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Lambert, Johann Heinrich: Neues Organon. Bd. 2. Leipzig, 1764.

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VII. Hauptstück.


Siebentes Hauptstück.
Von der Wortforschung.

§. 247.

Bisher haben wir die einzelnen Redetheile nach ihren
Hauptclassen betrachtet, und dabey das Willkühr-
liche von dem, was in der That Nothwendiges und
Metaphysisches darinn ist, unterschieden, und zugleich
auch mit angemerkt, was in verschiedenen Absichten zu
mehrerer Vollkommenheit der Sprachen, und besonders
auch der deutschen, als möglich zurückbleibt. Wir
werden nun die Verwandschaft der Wörter aus den ver-
schiedenen Classen der Redetheile etwas näher betrach-
ten, um die Möglichkeiten der Ableitung eines Wortes
aus dem andern, und überhaupt die Bildung neuer
Wörter, genauer untersuchen. Und hiebey werden uns
wirkliche und mögliche Sprachen aus den anfangs
schon angezeigten Gründen (§. 72.) großentheils gleich-
gültig seyn.

§. 248. Es ist nicht wohl anders möglich, als daß
man bey Einführung einer durchaus neuen Sprache
Wurzelwörter aus allen Classen der Redetheile anneh-
me, um die Ableitung jeder übrigen Wörter kürzer und
leichter zu machen, und der Sprache zugleich jede Voll-
ständigkeit und die Möglichkeit der Vorstellung jeden
Zusammenhanges zu geben. Die Vollständigkeit muß
über dieß nicht nur so weit reichen, daß man jeden Ge-
danken nur etwan auf eine einzige Art vorstellen könne,
sondern dieses muß auf mehrere Arten möglich seyn,
weil gleichgeltende Ausdrücke und Redensarten einander
gleichsam zur Probe dienen, und das Wankende in der
Bedeutung der Wörter dadurch großentheils und leich-

ter
VII. Hauptſtuͤck.


Siebentes Hauptſtuͤck.
Von der Wortforſchung.

§. 247.

Bisher haben wir die einzelnen Redetheile nach ihren
Hauptclaſſen betrachtet, und dabey das Willkuͤhr-
liche von dem, was in der That Nothwendiges und
Metaphyſiſches darinn iſt, unterſchieden, und zugleich
auch mit angemerkt, was in verſchiedenen Abſichten zu
mehrerer Vollkommenheit der Sprachen, und beſonders
auch der deutſchen, als moͤglich zuruͤckbleibt. Wir
werden nun die Verwandſchaft der Woͤrter aus den ver-
ſchiedenen Claſſen der Redetheile etwas naͤher betrach-
ten, um die Moͤglichkeiten der Ableitung eines Wortes
aus dem andern, und uͤberhaupt die Bildung neuer
Woͤrter, genauer unterſuchen. Und hiebey werden uns
wirkliche und moͤgliche Sprachen aus den anfangs
ſchon angezeigten Gruͤnden (§. 72.) großentheils gleich-
guͤltig ſeyn.

§. 248. Es iſt nicht wohl anders moͤglich, als daß
man bey Einfuͤhrung einer durchaus neuen Sprache
Wurzelwoͤrter aus allen Claſſen der Redetheile anneh-
me, um die Ableitung jeder uͤbrigen Woͤrter kuͤrzer und
leichter zu machen, und der Sprache zugleich jede Voll-
ſtaͤndigkeit und die Moͤglichkeit der Vorſtellung jeden
Zuſammenhanges zu geben. Die Vollſtaͤndigkeit muß
uͤber dieß nicht nur ſo weit reichen, daß man jeden Ge-
danken nur etwan auf eine einzige Art vorſtellen koͤnne,
ſondern dieſes muß auf mehrere Arten moͤglich ſeyn,
weil gleichgeltende Ausdruͤcke und Redensarten einander
gleichſam zur Probe dienen, und das Wankende in der
Bedeutung der Woͤrter dadurch großentheils und leich-

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[148/0154] VII. Hauptſtuͤck. Siebentes Hauptſtuͤck. Von der Wortforſchung. §. 247. Bisher haben wir die einzelnen Redetheile nach ihren Hauptclaſſen betrachtet, und dabey das Willkuͤhr- liche von dem, was in der That Nothwendiges und Metaphyſiſches darinn iſt, unterſchieden, und zugleich auch mit angemerkt, was in verſchiedenen Abſichten zu mehrerer Vollkommenheit der Sprachen, und beſonders auch der deutſchen, als moͤglich zuruͤckbleibt. Wir werden nun die Verwandſchaft der Woͤrter aus den ver- ſchiedenen Claſſen der Redetheile etwas naͤher betrach- ten, um die Moͤglichkeiten der Ableitung eines Wortes aus dem andern, und uͤberhaupt die Bildung neuer Woͤrter, genauer unterſuchen. Und hiebey werden uns wirkliche und moͤgliche Sprachen aus den anfangs ſchon angezeigten Gruͤnden (§. 72.) großentheils gleich- guͤltig ſeyn. §. 248. Es iſt nicht wohl anders moͤglich, als daß man bey Einfuͤhrung einer durchaus neuen Sprache Wurzelwoͤrter aus allen Claſſen der Redetheile anneh- me, um die Ableitung jeder uͤbrigen Woͤrter kuͤrzer und leichter zu machen, und der Sprache zugleich jede Voll- ſtaͤndigkeit und die Moͤglichkeit der Vorſtellung jeden Zuſammenhanges zu geben. Die Vollſtaͤndigkeit muß uͤber dieß nicht nur ſo weit reichen, daß man jeden Ge- danken nur etwan auf eine einzige Art vorſtellen koͤnne, ſondern dieſes muß auf mehrere Arten moͤglich ſeyn, weil gleichgeltende Ausdruͤcke und Redensarten einander gleichſam zur Probe dienen, und das Wankende in der Bedeutung der Woͤrter dadurch großentheils und leich- ter

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Zitationshilfe: Lambert, Johann Heinrich: Neues Organon. Bd. 2. Leipzig, 1764, S. 148. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_organon02_1764/154>, abgerufen am 26.04.2024.