Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Laube, Heinrich: Das junge Europa. Bd. 1, 2. Leipzig, 1833.

Bild:
<< vorherige Seite
27.
Hyppolit an Constantin.

Warum hat die Natur den Menschen nicht größer
und stärker geschaffen? Ueber Berge mag er stolpern
können, aber es ist ein Jammer, daß er über jeden
Maulwurfshaufen fällt. Solch ein Wicht kann doch
eigentlich auch nicht schön sein! Man sollte keine Sta¬
tuen mehr machen, keine menschlichen Figuren malen,
keine Heldengedichte und Dramata schreiben. Die ganze
Natur allein verdient so etwas, der einzelne Mensch aber
nicht. Nicht das kleine Herz dieses Mädchens kann ich
erobern -- o, der Mensch ist ein Wicht und nichts weiter.

Valerius scheint die Hauptgefahr überstanden zu
haben, indessen ist er noch keineswegs gerettet. Ist so
was in Arabien erhört worden? Wie barmherzige Sa¬
maritanerinnen sitzen die Weiber um sein Lager herum
und sprechen und lesen ihm vor. Selbst die stolze Kon¬
stantie fehlt nicht. Der Graf hat dem armen Kranken
einen weichen seidnen Patientenanzug geschenkt, in die¬
sem nun liegt Valer wie ein verwundeter Emir, dem
die verrückten Kreuzfahrer hart zugesetzt, auf seiner Ot¬

27.
Hyppolit an Constantin.

Warum hat die Natur den Menſchen nicht größer
und ſtärker geſchaffen? Ueber Berge mag er ſtolpern
können, aber es iſt ein Jammer, daß er über jeden
Maulwurfshaufen fällt. Solch ein Wicht kann doch
eigentlich auch nicht ſchön ſein! Man ſollte keine Sta¬
tuen mehr machen, keine menſchlichen Figuren malen,
keine Heldengedichte und Dramata ſchreiben. Die ganze
Natur allein verdient ſo etwas, der einzelne Menſch aber
nicht. Nicht das kleine Herz dieſes Mädchens kann ich
erobern — o, der Menſch iſt ein Wicht und nichts weiter.

Valerius ſcheint die Hauptgefahr überſtanden zu
haben, indeſſen iſt er noch keineswegs gerettet. Iſt ſo
was in Arabien erhört worden? Wie barmherzige Sa¬
maritanerinnen ſitzen die Weiber um ſein Lager herum
und ſprechen und leſen ihm vor. Selbſt die ſtolze Kon¬
ſtantie fehlt nicht. Der Graf hat dem armen Kranken
einen weichen ſeidnen Patientenanzug geſchenkt, in die¬
ſem nun liegt Valer wie ein verwundeter Emir, dem
die verrückten Kreuzfahrer hart zugeſetzt, auf ſeiner Ot¬

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0095" n="83"/>
      </div>
      <div n="1">
        <head> <hi rendition="#b">27.</hi><lb/> <hi rendition="#b #g">Hyppolit an Constantin.</hi><lb/>
        </head>
        <p>Warum hat die Natur den Men&#x017F;chen nicht größer<lb/>
und &#x017F;tärker ge&#x017F;chaffen? Ueber Berge mag er &#x017F;tolpern<lb/>
können, aber es i&#x017F;t ein Jammer, daß er über jeden<lb/>
Maulwurfshaufen fällt. Solch ein Wicht kann doch<lb/>
eigentlich auch nicht &#x017F;chön &#x017F;ein! Man &#x017F;ollte keine Sta¬<lb/>
tuen mehr machen, keine men&#x017F;chlichen Figuren malen,<lb/>
keine Heldengedichte und Dramata &#x017F;chreiben. Die ganze<lb/>
Natur allein verdient &#x017F;o etwas, der einzelne Men&#x017F;ch aber<lb/>
nicht. Nicht das kleine Herz die&#x017F;es Mädchens kann ich<lb/>
erobern &#x2014; o, der Men&#x017F;ch i&#x017F;t ein Wicht und nichts weiter.</p><lb/>
        <p>Valerius &#x017F;cheint die Hauptgefahr über&#x017F;tanden zu<lb/>
haben, inde&#x017F;&#x017F;en i&#x017F;t er noch keineswegs gerettet. I&#x017F;t &#x017F;o<lb/>
was in Arabien erhört worden? Wie barmherzige Sa¬<lb/>
maritanerinnen &#x017F;itzen die Weiber um &#x017F;ein Lager herum<lb/>
und &#x017F;prechen und le&#x017F;en ihm vor. Selb&#x017F;t die &#x017F;tolze Kon¬<lb/>
&#x017F;tantie fehlt nicht. Der Graf hat dem armen Kranken<lb/>
einen weichen &#x017F;eidnen Patientenanzug ge&#x017F;chenkt, in die¬<lb/>
&#x017F;em nun liegt Valer wie ein verwundeter Emir, dem<lb/>
die verrückten Kreuzfahrer hart zuge&#x017F;etzt, auf &#x017F;einer Ot¬<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[83/0095] 27. Hyppolit an Constantin. Warum hat die Natur den Menſchen nicht größer und ſtärker geſchaffen? Ueber Berge mag er ſtolpern können, aber es iſt ein Jammer, daß er über jeden Maulwurfshaufen fällt. Solch ein Wicht kann doch eigentlich auch nicht ſchön ſein! Man ſollte keine Sta¬ tuen mehr machen, keine menſchlichen Figuren malen, keine Heldengedichte und Dramata ſchreiben. Die ganze Natur allein verdient ſo etwas, der einzelne Menſch aber nicht. Nicht das kleine Herz dieſes Mädchens kann ich erobern — o, der Menſch iſt ein Wicht und nichts weiter. Valerius ſcheint die Hauptgefahr überſtanden zu haben, indeſſen iſt er noch keineswegs gerettet. Iſt ſo was in Arabien erhört worden? Wie barmherzige Sa¬ maritanerinnen ſitzen die Weiber um ſein Lager herum und ſprechen und leſen ihm vor. Selbſt die ſtolze Kon¬ ſtantie fehlt nicht. Der Graf hat dem armen Kranken einen weichen ſeidnen Patientenanzug geſchenkt, in die¬ ſem nun liegt Valer wie ein verwundeter Emir, dem die verrückten Kreuzfahrer hart zugeſetzt, auf ſeiner Ot¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/laube_europa0102_1833
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/laube_europa0102_1833/95
Zitationshilfe: Laube, Heinrich: Das junge Europa. Bd. 1, 2. Leipzig, 1833, S. 83. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laube_europa0102_1833/95>, abgerufen am 26.04.2024.