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Müller, Karl Otfried: Die Dorier. Vier Bücher. Bd. 1. Breslau, 1824.

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9.

An die so gedeutete Sage knüpfen sich von selbst
mehrere andere Traditionen des Landes an. Die Kre-
tische Niederlassung, die von Kirrha aus das Tilphos-
sische Heiligthum bei Okalea in Böotien gründete, stellte
die Sage unter der Person des Rhadamanthys vor 1.
Rhadamanthys soll hier mit der Alkmene zusammenge-
wohnt; er soll den jungen Helden die in Kreta einhei-
mische Bogenkunst gelehrt haben 2. Darum entzog auch
Zeus die gestorbene Alkmene dem Begräbnisse, und
führte sie nach den seligen Inseln als Gattin des Rha-
damanth. Ein Stein war an ihrer Stelle zurückge-
blieben, und wurde in ihrem Hain zu Theben aufge-
stellt 3. -- Wie ganz andere Gedankenreihen drängen
sich uns auf, wenn wir Herakles als Zögling des Rha-
damanth denken, als wenn wir den gewöhnlichen Er-
zählungen folgen von dem derbkräftigen Böotischen
Athleten. Aber auf demselben Tilphossion, welchem
Rhadamanth anwohnte, war auch das Grab des Tei-
resias, der ebenfalls auf Herakles Schicksale bedeu-
tenden Einfluß übte 4, und schon zu seiner Geburt be-
hilflich war. Teiresias ist aber der alte (sieben Men-
schenalter lebende) Prophet des Ismenischen Tempels.
Noch mit einem dritten Weissagergeschlechte brachte die
alte Sage den Heros in nahe Relation, wenn
wir als solche die Darstellung des Epiker Asios anneh-
men dürfen, nach der Alkmene Tochter des Amphiaraos
und der Eriphyle war 5. Dadurch wird sie Schwester

1 S. 234. Daher spielte Eurip. Rhadamanth in Böotien,
Fragm. 1.
2 S. Bd. 1. S. 148, 6. 7. vgl. Pherek. bei
Anton. Lib. 32. (50. p. 196 St.), Viseonti ad Her. Att. Inscr.
Triop. fin.
3 Pherek. a. O. Paus. 9, 16. 4.
4 Pind. N. 1, 61.
Theokr. 24, 64. Paus. 9, 11, 2.
5 Paus. 5, 17, 4. -- Auch
ist merkwürdig, was ders. 5, 13, 6. sagt: daß ein Altar im Mi-
lesischen Didymäon vom Thebäischen Herakles gebaut sei.
II. 28
9.

An die ſo gedeutete Sage knuͤpfen ſich von ſelbſt
mehrere andere Traditionen des Landes an. Die Kre-
tiſche Niederlaſſung, die von Kirrha aus das Tilphoſ-
ſiſche Heiligthum bei Okalea in Boͤotien gruͤndete, ſtellte
die Sage unter der Perſon des Rhadamanthys vor 1.
Rhadamanthys ſoll hier mit der Alkmene zuſammenge-
wohnt; er ſoll den jungen Helden die in Kreta einhei-
miſche Bogenkunſt gelehrt haben 2. Darum entzog auch
Zeus die geſtorbene Alkmene dem Begraͤbniſſe, und
fuͤhrte ſie nach den ſeligen Inſeln als Gattin des Rha-
damanth. Ein Stein war an ihrer Stelle zuruͤckge-
blieben, und wurde in ihrem Hain zu Theben aufge-
ſtellt 3. — Wie ganz andere Gedankenreihen draͤngen
ſich uns auf, wenn wir Herakles als Zoͤgling des Rha-
damanth denken, als wenn wir den gewoͤhnlichen Er-
zaͤhlungen folgen von dem derbkraͤftigen Boͤotiſchen
Athleten. Aber auf demſelben Tilphoſſion, welchem
Rhadamanth anwohnte, war auch das Grab des Tei-
reſias, der ebenfalls auf Herakles Schickſale bedeu-
tenden Einfluß uͤbte 4, und ſchon zu ſeiner Geburt be-
hilflich war. Teireſias iſt aber der alte (ſieben Men-
ſchenalter lebende) Prophet des Ismeniſchen Tempels.
Noch mit einem dritten Weiſſagergeſchlechte brachte die
alte Sage den Heros in nahe Relation, wenn
wir als ſolche die Darſtellung des Epiker Aſios anneh-
men duͤrfen, nach der Alkmene Tochter des Amphiaraos
und der Eriphyle war 5. Dadurch wird ſie Schweſter

1 S. 234. Daher ſpielte Eurip. Rhadamanth in Boͤotien,
Fragm. 1.
2 S. Bd. 1. S. 148, 6. 7. vgl. Pherek. bei
Anton. Lib. 32. (50. p. 196 St.), Viseonti ad Her. Att. Inscr.
Triop. fin.
3 Pherek. a. O. Pauſ. 9, 16. 4.
4 Pind. N. 1, 61.
Theokr. 24, 64. Pauſ. 9, 11, 2.
5 Pauſ. 5, 17, 4. — Auch
iſt merkwuͤrdig, was derſ. 5, 13, 6. ſagt: daß ein Altar im Mi-
leſiſchen Didymaͤon vom Thebaͤiſchen Herakles gebaut ſei.
II. 28
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[433/0463] 9. An die ſo gedeutete Sage knuͤpfen ſich von ſelbſt mehrere andere Traditionen des Landes an. Die Kre- tiſche Niederlaſſung, die von Kirrha aus das Tilphoſ- ſiſche Heiligthum bei Okalea in Boͤotien gruͤndete, ſtellte die Sage unter der Perſon des Rhadamanthys vor 1. Rhadamanthys ſoll hier mit der Alkmene zuſammenge- wohnt; er ſoll den jungen Helden die in Kreta einhei- miſche Bogenkunſt gelehrt haben 2. Darum entzog auch Zeus die geſtorbene Alkmene dem Begraͤbniſſe, und fuͤhrte ſie nach den ſeligen Inſeln als Gattin des Rha- damanth. Ein Stein war an ihrer Stelle zuruͤckge- blieben, und wurde in ihrem Hain zu Theben aufge- ſtellt 3. — Wie ganz andere Gedankenreihen draͤngen ſich uns auf, wenn wir Herakles als Zoͤgling des Rha- damanth denken, als wenn wir den gewoͤhnlichen Er- zaͤhlungen folgen von dem derbkraͤftigen Boͤotiſchen Athleten. Aber auf demſelben Tilphoſſion, welchem Rhadamanth anwohnte, war auch das Grab des Tei- reſias, der ebenfalls auf Herakles Schickſale bedeu- tenden Einfluß uͤbte 4, und ſchon zu ſeiner Geburt be- hilflich war. Teireſias iſt aber der alte (ſieben Men- ſchenalter lebende) Prophet des Ismeniſchen Tempels. Noch mit einem dritten Weiſſagergeſchlechte brachte die alte Sage den Heros in nahe Relation, wenn wir als ſolche die Darſtellung des Epiker Aſios anneh- men duͤrfen, nach der Alkmene Tochter des Amphiaraos und der Eriphyle war 5. Dadurch wird ſie Schweſter 1 S. 234. Daher ſpielte Eurip. Rhadamanth in Boͤotien, Fragm. 1. 2 S. Bd. 1. S. 148, 6. 7. vgl. Pherek. bei Anton. Lib. 32. (50. p. 196 St.), Viseonti ad Her. Att. Inscr. Triop. fin. 3 Pherek. a. O. Pauſ. 9, 16. 4. 4 Pind. N. 1, 61. Theokr. 24, 64. Pauſ. 9, 11, 2. 5 Pauſ. 5, 17, 4. — Auch iſt merkwuͤrdig, was derſ. 5, 13, 6. ſagt: daß ein Altar im Mi- leſiſchen Didymaͤon vom Thebaͤiſchen Herakles gebaut ſei. II. 28

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Zitationshilfe: Müller, Karl Otfried: Die Dorier. Vier Bücher. Bd. 1. Breslau, 1824, S. 433. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_hellenische02_1824/463>, abgerufen am 27.04.2024.