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Heffter, August Wilhelm: Das Europäische Völkerrecht der Gegenwart. Berlin, 1844.

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Drittes Buch. §. 216.
ohne Rechtsverletzung gegen die übrigen wieder abgehen dürfe. 1
Gesetzt es wäre zu bejahen, so würde sich die bürgerliche Gerichts-
barkeit wider einen fremden Gesandten immerhin doch in denjeni-
gen Grenzen halten müssen, innerhalb deren sie gegen einen nicht
anwesenden Ausländer ausgeübt werden darf; niemals aber zu kör-
perlichen Zwangsmaaßregeln gegen die Person des Gesandten und
auf die mit ihm befriedeten Sachen erstreckt werden können.

Was von der bürgerlichen Gerichtsbarkeit gilt, leidet im We-
sentlichen auch auf die polizeiliche Gerichtsbarkeit Anwendung. Zwar
kann sich ein Gesandter der Beobachtung der polizeilichen Anord-
nungen in Betreff der öffentlichen Sicherheit und Ordnung in und
außer seinem Hotel nicht entheben; jedoch kann er im Falle der
Contravention nicht zur Verantwortung gezogen werden, vielmehr
leidet hier nur der Weg Anwendung, welcher im vorhergehenden
Paragraphen in Ansehung leichter Vergehungen als der geeignete
bezeichnet worden ist.

e. Selbstgerichtsbarkeit der Gesandten.

216. Aus der isolirten Stellung der Gesandten im Auslande,
aus der Fiction der Exterritorialität in Betreff ihrer und ihrer An-
gehörigen, endlich aus der Vorstellung, daß die Gesandten, wenig-
stens die der ersten Classe, die persönlichen Vertreter des Souve-
räns seien, konnte leicht die Ansicht entstehen, daß denselben eine eigne
Gerichtsbarkeit innerhalb des exterritorialen Bereichs ihrer Mission
gebühre; 2 und es fehlt auch nicht an geschichtlichen Beispielen, daß
sogar die Ausübung der höchsten Strafgerichtsbarkeit, nämlich ei-
nes Blutgerichts, in einzelnen Fällen versucht oder behauptet wor-
den ist, 3 wie man sie in der älteren Zeit jedem Souverän als
über die Seinigen nach eigenem Ermessen zuständig vindiciren wollte;
um wieviel mehr also die bürgerliche Gerichtsbarkeit. Diese Ansicht
hat sich indessen nie zu einer wirklichen Praxis erhoben. Auf alle
Fälle würde es dazu einer ausdrücklichen Delegation der Gerichts-

1 S. auch Pinheiro Ferreira zu Vattel IV, §. 92 u. ff.
2 Verschiedene Ansichten hierüber und Versuche einer Jurisdictionsattribution
s. bei Bynkershoeck a. a. O. c. 15 u. 21. Merlin sect. V, §. 6. n. 2.
und IV, n. 4 s.
3 Memoires de Sully VI, 1. und darnach B. de Martens Causes celebr.
II,
370.

Drittes Buch. §. 216.
ohne Rechtsverletzung gegen die übrigen wieder abgehen dürfe. 1
Geſetzt es wäre zu bejahen, ſo würde ſich die bürgerliche Gerichts-
barkeit wider einen fremden Geſandten immerhin doch in denjeni-
gen Grenzen halten müſſen, innerhalb deren ſie gegen einen nicht
anweſenden Ausländer ausgeübt werden darf; niemals aber zu kör-
perlichen Zwangsmaaßregeln gegen die Perſon des Geſandten und
auf die mit ihm befriedeten Sachen erſtreckt werden können.

Was von der bürgerlichen Gerichtsbarkeit gilt, leidet im We-
ſentlichen auch auf die polizeiliche Gerichtsbarkeit Anwendung. Zwar
kann ſich ein Geſandter der Beobachtung der polizeilichen Anord-
nungen in Betreff der öffentlichen Sicherheit und Ordnung in und
außer ſeinem Hotel nicht entheben; jedoch kann er im Falle der
Contravention nicht zur Verantwortung gezogen werden, vielmehr
leidet hier nur der Weg Anwendung, welcher im vorhergehenden
Paragraphen in Anſehung leichter Vergehungen als der geeignete
bezeichnet worden iſt.

e. Selbſtgerichtsbarkeit der Geſandten.

216. Aus der iſolirten Stellung der Geſandten im Auslande,
aus der Fiction der Exterritorialität in Betreff ihrer und ihrer An-
gehörigen, endlich aus der Vorſtellung, daß die Geſandten, wenig-
ſtens die der erſten Claſſe, die perſönlichen Vertreter des Souve-
räns ſeien, konnte leicht die Anſicht entſtehen, daß denſelben eine eigne
Gerichtsbarkeit innerhalb des exterritorialen Bereichs ihrer Miſſion
gebühre; 2 und es fehlt auch nicht an geſchichtlichen Beiſpielen, daß
ſogar die Ausübung der höchſten Strafgerichtsbarkeit, nämlich ei-
nes Blutgerichts, in einzelnen Fällen verſucht oder behauptet wor-
den iſt, 3 wie man ſie in der älteren Zeit jedem Souverän als
über die Seinigen nach eigenem Ermeſſen zuſtändig vindiciren wollte;
um wieviel mehr alſo die bürgerliche Gerichtsbarkeit. Dieſe Anſicht
hat ſich indeſſen nie zu einer wirklichen Praxis erhoben. Auf alle
Fälle würde es dazu einer ausdrücklichen Delegation der Gerichts-

1 S. auch Pinheiro Ferreira zu Vattel IV, §. 92 u. ff.
2 Verſchiedene Anſichten hierüber und Verſuche einer Jurisdictionsattribution
ſ. bei Bynkershoeck a. a. O. c. 15 u. 21. Merlin sect. V, §. 6. n. 2.
und IV, n. 4 s.
3 Memoires de Sully VI, 1. und darnach B. de Martens Causes célèbr.
II,
370.
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[354/0378] Drittes Buch. §. 216. ohne Rechtsverletzung gegen die übrigen wieder abgehen dürfe. 1 Geſetzt es wäre zu bejahen, ſo würde ſich die bürgerliche Gerichts- barkeit wider einen fremden Geſandten immerhin doch in denjeni- gen Grenzen halten müſſen, innerhalb deren ſie gegen einen nicht anweſenden Ausländer ausgeübt werden darf; niemals aber zu kör- perlichen Zwangsmaaßregeln gegen die Perſon des Geſandten und auf die mit ihm befriedeten Sachen erſtreckt werden können. Was von der bürgerlichen Gerichtsbarkeit gilt, leidet im We- ſentlichen auch auf die polizeiliche Gerichtsbarkeit Anwendung. Zwar kann ſich ein Geſandter der Beobachtung der polizeilichen Anord- nungen in Betreff der öffentlichen Sicherheit und Ordnung in und außer ſeinem Hotel nicht entheben; jedoch kann er im Falle der Contravention nicht zur Verantwortung gezogen werden, vielmehr leidet hier nur der Weg Anwendung, welcher im vorhergehenden Paragraphen in Anſehung leichter Vergehungen als der geeignete bezeichnet worden iſt. e. Selbſtgerichtsbarkeit der Geſandten. 216. Aus der iſolirten Stellung der Geſandten im Auslande, aus der Fiction der Exterritorialität in Betreff ihrer und ihrer An- gehörigen, endlich aus der Vorſtellung, daß die Geſandten, wenig- ſtens die der erſten Claſſe, die perſönlichen Vertreter des Souve- räns ſeien, konnte leicht die Anſicht entſtehen, daß denſelben eine eigne Gerichtsbarkeit innerhalb des exterritorialen Bereichs ihrer Miſſion gebühre; 2 und es fehlt auch nicht an geſchichtlichen Beiſpielen, daß ſogar die Ausübung der höchſten Strafgerichtsbarkeit, nämlich ei- nes Blutgerichts, in einzelnen Fällen verſucht oder behauptet wor- den iſt, 3 wie man ſie in der älteren Zeit jedem Souverän als über die Seinigen nach eigenem Ermeſſen zuſtändig vindiciren wollte; um wieviel mehr alſo die bürgerliche Gerichtsbarkeit. Dieſe Anſicht hat ſich indeſſen nie zu einer wirklichen Praxis erhoben. Auf alle Fälle würde es dazu einer ausdrücklichen Delegation der Gerichts- 1 S. auch Pinheiro Ferreira zu Vattel IV, §. 92 u. ff. 2 Verſchiedene Anſichten hierüber und Verſuche einer Jurisdictionsattribution ſ. bei Bynkershoeck a. a. O. c. 15 u. 21. Merlin sect. V, §. 6. n. 2. und IV, n. 4 s. 3 Memoires de Sully VI, 1. und darnach B. de Martens Causes célèbr. II, 370.

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Zitationshilfe: Heffter, August Wilhelm: Das Europäische Völkerrecht der Gegenwart. Berlin, 1844, S. 354. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heffter_voelkerrecht_1844/378>, abgerufen am 26.04.2024.