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Müller, Johannes: Über die phantastischen Gesichtserscheinungen. Koblenz, 1826.

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75.

Nachdem wir die Entstehung der Phantasiebilder als
Lebensäußerungen des Sinnes wissenschaftlich begründet ha-
ben, liegt es uns nun ob, in der Lebensgeschichte dieser Er-
scheinungen ihren Umfang zu ermitteln, alle die mannig-
faltigen Zustände kennen zu lernen, in denen ein und das-
selbe Phaenomene von seiner einfachsten bis zu der höch-
sten Stufe der willkührlichen Sollicitation sich wahr macht.

I. Das plastische Einbilden im dunkeln oder
lichten Sehfeld ohne selbstständiges
Leuchten des Phantasma
.
76.

Die Phantasie, sei sie in der Sinnsubstanz selbst oder außer
ihr thätig, ist nicht ohne Wirkung auf den Sinn. Die Phan-
tasie, Sichtbares nur vorstellend, stellt in dem lichten oder dun-
keln Sehfeld der Sehsinnsubstanz das Sichtbare vor. Das
Dunkle vor den Augen, wie der lichte Tag vor den Augen ist
immer nur das subjective Sehfeld der Sehsinnsubstanz, in
ihrer Ruhe dort, hier in ihrer Affection. Alles, was in
Formen phantasirt oder vorgestellt wird, dessen vorgestellte
Begrenzung ist doch immer nur als Begrenzung gedacht im

75.

Nachdem wir die Entſtehung der Phantaſiebilder als
Lebensaͤußerungen des Sinnes wiſſenſchaftlich begruͤndet ha-
ben, liegt es uns nun ob, in der Lebensgeſchichte dieſer Er-
ſcheinungen ihren Umfang zu ermitteln, alle die mannig-
faltigen Zuſtaͤnde kennen zu lernen, in denen ein und daſ-
ſelbe Phaenomene von ſeiner einfachſten bis zu der hoͤch-
ſten Stufe der willkuͤhrlichen Sollicitation ſich wahr macht.

I. Das plaſtiſche Einbilden im dunkeln oder
lichten Sehfeld ohne ſelbſtſtaͤndiges
Leuchten des Phantasma
.
76.

Die Phantaſie, ſei ſie in der Sinnſubſtanz ſelbſt oder außer
ihr thaͤtig, iſt nicht ohne Wirkung auf den Sinn. Die Phan-
taſie, Sichtbares nur vorſtellend, ſtellt in dem lichten oder dun-
keln Sehfeld der Sehſinnſubſtanz das Sichtbare vor. Das
Dunkle vor den Augen, wie der lichte Tag vor den Augen iſt
immer nur das ſubjective Sehfeld der Sehſinnſubſtanz, in
ihrer Ruhe dort, hier in ihrer Affection. Alles, was in
Formen phantaſirt oder vorgeſtellt wird, deſſen vorgeſtellte
Begrenzung iſt doch immer nur als Begrenzung gedacht im

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[43/0059] 75. Nachdem wir die Entſtehung der Phantaſiebilder als Lebensaͤußerungen des Sinnes wiſſenſchaftlich begruͤndet ha- ben, liegt es uns nun ob, in der Lebensgeſchichte dieſer Er- ſcheinungen ihren Umfang zu ermitteln, alle die mannig- faltigen Zuſtaͤnde kennen zu lernen, in denen ein und daſ- ſelbe Phaenomene von ſeiner einfachſten bis zu der hoͤch- ſten Stufe der willkuͤhrlichen Sollicitation ſich wahr macht. I. Das plaſtiſche Einbilden im dunkeln oder lichten Sehfeld ohne ſelbſtſtaͤndiges Leuchten des Phantasma. 76. Die Phantaſie, ſei ſie in der Sinnſubſtanz ſelbſt oder außer ihr thaͤtig, iſt nicht ohne Wirkung auf den Sinn. Die Phan- taſie, Sichtbares nur vorſtellend, ſtellt in dem lichten oder dun- keln Sehfeld der Sehſinnſubſtanz das Sichtbare vor. Das Dunkle vor den Augen, wie der lichte Tag vor den Augen iſt immer nur das ſubjective Sehfeld der Sehſinnſubſtanz, in ihrer Ruhe dort, hier in ihrer Affection. Alles, was in Formen phantaſirt oder vorgeſtellt wird, deſſen vorgeſtellte Begrenzung iſt doch immer nur als Begrenzung gedacht im

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Zitationshilfe: Müller, Johannes: Über die phantastischen Gesichtserscheinungen. Koblenz, 1826, S. 43. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_gesichtserscheinungen_1826/59>, abgerufen am 26.04.2024.