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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 3: Von Sullas Tode bis zur Schlacht von Thapsus. Leipzig, 1856.

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sulat zu erleichtern; aber Labienus trat hier mit den Pompeianern
in Verbindung und beim Beginn der Feindseligkeiten im J. 705
begab er statt in Caesars sich in Pompeius Hauptquartier. Wir
sind über Labienus Charakter zu unvollkommen unterrichtet, um
seinen Uebertritt sicher zu würdigen. Allem Anschein nach war
er eine jener Persönlichkeiten, die mit militärischer Brauchbarkeit
die vollständigste staatsmännische Unfähigkeit vereinigen, und die
dann, wenn sie unglücklicher Weise Politik machen wollen oder
müssen, jenen tollen Schwindelanfällen ausgesetzt sind, wovon die
Geschichte der napoleonischen Marschälle so manches tragikomi-
sche Beispiel aufzeigt. Allein wenigstens der Anlass dieses Abfalls
und der grenzenlosen Erbitterung, mit der Labienus seitdem gegen
Caesar stritt, lässt sich mit Wahrscheinlichkeit bezeichnen. Labie-
nus, der mit Caesar alle Drangsale der düstern catilinarischen Zeit
(S. 153), wie allen Glanz der gallischen Siegeslaufbahn getheilt,
der regelmässig selbstständig befehligt, häufig die halbe Armee
geführt hatte, mochte wohl sich berechtigt halten als das zweite
Haupt der Demokratie neben Caesar zu gelten; und dass er mit
diesem Anspruch zurückgewiesen ward, wird ihn in das Lager
der Gegner geführt haben. Es war für Caesar nicht gleichgültig,
dass sein ältester und tüchtigster Waffengefährte jetzt gegen ihn
focht und dass überhaupt die Behandlung seiner Offiziere als un-
selbstständiger Adjutanten keine zur Uebernahme eines abgeson-
derten Commandos geeigneten Männer in seinem Lager empor-
kommen liess, während er doch bei der leicht vorherzusehenden
Zersplitterung des bevorstehenden Krieges durch alle Provinzen
des weiten Reiches eben solcher Männer dringend bedurfte.
Allein alle diese Nachtheile wurden weit aufgewogen durch die
erste und nur um diesen Preis zu bewahrende Bedingung eines
jeden Erfolgs, die Einheit der obersten Leitung. -- Diese einheit-
liche Leitung erwies ihre volle Gewalt aber erst durch die Brauch-
barkeit der Werkzeuge. Hier kam in erster Linie in Betracht die
Armee. Sie zählte noch neun Legionen Infanterie oder höchstens
50000 Mann, welche alle vor dem Feinde gestanden und von
denen zwei Drittel sämmtliche Feldzüge gegen die Kelten mitge-
macht hatten. Die Reiterei bestand aus deutschen und norischen
Söldnern, deren Brauchbarkeit und Zuverlässigkeit in dem Kriege
gegen Vercingetorix erprobt worden war. Der achtjährige Krieg
voll mannigfacher Wechselfälle gegen die tapfere, wenn auch mili-
tärisch der italischen durchaus nachstehende keltische Nation
hatte Caesar die Gelegenheit gegeben seine Armee zu organisiren,
wie nur er zu organisiren verstand. Alle Brauchbarkeit des Sol-

BRUNDISIUM.
sulat zu erleichtern; aber Labienus trat hier mit den Pompeianern
in Verbindung und beim Beginn der Feindseligkeiten im J. 705
begab er statt in Caesars sich in Pompeius Hauptquartier. Wir
sind über Labienus Charakter zu unvollkommen unterrichtet, um
seinen Uebertritt sicher zu würdigen. Allem Anschein nach war
er eine jener Persönlichkeiten, die mit militärischer Brauchbarkeit
die vollständigste staatsmännische Unfähigkeit vereinigen, und die
dann, wenn sie unglücklicher Weise Politik machen wollen oder
müssen, jenen tollen Schwindelanfällen ausgesetzt sind, wovon die
Geschichte der napoleonischen Marschälle so manches tragikomi-
sche Beispiel aufzeigt. Allein wenigstens der Anlaſs dieses Abfalls
und der grenzenlosen Erbitterung, mit der Labienus seitdem gegen
Caesar stritt, läſst sich mit Wahrscheinlichkeit bezeichnen. Labie-
nus, der mit Caesar alle Drangsale der düstern catilinarischen Zeit
(S. 153), wie allen Glanz der gallischen Siegeslaufbahn getheilt,
der regelmäſsig selbstständig befehligt, häufig die halbe Armee
geführt hatte, mochte wohl sich berechtigt halten als das zweite
Haupt der Demokratie neben Caesar zu gelten; und daſs er mit
diesem Anspruch zurückgewiesen ward, wird ihn in das Lager
der Gegner geführt haben. Es war für Caesar nicht gleichgültig,
daſs sein ältester und tüchtigster Waffengefährte jetzt gegen ihn
focht und daſs überhaupt die Behandlung seiner Offiziere als un-
selbstständiger Adjutanten keine zur Uebernahme eines abgeson-
derten Commandos geeigneten Männer in seinem Lager empor-
kommen lieſs, während er doch bei der leicht vorherzusehenden
Zersplitterung des bevorstehenden Krieges durch alle Provinzen
des weiten Reiches eben solcher Männer dringend bedurfte.
Allein alle diese Nachtheile wurden weit aufgewogen durch die
erste und nur um diesen Preis zu bewahrende Bedingung eines
jeden Erfolgs, die Einheit der obersten Leitung. — Diese einheit-
liche Leitung erwies ihre volle Gewalt aber erst durch die Brauch-
barkeit der Werkzeuge. Hier kam in erster Linie in Betracht die
Armee. Sie zählte noch neun Legionen Infanterie oder höchstens
50000 Mann, welche alle vor dem Feinde gestanden und von
denen zwei Drittel sämmtliche Feldzüge gegen die Kelten mitge-
macht hatten. Die Reiterei bestand aus deutschen und norischen
Söldnern, deren Brauchbarkeit und Zuverlässigkeit in dem Kriege
gegen Vercingetorix erprobt worden war. Der achtjährige Krieg
voll mannigfacher Wechselfälle gegen die tapfere, wenn auch mili-
tärisch der italischen durchaus nachstehende keltische Nation
hatte Caesar die Gelegenheit gegeben seine Armee zu organisiren,
wie nur er zu organisiren verstand. Alle Brauchbarkeit des Sol-

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[343/0353] BRUNDISIUM. sulat zu erleichtern; aber Labienus trat hier mit den Pompeianern in Verbindung und beim Beginn der Feindseligkeiten im J. 705 begab er statt in Caesars sich in Pompeius Hauptquartier. Wir sind über Labienus Charakter zu unvollkommen unterrichtet, um seinen Uebertritt sicher zu würdigen. Allem Anschein nach war er eine jener Persönlichkeiten, die mit militärischer Brauchbarkeit die vollständigste staatsmännische Unfähigkeit vereinigen, und die dann, wenn sie unglücklicher Weise Politik machen wollen oder müssen, jenen tollen Schwindelanfällen ausgesetzt sind, wovon die Geschichte der napoleonischen Marschälle so manches tragikomi- sche Beispiel aufzeigt. Allein wenigstens der Anlaſs dieses Abfalls und der grenzenlosen Erbitterung, mit der Labienus seitdem gegen Caesar stritt, läſst sich mit Wahrscheinlichkeit bezeichnen. Labie- nus, der mit Caesar alle Drangsale der düstern catilinarischen Zeit (S. 153), wie allen Glanz der gallischen Siegeslaufbahn getheilt, der regelmäſsig selbstständig befehligt, häufig die halbe Armee geführt hatte, mochte wohl sich berechtigt halten als das zweite Haupt der Demokratie neben Caesar zu gelten; und daſs er mit diesem Anspruch zurückgewiesen ward, wird ihn in das Lager der Gegner geführt haben. Es war für Caesar nicht gleichgültig, daſs sein ältester und tüchtigster Waffengefährte jetzt gegen ihn focht und daſs überhaupt die Behandlung seiner Offiziere als un- selbstständiger Adjutanten keine zur Uebernahme eines abgeson- derten Commandos geeigneten Männer in seinem Lager empor- kommen lieſs, während er doch bei der leicht vorherzusehenden Zersplitterung des bevorstehenden Krieges durch alle Provinzen des weiten Reiches eben solcher Männer dringend bedurfte. Allein alle diese Nachtheile wurden weit aufgewogen durch die erste und nur um diesen Preis zu bewahrende Bedingung eines jeden Erfolgs, die Einheit der obersten Leitung. — Diese einheit- liche Leitung erwies ihre volle Gewalt aber erst durch die Brauch- barkeit der Werkzeuge. Hier kam in erster Linie in Betracht die Armee. Sie zählte noch neun Legionen Infanterie oder höchstens 50000 Mann, welche alle vor dem Feinde gestanden und von denen zwei Drittel sämmtliche Feldzüge gegen die Kelten mitge- macht hatten. Die Reiterei bestand aus deutschen und norischen Söldnern, deren Brauchbarkeit und Zuverlässigkeit in dem Kriege gegen Vercingetorix erprobt worden war. Der achtjährige Krieg voll mannigfacher Wechselfälle gegen die tapfere, wenn auch mili- tärisch der italischen durchaus nachstehende keltische Nation hatte Caesar die Gelegenheit gegeben seine Armee zu organisiren, wie nur er zu organisiren verstand. Alle Brauchbarkeit des Sol-

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 3: Von Sullas Tode bis zur Schlacht von Thapsus. Leipzig, 1856, S. 343. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische03_1856/353>, abgerufen am 27.04.2024.