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Humboldt, Wilhelm von: Ideen zu einem Versuch, die Gränzen der Wirksamkeit des Staats zu bestimmen. Breslau, 1851.

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der Thätigkeit der Nation besser bearbeiten oder benutzen
lehren, endlich und vor Allem gewisse Religionsbegriffe, welche
den Regenten auch für das moralische und künftige Wohl der
Bürger gleichsam verantwortlich machen, haben vereint dazu
beigetragen, diese Veränderung hervorzubringen. Geht man
aber der Geschichte einzelner Polizei-Gesetze und Ein-
richtungen nach, so findet man oft ihren Ursprung in dem bald
wirklichen, bald angeblichen Bedürfniss des Staats, Abgaben
von den Unterthanen aufzubringen, und insofern kehrt die
Aehnlichkeit mit den älteren Staaten zurück, indem insofern
diese Einrichtungen gleichfalls auf die Erhaltung der Ver-
fassung abzwecken. Was aber diejenigen Einschränkungen
betrifft, welche nicht sowohl den Staat, als die Individuen, die
ihn ausmachen, zur Absicht haben; so ist und bleibt ein mäch-
tiger Unterschied zwischen den älteren und neueren Staaten.
Die Alten sorgten für die Kraft und Bildung des Menschen,
als Menschen; die Neueren für seinen Wohlstand, seine Habe
und seine Erwerbfähigkeit. Die Alten suchten Tugend, die
Neueren Glückseligkeit. Daher waren die Einschränkungen
der Freiheit in den älteren Staaten auf der einen Seite drücken-
der und gefährlicher. Denn sie griffen geradezu an, was des
Menschen eigenthümliches Wesen ausmacht, sein inneres
Dasein; und daher zeigen alle älteren Nationen eine Einseitig-
keit, welche (den Mangel an feinerer Kultur, und an allgemei-
nerer Kommunikation noch abgerechnet) grossentheils durch
die fast überall eingeführte gemeinschaftliche Erziehung, und
das absichtlich eingerichtete gemeinschaftliche Leben der
Bürger überhaupt hervorgebracht und genährt wurde. Auf
der andern Seite erhielten und erhöheten aber auch alle diese
Staatseinrichtungen bei den Alten die thätige Kraft des
Menschen. Selbst der Gesichtspunkt, den man nie aus den
Augen verlor, kraftvolle und genügsame Bürger zu bilden, gab
dem Geiste und dem Charakter einen höheren Schwung. Da-

der Thätigkeit der Nation besser bearbeiten oder benutzen
lehren, endlich und vor Allem gewisse Religionsbegriffe, welche
den Regenten auch für das moralische und künftige Wohl der
Bürger gleichsam verantwortlich machen, haben vereint dazu
beigetragen, diese Veränderung hervorzubringen. Geht man
aber der Geschichte einzelner Polizei-Gesetze und Ein-
richtungen nach, so findet man oft ihren Ursprung in dem bald
wirklichen, bald angeblichen Bedürfniss des Staats, Abgaben
von den Unterthanen aufzubringen, und insofern kehrt die
Aehnlichkeit mit den älteren Staaten zurück, indem insofern
diese Einrichtungen gleichfalls auf die Erhaltung der Ver-
fassung abzwecken. Was aber diejenigen Einschränkungen
betrifft, welche nicht sowohl den Staat, als die Individuen, die
ihn ausmachen, zur Absicht haben; so ist und bleibt ein mäch-
tiger Unterschied zwischen den älteren und neueren Staaten.
Die Alten sorgten für die Kraft und Bildung des Menschen,
als Menschen; die Neueren für seinen Wohlstand, seine Habe
und seine Erwerbfähigkeit. Die Alten suchten Tugend, die
Neueren Glückseligkeit. Daher waren die Einschränkungen
der Freiheit in den älteren Staaten auf der einen Seite drücken-
der und gefährlicher. Denn sie griffen geradezu an, was des
Menschen eigenthümliches Wesen ausmacht, sein inneres
Dasein; und daher zeigen alle älteren Nationen eine Einseitig-
keit, welche (den Mangel an feinerer Kultur, und an allgemei-
nerer Kommunikation noch abgerechnet) grossentheils durch
die fast überall eingeführte gemeinschaftliche Erziehung, und
das absichtlich eingerichtete gemeinschaftliche Leben der
Bürger überhaupt hervorgebracht und genährt wurde. Auf
der andern Seite erhielten und erhöheten aber auch alle diese
Staatseinrichtungen bei den Alten die thätige Kraft des
Menschen. Selbst der Gesichtspunkt, den man nie aus den
Augen verlor, kraftvolle und genügsame Bürger zu bilden, gab
dem Geiste und dem Charakter einen höheren Schwung. Da-

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[6/0042] der Thätigkeit der Nation besser bearbeiten oder benutzen lehren, endlich und vor Allem gewisse Religionsbegriffe, welche den Regenten auch für das moralische und künftige Wohl der Bürger gleichsam verantwortlich machen, haben vereint dazu beigetragen, diese Veränderung hervorzubringen. Geht man aber der Geschichte einzelner Polizei-Gesetze und Ein- richtungen nach, so findet man oft ihren Ursprung in dem bald wirklichen, bald angeblichen Bedürfniss des Staats, Abgaben von den Unterthanen aufzubringen, und insofern kehrt die Aehnlichkeit mit den älteren Staaten zurück, indem insofern diese Einrichtungen gleichfalls auf die Erhaltung der Ver- fassung abzwecken. Was aber diejenigen Einschränkungen betrifft, welche nicht sowohl den Staat, als die Individuen, die ihn ausmachen, zur Absicht haben; so ist und bleibt ein mäch- tiger Unterschied zwischen den älteren und neueren Staaten. Die Alten sorgten für die Kraft und Bildung des Menschen, als Menschen; die Neueren für seinen Wohlstand, seine Habe und seine Erwerbfähigkeit. Die Alten suchten Tugend, die Neueren Glückseligkeit. Daher waren die Einschränkungen der Freiheit in den älteren Staaten auf der einen Seite drücken- der und gefährlicher. Denn sie griffen geradezu an, was des Menschen eigenthümliches Wesen ausmacht, sein inneres Dasein; und daher zeigen alle älteren Nationen eine Einseitig- keit, welche (den Mangel an feinerer Kultur, und an allgemei- nerer Kommunikation noch abgerechnet) grossentheils durch die fast überall eingeführte gemeinschaftliche Erziehung, und das absichtlich eingerichtete gemeinschaftliche Leben der Bürger überhaupt hervorgebracht und genährt wurde. Auf der andern Seite erhielten und erhöheten aber auch alle diese Staatseinrichtungen bei den Alten die thätige Kraft des Menschen. Selbst der Gesichtspunkt, den man nie aus den Augen verlor, kraftvolle und genügsame Bürger zu bilden, gab dem Geiste und dem Charakter einen höheren Schwung. Da-

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Zitationshilfe: Humboldt, Wilhelm von: Ideen zu einem Versuch, die Gränzen der Wirksamkeit des Staats zu bestimmen. Breslau, 1851, S. 6. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_grenzen_1851/42>, abgerufen am 26.04.2024.