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Happel, Eberhard Werner: Der Academische Roman. Ulm, 1690.

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Romans II. Buch.
wären aber behende auf ihn loß gangen/ und hätten
ihn vollends erwürget/ wann er nicht zu rechter Zeit
darzu kommen wäre.

Venereus bestriche ihm den Halß mit der blossen
Hand/ und brachte ihm denselben ein wenig wieder
zurecht/ daß er mit ihm fortgehen kunte. Also giengen
sie vorerst zu einem Baum/ an welchem deß Edel-
manns Rohr stund/ dieses nahm er zu sich/ und folge-
te dem Venereo nach der Stadt Bregentz/ welche am
Boden-See liget/ hieselbst wolte der Jtaliäner in ei-
ne Herberge kehren/ aber der Edelmann wolte solches
durchauß nicht gestatten/ sondern führete ihn mit sich
zu seiner Mutter/ und beyden Brüdern/ so alle feine
Leute waren/ die ihm alle Höflichkeiten erzeigeten.

Es erschiene aber denselben Abend eine sehr schöne
junge Frau eines Kauffmanns/ die dieser Brüder ihre
leibliche Schwester war/ bey der Mahlzeit/ und weil
ihr Mann damahl eben nicht gar wol auf/ war er zu
Hauß geblieben. Diese Frau/ Constantina genannt/
sahe den Venereum alsobald mit verliebten Augen
an/ welches dieser/ als der hierauf Wunder-wol ab-
gerichtet/ so gleich merckete/ dahero verfügete er sich/
nach gehaltener Mahlzeit/ zu ihr/ als wann er sich in
einen Discurs mit ihr einlassen wolte. Gleichwie sie
aber eine hitzige Dame, die bey ihrem kalten und alten
Kauffmann wenig Freude hatte. Also ward sie mit
Venereo deß Handels halben bald richtig. Sie be-
schiede ihn auf die nächst-folgende Nacht vor ihr
Hauß/ welches ihm ihre Brüder am Tag schon zei-
gen würden/ daselbst solte er/ nach genommener Ab-
rede/ einen seidenen Faden durchs Fenster herab han-
gend finden. Hieran solte er ziehen/ und weil sie ihn
an der grossen Zähen ihres Fusses im Bette vest ge-
macht/ wolle sie ihm dardurch ein Zeichen geben/ ob er

zu

Romans II. Buch.
waͤren aber behende auf ihn loß gangen/ und haͤtten
ihn vollends erwuͤrget/ wann er nicht zu rechter Zeit
darzu kommen waͤre.

Venereus beſtriche ihm den Halß mit der bloſſen
Hand/ und brachte ihm denſelben ein wenig wieder
zurecht/ daß er mit ihm fortgehen kunte. Alſo giengen
ſie vorerſt zu einem Baum/ an welchem deß Edel-
manns Rohr ſtund/ dieſes nahm er zu ſich/ und folge-
te dem Venereo nach der Stadt Bregentz/ welche am
Boden-See liget/ hieſelbſt wolte der Jtaliaͤner in ei-
ne Herberge kehren/ aber der Edelmann wolte ſolches
durchauß nicht geſtatten/ ſondern fuͤhrete ihn mit ſich
zu ſeiner Mutter/ und beyden Bruͤdern/ ſo alle feine
Leute waren/ die ihm alle Hoͤflichkeiten erzeigeten.

Es erſchiene aber denſelben Abend eine ſehr ſchoͤne
junge Frau eines Kauffmanns/ die dieſer Bruͤder ihre
leibliche Schweſter war/ bey der Mahlzeit/ und weil
ihr Mann damahl eben nicht gar wol auf/ war er zu
Hauß geblieben. Dieſe Frau/ Conſtantina genannt/
ſahe den Venereum alſobald mit verliebten Augen
an/ welches dieſer/ als der hierauf Wunder-wol ab-
gerichtet/ ſo gleich merckete/ dahero verfuͤgete er ſich/
nach gehaltener Mahlzeit/ zu ihr/ als wann er ſich in
einen Diſcurs mit ihr einlaſſen wolte. Gleichwie ſie
aber eine hitzige Dame, die bey ihrem kalten und alten
Kauffmann wenig Freude hatte. Alſo ward ſie mit
Venereo deß Handels halben bald richtig. Sie be-
ſchiede ihn auf die naͤchſt-folgende Nacht vor ihr
Hauß/ welches ihm ihre Bruͤder am Tag ſchon zei-
gen wuͤrden/ daſelbſt ſolte er/ nach genommener Ab-
rede/ einen ſeidenen Faden durchs Fenſter herab han-
gend finden. Hieran ſolte er ziehen/ und weil ſie ihn
an der groſſen Zaͤhen ihres Fuſſes im Bette veſt ge-
macht/ wolle ſie ihm dardurch ein Zeichen geben/ ob er

zu
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[639/0657] Romans II. Buch. waͤren aber behende auf ihn loß gangen/ und haͤtten ihn vollends erwuͤrget/ wann er nicht zu rechter Zeit darzu kommen waͤre. Venereus beſtriche ihm den Halß mit der bloſſen Hand/ und brachte ihm denſelben ein wenig wieder zurecht/ daß er mit ihm fortgehen kunte. Alſo giengen ſie vorerſt zu einem Baum/ an welchem deß Edel- manns Rohr ſtund/ dieſes nahm er zu ſich/ und folge- te dem Venereo nach der Stadt Bregentz/ welche am Boden-See liget/ hieſelbſt wolte der Jtaliaͤner in ei- ne Herberge kehren/ aber der Edelmann wolte ſolches durchauß nicht geſtatten/ ſondern fuͤhrete ihn mit ſich zu ſeiner Mutter/ und beyden Bruͤdern/ ſo alle feine Leute waren/ die ihm alle Hoͤflichkeiten erzeigeten. Es erſchiene aber denſelben Abend eine ſehr ſchoͤne junge Frau eines Kauffmanns/ die dieſer Bruͤder ihre leibliche Schweſter war/ bey der Mahlzeit/ und weil ihr Mann damahl eben nicht gar wol auf/ war er zu Hauß geblieben. Dieſe Frau/ Conſtantina genannt/ ſahe den Venereum alſobald mit verliebten Augen an/ welches dieſer/ als der hierauf Wunder-wol ab- gerichtet/ ſo gleich merckete/ dahero verfuͤgete er ſich/ nach gehaltener Mahlzeit/ zu ihr/ als wann er ſich in einen Diſcurs mit ihr einlaſſen wolte. Gleichwie ſie aber eine hitzige Dame, die bey ihrem kalten und alten Kauffmann wenig Freude hatte. Alſo ward ſie mit Venereo deß Handels halben bald richtig. Sie be- ſchiede ihn auf die naͤchſt-folgende Nacht vor ihr Hauß/ welches ihm ihre Bruͤder am Tag ſchon zei- gen wuͤrden/ daſelbſt ſolte er/ nach genommener Ab- rede/ einen ſeidenen Faden durchs Fenſter herab han- gend finden. Hieran ſolte er ziehen/ und weil ſie ihn an der groſſen Zaͤhen ihres Fuſſes im Bette veſt ge- macht/ wolle ſie ihm dardurch ein Zeichen geben/ ob er zu

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Zitationshilfe: Happel, Eberhard Werner: Der Academische Roman. Ulm, 1690, S. 639. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/happel_roman_1690/657>, abgerufen am 26.04.2024.