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[Herder, Johann Gottfried von]: Auch eine Philosophie der Geschichte zur Bildung der Menschheit. [Riga], 1774.

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sie so viel, viel gewürkt! -- Allemal die
sonderbarste Begebenheit der Welt!

Da wars doch nun gewiß ein großes und
sehenswürdiges Schauspiel, wie unter Julian
die beyden berühmtesten Religionen,
die äl-
teste heidnische und die neuere christliche um
nichts weniger als Herrschaft der Welt strit-
ten. Religion -- das sahe Er und Jeder-
mann! -- Religion in aller Stärke des
Worts, war seinem verfallnen Jahrhunderte
unentbehrlich. Griechische Mythologie
und
römische Staatseeremonie -- das sahe Er
ebenfalls!
-- war dem Jahrhunderte zu sei-
nen Zwecken nicht zureichend. Er grif also
zu allem, wozu er konnte; zur kräftigsten und
ältesten Religion, die er kannte, zur Reli-
gion des Morgenlandes
-- regte in ihr alle
Wunderkräfte, Zaubereyen und Erscheinun-
gen
auf, daß sie ganz Theurgie ward, nahm
so viel er konnte, Philosophie, Pythagorism
und Platonifm zu Hülfe, um allem den fein-
sten Anstrich der Vernunft
zu geben -- setzte
alles auf den Triumphwagen des größten
Gepränges, von den zwey unbändigsten Thie-
ren, Gewalt und Schwärmerey gezogen,
von der feinsten Staatskunst gelenkt -- alles

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ſie ſo viel, viel gewuͤrkt! — Allemal die
ſonderbarſte Begebenheit der Welt!

Da wars doch nun gewiß ein großes und
ſehenswuͤrdiges Schauſpiel, wie unter Julian
die beyden beruͤhmteſten Religionen,
die aͤl-
teſte heidniſche und die neuere chriſtliche um
nichts weniger als Herrſchaft der Welt ſtrit-
ten. Religion — das ſahe Er und Jeder-
mann! — Religion in aller Staͤrke des
Worts, war ſeinem verfallnen Jahrhunderte
unentbehrlich. Griechiſche Mythologie
und
roͤmiſche Staatseeremonie — das ſahe Er
ebenfalls!
— war dem Jahrhunderte zu ſei-
nen Zwecken nicht zureichend. Er grif alſo
zu allem, wozu er konnte; zur kraͤftigſten und
aͤlteſten Religion, die er kannte, zur Reli-
gion des Morgenlandes
— regte in ihr alle
Wunderkraͤfte, Zaubereyen und Erſcheinun-
gen
auf, daß ſie ganz Theurgie ward, nahm
ſo viel er konnte, Philoſophie, Pythagoriſm
und Platonifm zu Huͤlfe, um allem den fein-
ſten Anſtrich der Vernunft
zu geben — ſetzte
alles auf den Triumphwagen des groͤßten
Gepraͤnges, von den zwey unbaͤndigſten Thie-
ren, Gewalt und Schwaͤrmerey gezogen,
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[71/0075] ſie ſo viel, viel gewuͤrkt! — Allemal die ſonderbarſte Begebenheit der Welt! Da wars doch nun gewiß ein großes und ſehenswuͤrdiges Schauſpiel, wie unter Julian die beyden beruͤhmteſten Religionen, die aͤl- teſte heidniſche und die neuere chriſtliche um nichts weniger als Herrſchaft der Welt ſtrit- ten. Religion — das ſahe Er und Jeder- mann! — Religion in aller Staͤrke des Worts, war ſeinem verfallnen Jahrhunderte unentbehrlich. Griechiſche Mythologie und roͤmiſche Staatseeremonie — das ſahe Er ebenfalls! — war dem Jahrhunderte zu ſei- nen Zwecken nicht zureichend. Er grif alſo zu allem, wozu er konnte; zur kraͤftigſten und aͤlteſten Religion, die er kannte, zur Reli- gion des Morgenlandes — regte in ihr alle Wunderkraͤfte, Zaubereyen und Erſcheinun- gen auf, daß ſie ganz Theurgie ward, nahm ſo viel er konnte, Philoſophie, Pythagoriſm und Platonifm zu Huͤlfe, um allem den fein- ſten Anſtrich der Vernunft zu geben — ſetzte alles auf den Triumphwagen des groͤßten Gepraͤnges, von den zwey unbaͤndigſten Thie- ren, Gewalt und Schwaͤrmerey gezogen, von der feinſten Staatskunſt gelenkt — alles um- E 4

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Zitationshilfe: [Herder, Johann Gottfried von]: Auch eine Philosophie der Geschichte zur Bildung der Menschheit. [Riga], 1774, S. 71. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_philosophie_1774/75>, abgerufen am 27.04.2024.