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Müller, Johannes: Über die phantastischen Gesichtserscheinungen. Koblenz, 1826.

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wöhnliche in den Combinationen des Traums, die sich im
Leben selbst erst spät darbieten kann. Wir versuchen die
Menschen im Traum und lernen sie kennen, wie sie sind.

104.

Es ist daher nichts Wunderbares, wenn wir im Traume
Winke zur Beurtheilung von Menschen erhalten, wenn wir
durch einen Traum Jemand von einer wichtigen Seite
kennen gelernt zu haben scheinen. Dem Schreiber dieses ist
dieß oft wiederfahren, wenn ihm gleich in seinem Leben
noch nichts eigentlich Wunderbares begegnet ist, d. h. et-
was, von dem man sagen könnte, es sei wunderbarer als
die ganze Natur oder wunderbarer als die willkührliche
Bewegung der Glieder, als das Vermögen, den Arm, wie
man will, zu strecken und zu beugen.

105.

So sehen wir auch denn im Mittelalter auf den
Grund eines mißverstandenen einfachen Phaenomens, der
Vision in der magischen Ekstase die Menschen nach dem
größern Wunderbaren ringen, Jahrhunderte durch ihre
vergebene Arbeit nicht aufgeben und sich und die Natur
immer tiefer mißverstehen. Ein Gleiches hat sich in der
neuern Zeit ganz auf dieselbe Art mit dem Magnetismus
wiederhohlen wollen. Die mißverstandene Vision in der Ek-
stase war der Grund unzähliger Verirrungen. Die Thatsa-
che der magnetischen Einwirkung wird, wie im Mittelalter
die Vision in der magischen Ekstase, durch die geistigen Sün-
den nach dem Wunderbaren ringender Enthusiasten zu einem
unendlichen Irrfall der Lüge, der Träumerei, worin überall
das gemeinsame Streben der Unwissenheit, Schwärmerei
und der Geistesverschwendung ein Absurdes, die Natur in
ihren Achsen und Angeln Aufhebendes, der Nothwendigkeit
der Wissenschaft Spottendes geltend zu machen.


woͤhnliche in den Combinationen des Traums, die ſich im
Leben ſelbſt erſt ſpaͤt darbieten kann. Wir verſuchen die
Menſchen im Traum und lernen ſie kennen, wie ſie ſind.

104.

Es iſt daher nichts Wunderbares, wenn wir im Traume
Winke zur Beurtheilung von Menſchen erhalten, wenn wir
durch einen Traum Jemand von einer wichtigen Seite
kennen gelernt zu haben ſcheinen. Dem Schreiber dieſes iſt
dieß oft wiederfahren, wenn ihm gleich in ſeinem Leben
noch nichts eigentlich Wunderbares begegnet iſt, d. h. et-
was, von dem man ſagen koͤnnte, es ſei wunderbarer als
die ganze Natur oder wunderbarer als die willkuͤhrliche
Bewegung der Glieder, als das Vermoͤgen, den Arm, wie
man will, zu ſtrecken und zu beugen.

105.

So ſehen wir auch denn im Mittelalter auf den
Grund eines mißverſtandenen einfachen Phaenomens, der
Viſion in der magiſchen Ekſtaſe die Menſchen nach dem
groͤßern Wunderbaren ringen, Jahrhunderte durch ihre
vergebene Arbeit nicht aufgeben und ſich und die Natur
immer tiefer mißverſtehen. Ein Gleiches hat ſich in der
neuern Zeit ganz auf dieſelbe Art mit dem Magnetismus
wiederhohlen wollen. Die mißverſtandene Viſion in der Ek-
ſtaſe war der Grund unzaͤhliger Verirrungen. Die Thatſa-
che der magnetiſchen Einwirkung wird, wie im Mittelalter
die Viſion in der magiſchen Ekſtaſe, durch die geiſtigen Suͤn-
den nach dem Wunderbaren ringender Enthuſiaſten zu einem
unendlichen Irrfall der Luͤge, der Traͤumerei, worin uͤberall
das gemeinſame Streben der Unwiſſenheit, Schwaͤrmerei
und der Geiſtesverſchwendung ein Abſurdes, die Natur in
ihren Achſen und Angeln Aufhebendes, der Nothwendigkeit
der Wiſſenſchaft Spottendes geltend zu machen.


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[59/0075] woͤhnliche in den Combinationen des Traums, die ſich im Leben ſelbſt erſt ſpaͤt darbieten kann. Wir verſuchen die Menſchen im Traum und lernen ſie kennen, wie ſie ſind. 104. Es iſt daher nichts Wunderbares, wenn wir im Traume Winke zur Beurtheilung von Menſchen erhalten, wenn wir durch einen Traum Jemand von einer wichtigen Seite kennen gelernt zu haben ſcheinen. Dem Schreiber dieſes iſt dieß oft wiederfahren, wenn ihm gleich in ſeinem Leben noch nichts eigentlich Wunderbares begegnet iſt, d. h. et- was, von dem man ſagen koͤnnte, es ſei wunderbarer als die ganze Natur oder wunderbarer als die willkuͤhrliche Bewegung der Glieder, als das Vermoͤgen, den Arm, wie man will, zu ſtrecken und zu beugen. 105. So ſehen wir auch denn im Mittelalter auf den Grund eines mißverſtandenen einfachen Phaenomens, der Viſion in der magiſchen Ekſtaſe die Menſchen nach dem groͤßern Wunderbaren ringen, Jahrhunderte durch ihre vergebene Arbeit nicht aufgeben und ſich und die Natur immer tiefer mißverſtehen. Ein Gleiches hat ſich in der neuern Zeit ganz auf dieſelbe Art mit dem Magnetismus wiederhohlen wollen. Die mißverſtandene Viſion in der Ek- ſtaſe war der Grund unzaͤhliger Verirrungen. Die Thatſa- che der magnetiſchen Einwirkung wird, wie im Mittelalter die Viſion in der magiſchen Ekſtaſe, durch die geiſtigen Suͤn- den nach dem Wunderbaren ringender Enthuſiaſten zu einem unendlichen Irrfall der Luͤge, der Traͤumerei, worin uͤberall das gemeinſame Streben der Unwiſſenheit, Schwaͤrmerei und der Geiſtesverſchwendung ein Abſurdes, die Natur in ihren Achſen und Angeln Aufhebendes, der Nothwendigkeit der Wiſſenſchaft Spottendes geltend zu machen.

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Zitationshilfe: Müller, Johannes: Über die phantastischen Gesichtserscheinungen. Koblenz, 1826, S. 59. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_gesichtserscheinungen_1826/75>, abgerufen am 27.04.2024.