zu einem bedeutenden Grade wahrer
Einsicht und Selbstbe- herrschung gehoben werden. Der Jüngling bekommt einen
Zuwachs an Kräften, aber auch an Unruhe. Kann er nicht handeln, so dichtet
er. Der Mann, dem diese Kräfte nicht mehr neu, dem aber die Schwierigkeiten des
menschlichen Wirkens bekannt sind, gebraucht zweckmäßig, was er hat, wenn
Kindheit und Jugend nicht verdorben wurden. Er handelt mehr, darum dichtet er
weniger. -- Das spätere Alter behält soviel Männlichkeit, als der Körper
gestattet, mit großen individuellen Verschiedenheiten. Jm besten Falle tritt hier das Denken an die Stelle des Dichtens und des Handelns, wenn schon zu
spät. Jedes Alter büßt die Schulden und leidet an dem Unglück aller
vorhergegan- genen.
Zweites Capitel. Von den
natürlichen Anlagen.
131. Der Verlauf des Lebens wird zuerst näher be- stimmt durch die
Verschiedenheit der Geschlechter: Diese ist oftmals von früher Jugend an
kenntlich. Mädchen werden eher klug und sind eher geneigt, sich in den Gränzen
des Schicklichen zu halten. Dagegen ist ihre Erziehungs- Periode kürzer,
als bey den Knaben. Sie sammeln daher we- niger geistigen Vorrath, aber sie
verarbeiten ihn schneller, und mit geringerer Mannigfaltigkeit und Zertheilung.
Die Folge zeigt sich im ganzen Leben. Das weibliche Geschlecht hängt an
seinem Gefühle; der Mann richtet sich mehr nach Kenntnissen, Grundsätzen und
Verhältnissen. Dazu kommt
zu einem bedeutenden Grade wahrer
Einsicht und Selbstbe- herrschung gehoben werden. Der Jüngling bekommt einen
Zuwachs an Kräften, aber auch an Unruhe. Kann er nicht handeln, so dichtet
er. Der Mann, dem diese Kräfte nicht mehr neu, dem aber die Schwierigkeiten des
menschlichen Wirkens bekannt sind, gebraucht zweckmäßig, was er hat, wenn
Kindheit und Jugend nicht verdorben wurden. Er handelt mehr, darum dichtet er
weniger. — Das spätere Alter behält soviel Männlichkeit, als der Körper
gestattet, mit großen individuellen Verschiedenheiten. Jm besten Falle tritt hier das Denken an die Stelle des Dichtens und des Handelns, wenn schon zu
spät. Jedes Alter büßt die Schulden und leidet an dem Unglück aller
vorhergegan- genen.
Zweites Capitel. Von den
natürlichen Anlagen.
131. Der Verlauf des Lebens wird zuerst näher be- stimmt durch die
Verschiedenheit der Geschlechter: Diese ist oftmals von früher Jugend an
kenntlich. Mädchen werden eher klug und sind eher geneigt, sich in den Gränzen
des Schicklichen zu halten. Dagegen ist ihre Erziehungs- Periode kürzer,
als bey den Knaben. Sie sammeln daher we- niger geistigen Vorrath, aber sie
verarbeiten ihn schneller, und mit geringerer Mannigfaltigkeit und Zertheilung.
Die Folge zeigt sich im ganzen Leben. Das weibliche Geschlecht hängt an
seinem Gefühle; der Mann richtet sich mehr nach Kenntnissen, Grundsätzen und
Verhältnissen. Dazu kommt
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zu einem bedeutenden Grade wahrer Einsicht und Selbstbe-
herrschung gehoben werden. Der Jüngling bekommt einen
Zuwachs an Kräften, aber auch an Unruhe. Kann er nicht
handeln, so dichtet er. Der Mann, dem diese Kräfte nicht
mehr neu, dem aber die Schwierigkeiten des menschlichen
Wirkens bekannt sind, gebraucht zweckmäßig, was er hat,
wenn Kindheit und Jugend nicht verdorben wurden. Er
handelt mehr, darum dichtet er weniger. — Das spätere
Alter behält soviel Männlichkeit, als der Körper gestattet,
mit großen individuellen Verschiedenheiten. Jm besten Falle
tritt hier das Denken an die Stelle des Dichtens und des
Handelns, wenn schon zu spät. Jedes Alter büßt die
Schulden und leidet an dem Unglück aller vorhergegan-
genen.
Zweites Capitel.
Von den natürlichen Anlagen.
131. Der Verlauf des Lebens wird zuerst näher be-
stimmt durch die Verschiedenheit der Geschlechter: Diese ist
oftmals von früher Jugend an kenntlich. Mädchen werden
eher klug und sind eher geneigt, sich in den Gränzen des
Schicklichen zu halten. Dagegen ist ihre Erziehungs-
Periode kürzer, als bey den Knaben. Sie sammeln daher we-
niger geistigen Vorrath, aber sie verarbeiten ihn schneller,
und mit geringerer Mannigfaltigkeit und Zertheilung. Die
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Herbart, Johann Friedrich: Lehrbuch zur Psychologie. 2. Aufl. Königsberg, 1834, S. 102. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie_1834/110>, abgerufen am 13.02.2025.
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