤt beſitzt, vor
den ſogenanten Halbſouverainen eingeraͤumt, die auſer
Gott und dem Degen noch ein wuͤrkliches Oberhaupt ha-
ben. Doch iſt auch dieſe Regel nicht ohne Ausnahme,
und die volkomne Unabhaͤngigkeit giebt nicht allemal einen

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[214[216]/0242] Von der urſpruͤnglichen Gleichheit demienigen nachgehn muͤſſe, dem die Ungleichheit zum Vorteil gereicht b]. Der Vaſall ſoll alſo ſeinen lehns- herrn, der Schutzverwandte ſeinem Schutzherrn und der zinſende Staat, zumal wenn er durch Eroberung im Kriege dazu iſt gemacht worden, dem Zinsherrn wei- chen c]. Es iſt allerdings nicht zu laͤugnen, daß der Vaſall in Anſehung ſeines Lehns in gewiſſen Stuͤcken nicht ganz ſo freie Haͤnde hat, als ein Regent, deſſen Staat nicht lehnbar, und daß die Annahme fremden Schutzes und Zahlung des Zinſes ein Geſtaͤndnis von Schwaͤche ſind. Da aber alle dieſe Verbindungen, wie oben gezeigt worden, der Unabhaͤngigkeit nicht nachthei- lig ſind und im uͤbrigen die Gleichheit der Rechte nicht aufheben, ſo folgt die Einraͤumung des Vorranges daraus keinesweges unmittelbar. Sie koͤnnen nicht weiter er- ſtreckt werden, als die deshalb errichteten Vertraͤge aus- druͤcklich es erlauben. a] Cruſius, c. VI. §. 73. p. 70. b] Is eo ipſo alterius dignitatem eminentiorem fatetur ſagt Puffendorf L, VIII. c. 5. §. 15. ſeq. Man vergl. Real T. V. c. 4. p. 976. c] Stiev, S. 56. u. f. §. 13. I]. Unvollkommenheit der Souverainetaͤt. Der natuͤrlichſte und triftigſte Grund des Vorzugs wird wohl von der Unabhaͤngigkeit eines Staats herge- nommen und der Rang von Rechtswegen demienigen Staate, welcher die voͤllige Souverainetaͤt beſitzt, vor den ſogenanten Halbſouverainen eingeraͤumt, die auſer Gott und dem Degen noch ein wuͤrkliches Oberhaupt ha- ben. Doch iſt auch dieſe Regel nicht ohne Ausnahme, und die volkomne Unabhaͤngigkeit giebt nicht allemal einen untruͤg-

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Zitationshilfe: Günther, Karl Gottlob: Europäisches Völkerrecht in Friedenszeiten nach Vernunft, Verträgen und Herkommen, mit Anwendung auf die teutschen Reichsstände. Bd. 1. Altenburg, 1787, S. 214[216]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/guenther_voelkerrecht01_1787/242>, abgerufen am 26.04.2024.