Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Gutzkow, Karl: Öffentliche Charaktere. Bd. 1. Hamburg, 1835.

Bild:
<< vorherige Seite

Talleyrand.
er stiftete den Klubb der Feuillans. Das war schlimm.
Talleyrand wurde überflügelt: die Ereignisse kamen ihm
zu schnell. Der Abfall Mirabeaus machte ihn wan¬
kend, das Postmeisterstück in Varennes und die Emi¬
gration verwirrten ihn, die Koalition des Auslands
zwang ihn, die Lage Frankreichs zu kombiniren. Er
hörte das Messer der Guillotine schleifen, der Bann¬
fluch des Papstes, der ihn persönlich traf, weckte To¬
desgedanken, seine Popularität ging an Männer über,
welche härtere Schwielen in der Hand hatten. Talley¬
rand haßte den Ungestüm, die Leidenschaft und die
Grausamkeit. Er drängt sich zum Gesandten auf, und
kann mit guter Manier Paris verlassen, welches ein
unsicherer Boden ist. So lange die Dinge gut stan¬
den in Frankreich, so lange nur erst Ludwig XVI.
geblutet hatte, spielte Talleyrand in London einen vor¬
trefflichen Republikaner. Er hatte den Auftrag, die
neue Ordnung der Dinge zu repräsentiren, und that es
mit gleichem Wohlgefallen vor Engländern und Emi¬
grirten. Seine unbezweifelte feudale Herkunft machte
seinen politischen Abandon erträglich, weniger seinen mo¬
ralischen. Die Königin wandte dem ausschweifenden
Priester den Rücken, ja seitdem der Konvent Luft
spürte nach seinem Kopfe, und ihn einmal über das

Talleyrand.
er ſtiftete den Klubb der Feuillans. Das war ſchlimm.
Talleyrand wurde uͤberfluͤgelt: die Ereigniſſe kamen ihm
zu ſchnell. Der Abfall Mirabeaus machte ihn wan¬
kend, das Poſtmeiſterſtuͤck in Varennes und die Emi¬
gration verwirrten ihn, die Koalition des Auslands
zwang ihn, die Lage Frankreichs zu kombiniren. Er
hoͤrte das Meſſer der Guillotine ſchleifen, der Bann¬
fluch des Papſtes, der ihn perſoͤnlich traf, weckte To¬
desgedanken, ſeine Popularitaͤt ging an Maͤnner uͤber,
welche haͤrtere Schwielen in der Hand hatten. Talley¬
rand haßte den Ungeſtuͤm, die Leidenſchaft und die
Grauſamkeit. Er draͤngt ſich zum Geſandten auf, und
kann mit guter Manier Paris verlaſſen, welches ein
unſicherer Boden iſt. So lange die Dinge gut ſtan¬
den in Frankreich, ſo lange nur erſt Ludwig XVI.
geblutet hatte, ſpielte Talleyrand in London einen vor¬
trefflichen Republikaner. Er hatte den Auftrag, die
neue Ordnung der Dinge zu repraͤſentiren, und that es
mit gleichem Wohlgefallen vor Englaͤndern und Emi¬
grirten. Seine unbezweifelte feudale Herkunft machte
ſeinen politiſchen Abandon ertraͤglich, weniger ſeinen mo¬
raliſchen. Die Koͤnigin wandte dem ausſchweifenden
Prieſter den Ruͤcken, ja ſeitdem der Konvent Luft
ſpuͤrte nach ſeinem Kopfe, und ihn einmal uͤber das

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0026" n="8"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Talleyrand</hi>.<lb/></fw>er &#x017F;tiftete den Klubb der Feuillans. Das war &#x017F;chlimm.<lb/>
Talleyrand wurde u&#x0364;berflu&#x0364;gelt: die Ereigni&#x017F;&#x017F;e kamen ihm<lb/>
zu &#x017F;chnell. Der Abfall Mirabeaus machte ihn wan¬<lb/>
kend, das Po&#x017F;tmei&#x017F;ter&#x017F;tu&#x0364;ck in Varennes und die Emi¬<lb/>
gration verwirrten ihn, die Koalition des Auslands<lb/>
zwang ihn, die Lage Frankreichs <choice><sic>zn</sic><corr>zu</corr></choice> kombiniren. Er<lb/>
ho&#x0364;rte das Me&#x017F;&#x017F;er der Guillotine &#x017F;chleifen, der Bann¬<lb/>
fluch des Pap&#x017F;tes, der ihn per&#x017F;o&#x0364;nlich traf, weckte To¬<lb/>
desgedanken, &#x017F;eine Popularita&#x0364;t ging an Ma&#x0364;nner u&#x0364;ber,<lb/>
welche ha&#x0364;rtere Schwielen in der Hand hatten. Talley¬<lb/>
rand haßte den Unge&#x017F;tu&#x0364;m, die Leiden&#x017F;chaft und die<lb/>
Grau&#x017F;amkeit. Er dra&#x0364;ngt &#x017F;ich zum Ge&#x017F;andten auf, und<lb/>
kann mit guter Manier Paris verla&#x017F;&#x017F;en, welches ein<lb/>
un&#x017F;icherer Boden i&#x017F;t. So lange die Dinge gut &#x017F;tan¬<lb/>
den in Frankreich, &#x017F;o lange nur er&#x017F;t Ludwig <hi rendition="#aq">XVI.</hi><lb/>
geblutet hatte, &#x017F;pielte Talleyrand in London einen vor¬<lb/>
trefflichen Republikaner. Er hatte den Auftrag, die<lb/>
neue Ordnung der Dinge zu repra&#x0364;&#x017F;entiren, und that es<lb/>
mit gleichem Wohlgefallen vor Engla&#x0364;ndern und Emi¬<lb/>
grirten. Seine unbezweifelte feudale Herkunft machte<lb/>
&#x017F;einen politi&#x017F;chen Abandon ertra&#x0364;glich, weniger &#x017F;einen mo¬<lb/>
rali&#x017F;chen. Die Ko&#x0364;nigin wandte dem aus&#x017F;chweifenden<lb/>
Prie&#x017F;ter den Ru&#x0364;cken, ja &#x017F;eitdem der Konvent Luft<lb/>
&#x017F;pu&#x0364;rte nach &#x017F;einem Kopfe, und ihn einmal u&#x0364;ber das<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[8/0026] Talleyrand. er ſtiftete den Klubb der Feuillans. Das war ſchlimm. Talleyrand wurde uͤberfluͤgelt: die Ereigniſſe kamen ihm zu ſchnell. Der Abfall Mirabeaus machte ihn wan¬ kend, das Poſtmeiſterſtuͤck in Varennes und die Emi¬ gration verwirrten ihn, die Koalition des Auslands zwang ihn, die Lage Frankreichs zu kombiniren. Er hoͤrte das Meſſer der Guillotine ſchleifen, der Bann¬ fluch des Papſtes, der ihn perſoͤnlich traf, weckte To¬ desgedanken, ſeine Popularitaͤt ging an Maͤnner uͤber, welche haͤrtere Schwielen in der Hand hatten. Talley¬ rand haßte den Ungeſtuͤm, die Leidenſchaft und die Grauſamkeit. Er draͤngt ſich zum Geſandten auf, und kann mit guter Manier Paris verlaſſen, welches ein unſicherer Boden iſt. So lange die Dinge gut ſtan¬ den in Frankreich, ſo lange nur erſt Ludwig XVI. geblutet hatte, ſpielte Talleyrand in London einen vor¬ trefflichen Republikaner. Er hatte den Auftrag, die neue Ordnung der Dinge zu repraͤſentiren, und that es mit gleichem Wohlgefallen vor Englaͤndern und Emi¬ grirten. Seine unbezweifelte feudale Herkunft machte ſeinen politiſchen Abandon ertraͤglich, weniger ſeinen mo¬ raliſchen. Die Koͤnigin wandte dem ausſchweifenden Prieſter den Ruͤcken, ja ſeitdem der Konvent Luft ſpuͤrte nach ſeinem Kopfe, und ihn einmal uͤber das

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Ab Oktober 1834 ließ Karl Gutzkow seine als Serie… [mehr]

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_charaktere_1835
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_charaktere_1835/26
Zitationshilfe: Gutzkow, Karl: Öffentliche Charaktere. Bd. 1. Hamburg, 1835, S. 8. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_charaktere_1835/26>, abgerufen am 26.04.2024.