Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Herbart, Johann Friedrich: Lehrbuch zur Psychologie. 2. Aufl. Königsberg, 1834.

Bild:
<< vorherige Seite

die Vielförmigkeit der Berufsgeschäffte, worin die Männer
sich stellen.

132. Eine andre ursprüngliche Eigenheit hat jeder
Mensch in Ansehung des sogenannten Temperaments, einer
physiologisch zu erklärenden Prädisposition in Ansehung der
Gefühle und Affecten. Auf die Gefühle beziehen sich unter
den bekannten vier Temperamenten das fröhliche und das
trübsinnige (das sanguinische und melancholische); auf die
Erregbarkeit der Affecten das reizbare und das schwer be-
wegliche (cholerische und phlegmatische). Die Möglichkeit
der Temperamente ist im Allgemeinen leicht einzusehen.
Denn das Gemeingefühl, welches der Organismus mit sich
bringt und welches den Menschen durch sein ganzes Leben
begleitet, kann nicht leicht genau in der Mitte stehn zwi-
schen dem Angenehmen und Unangenehmen; je nachdem es
aber nach dieser oder jener Seite sich hinüberneigt, ist der
Mensch sanguinisch oder melancholisch. Beydes zugleich kann
er nicht seyn, sondern er hat auf der Linie, die nach bey-
den Richtungen läuft, irgendwo seine Stelle; jedoch ist ein
schwankendes Temperament nicht bloß denkbar, sondern
auch in der Erfahrung zuweilen anzutreffen, vermöge dessen
der Mensch abwechselnd zur Fröhlichkeit und zum Trüb-
sinn, ohne besondre Ursache, aufgelegt ist. -- Ferner, da
die Affecten den Organismus ins Spiel ziehn, und in ihm
gleichsam den Resonanzboden finden, durch den sie selbst
verstärkt und anhaltender gemacht werden, so muß es einen
Grad der Nachgiebigkeit des Organismus geben, vermöge
dessen dee Mensch entweder mehr cholerisch, oder mehr
phlegmatisch ist; wiederum so, daß er nicht beydes zugleich
seyn, wohl aber zwischen beyden schwanken könne.

Hieraus ergeben sich nun auch die möglichen Mischun-
gen der Temperamente, nach den Combinationen jener bey-
den Reihen. Das sanguinische Temperament ist entweder

die Vielförmigkeit der Berufsgeschäffte, worin die Männer
sich stellen.

132. Eine andre ursprüngliche Eigenheit hat jeder
Mensch in Ansehung des sogenannten Temperaments, einer
physiologisch zu erklärenden Prädisposition in Ansehung der
Gefühle und Affecten. Auf die Gefühle beziehen sich unter
den bekannten vier Temperamenten das fröhliche und das
trübsinnige (das sanguinische und melancholische); auf die
Erregbarkeit der Affecten das reizbare und das schwer be-
wegliche (cholerische und phlegmatische). Die Möglichkeit
der Temperamente ist im Allgemeinen leicht einzusehen.
Denn das Gemeingefühl, welches der Organismus mit sich
bringt und welches den Menschen durch sein ganzes Leben
begleitet, kann nicht leicht genau in der Mitte stehn zwi-
schen dem Angenehmen und Unangenehmen; je nachdem es
aber nach dieser oder jener Seite sich hinüberneigt, ist der
Mensch sanguinisch oder melancholisch. Beydes zugleich kann
er nicht seyn, sondern er hat auf der Linie, die nach bey-
den Richtungen läuft, irgendwo seine Stelle; jedoch ist ein
schwankendes Temperament nicht bloß denkbar, sondern
auch in der Erfahrung zuweilen anzutreffen, vermöge dessen
der Mensch abwechselnd zur Fröhlichkeit und zum Trüb-
sinn, ohne besondre Ursache, aufgelegt ist. — Ferner, da
die Affecten den Organismus ins Spiel ziehn, und in ihm
gleichsam den Resonanzboden finden, durch den sie selbst
verstärkt und anhaltender gemacht werden, so muß es einen
Grad der Nachgiebigkeit des Organismus geben, vermöge
dessen dee Mensch entweder mehr cholerisch, oder mehr
phlegmatisch ist; wiederum so, daß er nicht beydes zugleich
seyn, wohl aber zwischen beyden schwanken könne.

Hieraus ergeben sich nun auch die möglichen Mischun-
gen der Temperamente, nach den Combinationen jener bey-
den Reihen. Das sanguinische Temperament ist entweder

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0111" n="103"/>
die Vielförmigkeit der Berufsgeschäffte, worin die Männer<lb/>
sich stellen.</p><lb/>
            <p>132. Eine andre ursprüngliche Eigenheit hat jeder<lb/>
Mensch in Ansehung des
               sogenannten Temperaments, einer<lb/>
physiologisch zu erklärenden Prädisposition in
               Ansehung der<lb/>
Gefühle und Affecten. Auf die Gefühle beziehen sich unter<lb/>
den
               bekannten vier Temperamenten das fröhliche und das<lb/>
trübsinnige (das sanguinische
               und melancholische); auf die<lb/>
Erregbarkeit der Affecten das reizbare und das
               schwer be-<lb/>
wegliche (cholerische und phlegmatische). Die Möglichkeit<lb/>
der
               Temperamente ist im Allgemeinen leicht einzusehen.<lb/>
Denn das Gemeingefühl,
               welches der Organismus mit sich<lb/>
bringt und welches den Menschen durch sein
               ganzes Leben<lb/>
begleitet, kann nicht leicht genau in der Mitte stehn zwi-<lb/>
schen dem Angenehmen und Unangenehmen; je nachdem es<lb/>
aber nach dieser oder jener
               Seite sich hinüberneigt, ist der<lb/>
Mensch sanguinisch oder melancholisch. Beydes
               zugleich kann<lb/>
er nicht seyn, sondern er hat auf der Linie, die nach bey-<lb/>
den Richtungen läuft, irgendwo seine Stelle; jedoch ist ein<lb/><hi rendition="#g">schwankendes</hi> Temperament nicht bloß denkbar, sondern<lb/>
auch in der Erfahrung zuweilen anzutreffen, vermöge dessen<lb/>
der Mensch
               abwechselnd zur Fröhlichkeit und zum Trüb-<lb/>
sinn, ohne besondre Ursache, aufgelegt
               ist. &#x2014; Ferner, da<lb/>
die Affecten den Organismus ins Spiel ziehn, und in ihm<lb/>
gleichsam den Resonanzboden finden, durch den sie selbst<lb/>
verstärkt und
               anhaltender gemacht werden, so muß es einen<lb/>
Grad der Nachgiebigkeit des
               Organismus geben, vermöge<lb/>
dessen dee Mensch entweder mehr cholerisch, oder mehr<lb/>
phlegmatisch ist; wiederum so, daß er nicht beydes zugleich<lb/>
seyn, wohl
               aber zwischen beyden schwanken könne.</p><lb/>
            <p>Hieraus ergeben sich nun auch die möglichen Mischun-<lb/>
gen der Temperamente, nach
               den Combinationen jener bey-<lb/>
den Reihen. Das sanguinische Temperament ist
               entweder
</p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[103/0111] die Vielförmigkeit der Berufsgeschäffte, worin die Männer sich stellen. 132. Eine andre ursprüngliche Eigenheit hat jeder Mensch in Ansehung des sogenannten Temperaments, einer physiologisch zu erklärenden Prädisposition in Ansehung der Gefühle und Affecten. Auf die Gefühle beziehen sich unter den bekannten vier Temperamenten das fröhliche und das trübsinnige (das sanguinische und melancholische); auf die Erregbarkeit der Affecten das reizbare und das schwer be- wegliche (cholerische und phlegmatische). Die Möglichkeit der Temperamente ist im Allgemeinen leicht einzusehen. Denn das Gemeingefühl, welches der Organismus mit sich bringt und welches den Menschen durch sein ganzes Leben begleitet, kann nicht leicht genau in der Mitte stehn zwi- schen dem Angenehmen und Unangenehmen; je nachdem es aber nach dieser oder jener Seite sich hinüberneigt, ist der Mensch sanguinisch oder melancholisch. Beydes zugleich kann er nicht seyn, sondern er hat auf der Linie, die nach bey- den Richtungen läuft, irgendwo seine Stelle; jedoch ist ein schwankendes Temperament nicht bloß denkbar, sondern auch in der Erfahrung zuweilen anzutreffen, vermöge dessen der Mensch abwechselnd zur Fröhlichkeit und zum Trüb- sinn, ohne besondre Ursache, aufgelegt ist. — Ferner, da die Affecten den Organismus ins Spiel ziehn, und in ihm gleichsam den Resonanzboden finden, durch den sie selbst verstärkt und anhaltender gemacht werden, so muß es einen Grad der Nachgiebigkeit des Organismus geben, vermöge dessen dee Mensch entweder mehr cholerisch, oder mehr phlegmatisch ist; wiederum so, daß er nicht beydes zugleich seyn, wohl aber zwischen beyden schwanken könne. Hieraus ergeben sich nun auch die möglichen Mischun- gen der Temperamente, nach den Combinationen jener bey- den Reihen. Das sanguinische Temperament ist entweder

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Google Books: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2013-07-05T12:13:38Z)
Thomas Gloning: Bereitstellung der Texttranskription. (2013-07-05T12:13:38Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Hannah Sophia Glaum: Umwandlung in DTABf-konformes Markup. (2013-07-05T12:13:38Z)
Stefanie Seim: Nachkorrekturen. (2013-07-05T12:13:38Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Bogensignaturen: nicht übernommen
  • fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet
  • langes s (ſ): als s transkribiert
  • rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert
  • Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie_1834
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie_1834/111
Zitationshilfe: Herbart, Johann Friedrich: Lehrbuch zur Psychologie. 2. Aufl. Königsberg, 1834, S. 103. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie_1834/111>, abgerufen am 26.04.2024.