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Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 1. Tübingen, 1876.

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§. 25. Das Subject der kaiserlichen Rechte.
Diese Auffassung wäre nur dann gerechtfertigt, wenn die Preuß.
Verf.-Urk. sie ausdrücklich bestätigen würde; da dieselbe aber über
die Folgen der Verweigerung oder Verzögerung der Eidesleistung
gar Nichts bestimmt, so muß die von v. Rönne aufgestellte Theorie,
weil sie mit den Grundsätzen des monarchischen Staatsrechts im
Widerspruch steht, verworfen werden. Der Erwerb der Krone
erfolgt, wie allgemein anerkannt und auch von v. Rönne nicht
bezweifelt wird, ipso iure im Augenblick der Erledigung des
Thrones. Der Regierungs-Nachfolger wird daher König und
zwar mit allen verfassungsmäßigen Rechten aus-
gestatteter
König, bevor er nur die Möglichkeit hat, den Eid
zu leisten. Er muß mit Nothwendigkeit vor Leistung des Eides
Regierungshandlungen vornehmen, z. B. die Einberufung und
Eröffnung des Landtages, in dessen Gegenwart er den Eid leisten
soll. Er ist auch schon vor Leistung des Eides und ohne denselben
staatsrechtlich zur unverbrüchlichen Beobachtung der Verfassung
verpflichtet. Die Leistung des Eides ist eine verfassungsmäßige
Pflicht des Königs; die Verzögerung oder Verweigerung der Eides-
leistung eine Pflichtversäumniß, eine Verfassungsverletzung. Die-
selbe ist aber mit keiner andern Rechtsfolge bedroht als andere
Verfassungs-Verletzungen Seitens des Königs. Niemals hat eine
solche die Rechtswirkung, daß der König mit Verlust der Krone
bestraft werden könnte. Darauf läuft aber die Theorie v. Rönne's
hinaus. Denn der im Moment des Anfalls ipso iure vollendete
Erwerb der Krone kann nicht rückwärts annullirt werden, sondern
die Krone könnte nur, nachdem die Verweigerung oder ungebühr-
liche Verzögerung der Eidesleistung vom Landtage constatirt wor-
den, dem Könige entzogen werden. Dies ist eine Theorie,
welche das Wesen des Monarchenrechts verleugnet und in dem
Prinzip der Volks- oder Parlaments- Souveränetät wurzelt 1).

Welche Mittel der Preußische Landtag nach Preußischem
Staatsrecht hat, um Verfassungs-Verletzungen Seitens des Königs
zu verhindern, resp. die Ableistung des Verfassungseides zu erzwin-
gen, kann hier unerörtert bleiben; es genügt, daß er in keinem
Falle befugt ist, den König abzusetzen. Für das Reich ist dies

1) Vgl. Held System des Verfassungsr. II. S. 272 Note 2 u. S. 295
Note 1. Zachariä Staatsr. I. §. 56 Note 8 (S. 302). Schulze Preuß.
Staatsr. I. §. 63 S. 203 fg.

§. 25. Das Subject der kaiſerlichen Rechte.
Dieſe Auffaſſung wäre nur dann gerechtfertigt, wenn die Preuß.
Verf.-Urk. ſie ausdrücklich beſtätigen würde; da dieſelbe aber über
die Folgen der Verweigerung oder Verzögerung der Eidesleiſtung
gar Nichts beſtimmt, ſo muß die von v. Rönne aufgeſtellte Theorie,
weil ſie mit den Grundſätzen des monarchiſchen Staatsrechts im
Widerſpruch ſteht, verworfen werden. Der Erwerb der Krone
erfolgt, wie allgemein anerkannt und auch von v. Rönne nicht
bezweifelt wird, ipso iure im Augenblick der Erledigung des
Thrones. Der Regierungs-Nachfolger wird daher König und
zwar mit allen verfaſſungsmäßigen Rechten aus-
geſtatteter
König, bevor er nur die Möglichkeit hat, den Eid
zu leiſten. Er muß mit Nothwendigkeit vor Leiſtung des Eides
Regierungshandlungen vornehmen, z. B. die Einberufung und
Eröffnung des Landtages, in deſſen Gegenwart er den Eid leiſten
ſoll. Er iſt auch ſchon vor Leiſtung des Eides und ohne denſelben
ſtaatsrechtlich zur unverbrüchlichen Beobachtung der Verfaſſung
verpflichtet. Die Leiſtung des Eides iſt eine verfaſſungsmäßige
Pflicht des Königs; die Verzögerung oder Verweigerung der Eides-
leiſtung eine Pflichtverſäumniß, eine Verfaſſungsverletzung. Die-
ſelbe iſt aber mit keiner andern Rechtsfolge bedroht als andere
Verfaſſungs-Verletzungen Seitens des Königs. Niemals hat eine
ſolche die Rechtswirkung, daß der König mit Verluſt der Krone
beſtraft werden könnte. Darauf läuft aber die Theorie v. Rönne’s
hinaus. Denn der im Moment des Anfalls ipso iure vollendete
Erwerb der Krone kann nicht rückwärts annullirt werden, ſondern
die Krone könnte nur, nachdem die Verweigerung oder ungebühr-
liche Verzögerung der Eidesleiſtung vom Landtage conſtatirt wor-
den, dem Könige entzogen werden. Dies iſt eine Theorie,
welche das Weſen des Monarchenrechts verleugnet und in dem
Prinzip der Volks- oder Parlaments- Souveränetät wurzelt 1).

Welche Mittel der Preußiſche Landtag nach Preußiſchem
Staatsrecht hat, um Verfaſſungs-Verletzungen Seitens des Königs
zu verhindern, reſp. die Ableiſtung des Verfaſſungseides zu erzwin-
gen, kann hier unerörtert bleiben; es genügt, daß er in keinem
Falle befugt iſt, den König abzuſetzen. Für das Reich iſt dies

1) Vgl. Held Syſtem des Verfaſſungsr. II. S. 272 Note 2 u. S. 295
Note 1. Zachariä Staatsr. I. §. 56 Note 8 (S. 302). Schulze Preuß.
Staatsr. I. §. 63 S. 203 fg.
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[219/0239] §. 25. Das Subject der kaiſerlichen Rechte. Dieſe Auffaſſung wäre nur dann gerechtfertigt, wenn die Preuß. Verf.-Urk. ſie ausdrücklich beſtätigen würde; da dieſelbe aber über die Folgen der Verweigerung oder Verzögerung der Eidesleiſtung gar Nichts beſtimmt, ſo muß die von v. Rönne aufgeſtellte Theorie, weil ſie mit den Grundſätzen des monarchiſchen Staatsrechts im Widerſpruch ſteht, verworfen werden. Der Erwerb der Krone erfolgt, wie allgemein anerkannt und auch von v. Rönne nicht bezweifelt wird, ipso iure im Augenblick der Erledigung des Thrones. Der Regierungs-Nachfolger wird daher König und zwar mit allen verfaſſungsmäßigen Rechten aus- geſtatteter König, bevor er nur die Möglichkeit hat, den Eid zu leiſten. Er muß mit Nothwendigkeit vor Leiſtung des Eides Regierungshandlungen vornehmen, z. B. die Einberufung und Eröffnung des Landtages, in deſſen Gegenwart er den Eid leiſten ſoll. Er iſt auch ſchon vor Leiſtung des Eides und ohne denſelben ſtaatsrechtlich zur unverbrüchlichen Beobachtung der Verfaſſung verpflichtet. Die Leiſtung des Eides iſt eine verfaſſungsmäßige Pflicht des Königs; die Verzögerung oder Verweigerung der Eides- leiſtung eine Pflichtverſäumniß, eine Verfaſſungsverletzung. Die- ſelbe iſt aber mit keiner andern Rechtsfolge bedroht als andere Verfaſſungs-Verletzungen Seitens des Königs. Niemals hat eine ſolche die Rechtswirkung, daß der König mit Verluſt der Krone beſtraft werden könnte. Darauf läuft aber die Theorie v. Rönne’s hinaus. Denn der im Moment des Anfalls ipso iure vollendete Erwerb der Krone kann nicht rückwärts annullirt werden, ſondern die Krone könnte nur, nachdem die Verweigerung oder ungebühr- liche Verzögerung der Eidesleiſtung vom Landtage conſtatirt wor- den, dem Könige entzogen werden. Dies iſt eine Theorie, welche das Weſen des Monarchenrechts verleugnet und in dem Prinzip der Volks- oder Parlaments- Souveränetät wurzelt 1). Welche Mittel der Preußiſche Landtag nach Preußiſchem Staatsrecht hat, um Verfaſſungs-Verletzungen Seitens des Königs zu verhindern, reſp. die Ableiſtung des Verfaſſungseides zu erzwin- gen, kann hier unerörtert bleiben; es genügt, daß er in keinem Falle befugt iſt, den König abzuſetzen. Für das Reich iſt dies 1) Vgl. Held Syſtem des Verfaſſungsr. II. S. 272 Note 2 u. S. 295 Note 1. Zachariä Staatsr. I. §. 56 Note 8 (S. 302). Schulze Preuß. Staatsr. I. §. 63 S. 203 fg.

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Zitationshilfe: Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 1. Tübingen, 1876, S. 219. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laband_staatsrecht01_1876/239>, abgerufen am 26.04.2024.