Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Lambert, Johann Heinrich: Anlage zur Architectonic. Bd. 1. Riga, 1771.

Bild:
<< vorherige Seite

XII. Hauptstück.
ebenfalls physisch möglich, und das Maximum oder
Minimum aus Gründen oder Absichten gewählet seyn
müsse. Jn dieser Absicht wird man die Maxima und
Minima, die bey der metaphysischen Vollkommenheit
der Dinge (§. 358.) vorkommen, als nothwendig gel-
ten lassen. Bey den übrigen, die in der Natur vor-
kommen, ist die Frage, ob und wie ferne sie auch
hätten nicht seyn können, in besondern Fällen schwerer
zu entscheiden, und wenn sie auch hätten nicht seyn
können, so läßt sich doch nicht immer so gleich sagen,
das Maximum sey die Hauptabsicht gewesen. Denn
so z. E. sind verschiedene Samen von Pflanzen von
sphärischer Figur. Man weiß, daß diese bey glei-
chem Raume die kleinste Fläche, oder bey gleicher
Fläche den größten Raum hat. Man kann aber
allerdings dieses Maximum oder Minimum nicht so
schlechthin als die Hauptabsicht dabey angeben. Bey
den Werken der Kunst, wobey wir uns aus Gründen
solche Maxima oder Minima vorsetzen, wie in den
vorhin (§. 362.) angeführten Beyspielen, wird diese
Frage ehender entschieden, weil wir uns, wenn wir
anders mit Wissen verfahren, kein Maximum oder
Minimum vorsetzen, als nur, wo die Sache in der
That auch nicht ein solches seyn könnte.

§. 370.

Das Wort vollkommen bedeutet öfters eben so
viel, als vollständig, und in diesem Verstande
kömmt es mehrentheils bey Dingen vor, die nicht
stufenweise fortgehen, sondern nach ganzen Zahlen.
So haben wir es oben (§. 341.) bey der Betrachtung
der Anordnung einer Bibliothek gebraucht, daß man
nämlich selten allen Absichten, die man dabey haben
kann, zugleich vollkommen Genügen leisten könne.

Das

XII. Hauptſtuͤck.
ebenfalls phyſiſch moͤglich, und das Maximum oder
Minimum aus Gruͤnden oder Abſichten gewaͤhlet ſeyn
muͤſſe. Jn dieſer Abſicht wird man die Maxima und
Minima, die bey der metaphyſiſchen Vollkommenheit
der Dinge (§. 358.) vorkommen, als nothwendig gel-
ten laſſen. Bey den uͤbrigen, die in der Natur vor-
kommen, iſt die Frage, ob und wie ferne ſie auch
haͤtten nicht ſeyn koͤnnen, in beſondern Faͤllen ſchwerer
zu entſcheiden, und wenn ſie auch haͤtten nicht ſeyn
koͤnnen, ſo laͤßt ſich doch nicht immer ſo gleich ſagen,
das Maximum ſey die Hauptabſicht geweſen. Denn
ſo z. E. ſind verſchiedene Samen von Pflanzen von
ſphaͤriſcher Figur. Man weiß, daß dieſe bey glei-
chem Raume die kleinſte Flaͤche, oder bey gleicher
Flaͤche den groͤßten Raum hat. Man kann aber
allerdings dieſes Maximum oder Minimum nicht ſo
ſchlechthin als die Hauptabſicht dabey angeben. Bey
den Werken der Kunſt, wobey wir uns aus Gruͤnden
ſolche Maxima oder Minima vorſetzen, wie in den
vorhin (§. 362.) angefuͤhrten Beyſpielen, wird dieſe
Frage ehender entſchieden, weil wir uns, wenn wir
anders mit Wiſſen verfahren, kein Maximum oder
Minimum vorſetzen, als nur, wo die Sache in der
That auch nicht ein ſolches ſeyn koͤnnte.

§. 370.

Das Wort vollkommen bedeutet oͤfters eben ſo
viel, als vollſtaͤndig, und in dieſem Verſtande
koͤmmt es mehrentheils bey Dingen vor, die nicht
ſtufenweiſe fortgehen, ſondern nach ganzen Zahlen.
So haben wir es oben (§. 341.) bey der Betrachtung
der Anordnung einer Bibliothek gebraucht, daß man
naͤmlich ſelten allen Abſichten, die man dabey haben
kann, zugleich vollkommen Genuͤgen leiſten koͤnne.

Das
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0402" n="366"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b"><hi rendition="#aq">XII.</hi> Haupt&#x017F;tu&#x0364;ck.</hi></fw><lb/>
ebenfalls phy&#x017F;i&#x017F;ch mo&#x0364;glich, und das <hi rendition="#aq">Maximum</hi> oder<lb/><hi rendition="#aq">Minimum</hi> aus Gru&#x0364;nden oder Ab&#x017F;ichten gewa&#x0364;hlet &#x017F;eyn<lb/>
mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;e. Jn die&#x017F;er Ab&#x017F;icht wird man die <hi rendition="#aq">Maxima</hi> und<lb/><hi rendition="#aq">Minima,</hi> die bey der metaphy&#x017F;i&#x017F;chen Vollkommenheit<lb/>
der Dinge (§. 358.) vorkommen, als nothwendig gel-<lb/>
ten la&#x017F;&#x017F;en. Bey den u&#x0364;brigen, die in der Natur vor-<lb/>
kommen, i&#x017F;t die Frage, ob und wie ferne &#x017F;ie auch<lb/>
ha&#x0364;tten nicht &#x017F;eyn ko&#x0364;nnen, in be&#x017F;ondern Fa&#x0364;llen &#x017F;chwerer<lb/>
zu ent&#x017F;cheiden, und wenn &#x017F;ie auch ha&#x0364;tten nicht &#x017F;eyn<lb/>
ko&#x0364;nnen, &#x017F;o la&#x0364;ßt &#x017F;ich doch nicht immer &#x017F;o gleich &#x017F;agen,<lb/>
das <hi rendition="#aq">Maximum</hi> &#x017F;ey die Hauptab&#x017F;icht gewe&#x017F;en. Denn<lb/>
&#x017F;o z. E. &#x017F;ind ver&#x017F;chiedene Samen von Pflanzen von<lb/>
&#x017F;pha&#x0364;ri&#x017F;cher Figur. Man weiß, daß die&#x017F;e bey glei-<lb/>
chem Raume die klein&#x017F;te Fla&#x0364;che, oder bey gleicher<lb/>
Fla&#x0364;che den gro&#x0364;ßten Raum hat. Man kann aber<lb/>
allerdings die&#x017F;es <hi rendition="#aq">Maximum</hi> oder <hi rendition="#aq">Minimum</hi> nicht &#x017F;o<lb/>
&#x017F;chlechthin als die Hauptab&#x017F;icht dabey angeben. Bey<lb/>
den Werken der Kun&#x017F;t, wobey wir uns aus Gru&#x0364;nden<lb/>
&#x017F;olche <hi rendition="#aq">Maxima</hi> oder <hi rendition="#aq">Minima</hi> vor&#x017F;etzen, wie in den<lb/>
vorhin (§. 362.) angefu&#x0364;hrten Bey&#x017F;pielen, wird die&#x017F;e<lb/>
Frage ehender ent&#x017F;chieden, weil wir uns, wenn wir<lb/>
anders mit Wi&#x017F;&#x017F;en verfahren, kein <hi rendition="#aq">Maximum</hi> oder<lb/><hi rendition="#aq">Minimum</hi> vor&#x017F;etzen, als nur, wo die Sache in der<lb/>
That auch nicht ein &#x017F;olches &#x017F;eyn ko&#x0364;nnte.</p>
          </div><lb/>
          <div n="3">
            <head>§. 370.</head><lb/>
            <p>Das Wort <hi rendition="#fr">vollkommen</hi> bedeutet o&#x0364;fters eben &#x017F;o<lb/>
viel, als <hi rendition="#fr">voll&#x017F;ta&#x0364;ndig,</hi> und in die&#x017F;em Ver&#x017F;tande<lb/>
ko&#x0364;mmt es mehrentheils bey Dingen vor, die nicht<lb/>
&#x017F;tufenwei&#x017F;e fortgehen, &#x017F;ondern nach ganzen Zahlen.<lb/>
So haben wir es oben (§. 341.) bey der Betrachtung<lb/>
der Anordnung einer Bibliothek gebraucht, daß man<lb/>
na&#x0364;mlich &#x017F;elten allen Ab&#x017F;ichten, die man dabey haben<lb/>
kann, zugleich vollkommen Genu&#x0364;gen lei&#x017F;ten ko&#x0364;nne.<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">Das</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[366/0402] XII. Hauptſtuͤck. ebenfalls phyſiſch moͤglich, und das Maximum oder Minimum aus Gruͤnden oder Abſichten gewaͤhlet ſeyn muͤſſe. Jn dieſer Abſicht wird man die Maxima und Minima, die bey der metaphyſiſchen Vollkommenheit der Dinge (§. 358.) vorkommen, als nothwendig gel- ten laſſen. Bey den uͤbrigen, die in der Natur vor- kommen, iſt die Frage, ob und wie ferne ſie auch haͤtten nicht ſeyn koͤnnen, in beſondern Faͤllen ſchwerer zu entſcheiden, und wenn ſie auch haͤtten nicht ſeyn koͤnnen, ſo laͤßt ſich doch nicht immer ſo gleich ſagen, das Maximum ſey die Hauptabſicht geweſen. Denn ſo z. E. ſind verſchiedene Samen von Pflanzen von ſphaͤriſcher Figur. Man weiß, daß dieſe bey glei- chem Raume die kleinſte Flaͤche, oder bey gleicher Flaͤche den groͤßten Raum hat. Man kann aber allerdings dieſes Maximum oder Minimum nicht ſo ſchlechthin als die Hauptabſicht dabey angeben. Bey den Werken der Kunſt, wobey wir uns aus Gruͤnden ſolche Maxima oder Minima vorſetzen, wie in den vorhin (§. 362.) angefuͤhrten Beyſpielen, wird dieſe Frage ehender entſchieden, weil wir uns, wenn wir anders mit Wiſſen verfahren, kein Maximum oder Minimum vorſetzen, als nur, wo die Sache in der That auch nicht ein ſolches ſeyn koͤnnte. §. 370. Das Wort vollkommen bedeutet oͤfters eben ſo viel, als vollſtaͤndig, und in dieſem Verſtande koͤmmt es mehrentheils bey Dingen vor, die nicht ſtufenweiſe fortgehen, ſondern nach ganzen Zahlen. So haben wir es oben (§. 341.) bey der Betrachtung der Anordnung einer Bibliothek gebraucht, daß man naͤmlich ſelten allen Abſichten, die man dabey haben kann, zugleich vollkommen Genuͤgen leiſten koͤnne. Das

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_architectonic01_1771
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_architectonic01_1771/402
Zitationshilfe: Lambert, Johann Heinrich: Anlage zur Architectonic. Bd. 1. Riga, 1771, S. 366. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_architectonic01_1771/402>, abgerufen am 26.04.2024.